Die wirklich wahre Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf

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Rasant und liebenswürdig – das musikalische Märchen „Grimm!“ in der Neuköllner Oper

(v.l.n.r.) Ziege Gisela, Rotkäppchen, Schweinchen Schlau; Foto: Neuköllner Oper

(v.l.n.r.) Ziege Gisela, Rotkäppchen, Schweinchen Schlau; Foto: Neuköllner Oper

Wie könnte es anders sein – lebenslustig, keck und neugierig erleben wir Dorothea alias das Rotkäppchen. Gespielt von Devi-Ananda Dahm lebt Rotkäppchen im Dorf – einst erhielt sie als Geschenk Ihrer Oma ein rotes Samtkäppchen, welches sie schon lange selbst nicht mehr so mag aber aus Respekt vor dem Oma immer fleißig trägt. Und dies verlieh ihr eben den Namen Rotkäppchen, obwohl Dorothea stets bemüht ist, an ihren eigentlichen Namen zu erinnern. Die Oma lebt im Wald, aber dort darf niemand hin – schon gar nicht Rotkäppchen – weil der Wald nämlich düster und voll verworrener Wege und gefährlicher Gestalten ist – nebst allen zwielichtigen Bewohnern vor allem der böse Wolf. Im Dorf leben neben Dorothea der alte Jagdhund Sultan (Dennis Weißert), der auch Bürgermeister ist, und dessen Sohn Rex (Anthony Curtis Kirby), der von ihm die Rolle des Jägers und Beschützers des Dorfes übernommen hat. Dazu gesellen sich noch die drei Schweinchen Dick bzw. Dicklinde (Feline Zimmermann), Schweinchen Didi auch genannt Doof (Dennis Hupka) und Schweinchen Schlau (Fabian-Joubert Gallmeister) in die zivile Gesellschaft. Gekrönt wird die feine Dorf-Welt von Gisela Geiß (Katharina Beatrice Hierl) mit ihren sechs Lämmchen. Sie hatte sich einst von einem prächtigen Hirschen im Wald verführen lassen, der sie dann aber sitzen ließ und arrogant seiner Wege zog. Nun ist die Diva eine alleinerziehende Mutter, die sich aber ganz herrlich darstellt – mit ihrem schwäbisch-ziegigem Akzent stets umlaufen von ihren nörgelnden, kichernden und quatschmachenden Bälgern Janine, Jonny und Co.

(v.l.n.r.) Rotkäppchen, Oma Eule, Schweinchen Wild; Foto: Neuköllner Oper

(v.l.n.r.) Rotkäppchen, Oma Eule, Schweinchen Wild; Foto: Neuköllner Oper

Aber Rotkäppchen gibt keine Ruhe – sie möchte mehr erleben und der doch so artigen Dorfgemeinschaft einmal entfliehen. Sie ist unheimlich neugierig, was es denn alles in dem sagenumwobenen Wald so zu erleben gibt, und teilt selbst keines der vielen Vorurteile über seine Bewohner. Vor allem Schweinchen Schlau ist zügig mit erhobenen Finger zur Stelle, wenn die Sprache auf den Wald kommt, und sammelt mit seinen mahnenden Worten die Dorfgemeinschaft hinter sich. So habe einst der böse Wolf ein Kind gestohlen und sei deshalb auch vom alten Jäger gerichtet worden. Man könne niemandem trauen in diesem düsteren Wald und sei des Todes sehr gewiss. So wie wir Rotkäppchen kennen, lässt sie sich aber nicht von ihrem Plan abbringen und schleicht sich eines Tages hinfort an die Waldgrenze und schlüpft zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Sie ist überwältigt vom saftigen Duft, den vielen Geräuschen und spannenden Gewächslein. Auch die Pilze sehen so lecker süß aus – vor allem der rote mit den weißen Punkten. Und plötzlich springt ein haariges Monster an ihr vorbei und das Rotkäppchen erschrickt mit spitzem Schrei. Aber die Aufmerksamkeit des tollenden Büschels gilt erst Mal voll einer Dose, die es zu öffnen versucht. Rotkäppchen ist auf Schweinchen Wild (Klara Brunken) getroffen, das kräftig anfängt zu fluchen und zu zanken – solche Sprache ist Dorothea völlig neu. Aber sie erinnert sich, dass auch Schweinchen Dicklinde ihr von einem zufälligen Treffen mit Schweinchen Wild erzählt hatte und selbst ganz verliebt klang. Nun denn, sie ist also nicht die einzige, die Verbindungen zum Wald zu haben scheint.

Wolf Grimm und Rotkäppchen Dorothea; Foto: Neuköllner Oper

Wolf Grimm und Rotkäppchen Dorothea; Foto: Neuköllner Oper

Wie es nicht anders kommen kann, trifft unser Rotkäppchen auch auf den Wolf! Grimm (Jan-Philipp Rekeszus) kommt ebenso unverhofft wie Schweinchen Wild aus dem dunklen Schatten eins Baumes gesprungen und kauert vor Dorothea. Seine Aufmerksamkeit ist fokussiert und er atmet tief und schwer. Dabei leckt er sich mit der Zunge über die Lippen – hier wurde offensichtlich Appetit geweckt. Das Rotkäppchen drückt sich rücklings an einen Baum, als Grimm sich nähert und ihren Duft aufnimmt. „Du riechst gut“ haucht er. Auf den Zehenspitzen stehend fragt Dorothea: „meinst du gut gleich frisch gewachsen oder gut gleich lecker?“ Grimm lacht. Rotkäppchen nicht. Wieder versucht sie es mit reden und beginnt den um sie schleichenden Wolf in eine Gespräch zu verwickeln. Tatsächlich gelingt es ihr zu erfahren, dass er nie etwas verspiesen habe, mit dem er zuvor geredet hatte. Nun ist das Rotkäppchen minimal erleichtert und sinkt zurück auf die Fußballen. Nach ein bisschen Small Talk stellt sich heraus, dass Grimm eigentlich ein ganz netter und sympathischer Kerl ist und doch so gar nicht an den sogenannten bösen Wolf erinnert. Und wie soll es anders sein in der „wirklich wahren Geschichte von Rotkäppchen und ihrem Wolf“? Mhm… sie verlieben sich ineinander. Zu süß und romantisch um wahr zu sein. Aber es ist ja auch ein Märchen.

Und hier beginnt die eigentliche Geschichte des Musicals von Regisseur Peter Lund. Die Geschichte handelt nun nämlich davon, wie Dorothea ins Dorf zurückkehrt und nicht nur freudestrahlend von ihrem unglaublich erlebnisreichen Besuch im Wald berichtet, sondern noch viel dramatischer ihren neuen Freund Grimm doch tatsächlich in die Dorfgemeinschaft aufnehmen möchte. Dass das ist nicht einfach sein wird – und zwar für beide Seiten gleichermaßen – ist natürlich offensichtlich. Obwohl Grimm den Mut beweist, das Dorf trotz all der Vorurteile, die auch er hat – schließlich wurden seine Eltern einst von Dorfmenschen getötet – zu betreten, tritt ihm nur Verachtung und Angst entgegen. Vor allem Schweinchen Schlau ist der Anführer zu Erhaltung der hergebrachten Ordnung. Giesela Geiß hingegen ist da schon sprunghafter – zumal Grimm ja auch ein prächtiger Kerl ist. Vielleicht lässt sich da ja noch etwas herausholen – das Rotkäppchen kann nun wirklich keine ernsthafte Konkurrenz darstellen. Es ist also eine unglaublich spannende Gemengelage, in der Dorothea für die Toleranz und sogar Akzeptanz von Grimm kämpft.

Zur Darstellung darf man insgesamt nur gratulieren. Es ist ein wunderbar und eindeutig mit Herzblut gespieltes Stück als Mischung aus Schauspiel, Show und Musical. Bis auf einzelne sprachliche Spitzen – sei es drum – auch geeignet für den Besuch mit älteren Kindern und der ganzen Familie. Die Handlung ist sehr leicht nachzuvollziehen und durch Gesangs- und Showtanzeinlagen immer wieder aufgelockert oder gar beschleunigt. Alles hat unheimlich viel Witz und Situationskomik, und dabei bleibt das Stück doch ehrlich und sehr lebensnah. Es gibt keinerlei gewollte Provokation, die das Zusehen anstrengt. Ganz im Gegenteil sind alle Charaktere von unglaublicher Authenzität geprägt. Die Charaktere sind sehr ausgeprägte Persönlichkeiten und die bisher unerwähnte aber glorreiche Oma Eule (Sophia Euskirchen) und Sultan sind ältere Figuren, die unglaublicherweise ebenfalls von sehr jungen Schauspielern herausragend gespielt werden. Man muss wissen, dass es sich bei dem Stück Grimm! zum 15. Mal um das Projekt „Bühne frei für den Studiengang Musical/Show“ and der UdK (Universität der Künste Berlin) handelt. Für viele Jungschauspieler bedeutet das einen soliden Schritt und eine große Chance auf eine erfolgreiche Bühnenkarriere. Dass uns das Stück noch viel über das Leben und zwischenmenschliche Beziehungen erzählt, wird schnell transparent. Ob man das nun auf das wirkliche Umziehen vom Dorf nach beispielsweise Berlin interpretiert oder eben genereller das Eintauchen in andere Kreise und fremde Kulturen – viele Vergleiche passen hier. Eine wunderbare Werbung für Toleranz und Akzeptanz – und dabei mit ganz viel Lebensfreude und Humor dargestellt. Ein Lob gehört auch der Band, die unter Leitung von Tobias Bartholmeß wirklich eine zauberhafte und kreativ-amüsante musikalische Untermalung zum Besten gibt.

Malte Raudszus

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