Zum 200. Jubiläum hatte sich das Frankfurter Städel-Museum bereits die originelle Ausstellung über den „Dialog der Meisterwerke“ ausgedacht. Doch das war den „Machern“ des Jubilars nicht genug. Es musste auch noch ein weiterer „Kick“ her. Den fanden sie dann in dem kalifornischen Künstler John Baldessari, der bekannt ist für seine Medien- und Konzeptkunst, in der er das gängige Kunstverständnis immer wieder kritisch – und auch gern ironisch-humoristisch – aufs Korn nimmt. Dazu gehörte auch, dass er im Jahr 1970 – im Alter von knapp vierzig Jahren – sein gesamtes malerisches Werk in einem spektakulären „Autodafé“ öffentlich verbrannte. Die Ausstellung „John Baldessari. The Städel Paintings“ verbindet jetzt Baldessaris Kunstverständnis mit bekannten Gemälden des Städels.
Kurator Dr. Martin Engler hat bereits seit über zwei Jahren Gespräche mit Baldessari geführt. Schließlich will so eine Ausstellung von langer Hand vorbereitet sein, und einen derart nonkonformistischen Künstler konnte man nicht in einer „Hauruck-Aktion“ gewinnen. So entstand dann in diesen Gesprächen die Idee einer noch zu erstellenden Werksammlung, die einen Bezug zu dem aktuellen Bestand des Städels an Werken verschiedener Epochen herstellt. Selbstverständlich lagen keinerlei inhaltlichen Vorgaben des Städels vor, und das Ergebnis überraschte die Auftraggeber, wenn man sie denn so nennen will, ebenso wie das Publikum, das diese Werke vom 5. November an zu sehen bekommt.
John Baldessari hat seiner Werkgruppe sechzehn Werke bekannter Maler aus dem Städel-Bestand zugrunde gelegt. Dabei geht er durch die gesamte Kunstgeschichte von der „Kunst alter Meister“ bis zur Moderne. Ein „oberrheinischer Meister“ aus dem frühen 15. Jahrhundert befindet sich genauso darunter wie die zeitgenössische Malerin Maria Lassnig. Aus den Gemälden wählte Baldessari fast durchweg nur Ausschnitte aus, mal zentrale, mal scheinbar nebensächliche. Laut Aussage des Kurators erkannten selbst Mitarbeiter des Städelmuseums in einigen Fällen nicht das dazugehörige Bild. In Adam Elsheimers Bild „Pan und Syrinx“ etwa rückte er die drei nackten Figuren aus dem Hintergrund in den Mittelpunkt, und aus Jean Bapiste Siméon Chardins „Stillleben mit Rebhuhn und Birne“ (1748) konzentrierte er sich auf die Kordel, die bei ihm zu einer Art Henkersseil mutiert.
Diese Ausschnitte – aus dem Städelkatalog kopiert und mit grober Pixelung vergrößert – platziert er grundsätzlich auf der rechten Seite seiner Bilder und versieht sie mit scheinbar zufälligen und bewusst groben farblichen Akzenten. Allein diese „Überarbeitungen“ weisen einen ironischen Aspekt auf, da er dabei in etwa so verfährt, wie Kinder ein Gemälde bearbeiten würden. Gezielt raubt er diesen Gemäldeausschnitten jeden auratischen Charakter, den sie vom Original hätten übernehmen können. Doch der eigentliche Clou seiner Herangehensweise sind die Texte, die er jedem Bildausschnitt auf der linken Bildseite hinzufügt. Dazu hat er angeblich zufällig ausgewählte Textstellen aus Drehbüchern verschiedener (Hollywood-)Filme in einer groben Schreibmaschinenschrift hinzugefügt. Die Schriftart mag dabei entweder auf die alten, noch maschinell getippten Drehbücher verweisen, kann aber auch als bewusster Kontrast zum artifiziellen Niveau der zugrunde liegenden Bilder dienen. Die Zufälligkeit der Textauswahl sollte jedoch mit einiger Skepsis betrachtet werden, da die Texte in nahezu allen Fällen einen unmittelbarer Bezug zu dem jeweiligen Bild beinhalten. Mag sein, dass Baldessari die Originalbezüge zu eventuell anderen Kunstwerken entsprechend änderte. Auf jeden Fall enthalten die Texte ironische oder kritische Bemerkungen zum Kunstbetrieb und der Vermarktung von Kunst. Dabei liegt die Würze der ironischen Kritik in ihrer Kürze. Baldessari verzichtet auf plakative Denunzierung der ökonomischen Aspekte des Kunstbetriebs und lässt kurze Sätze und ein einzelne Worte ihre eigene ambivalente Botschaft verkünden. Auch hier liegt die Deutung in den Augen und Köpfen des Betrachters, nicht in einem eindeutigen, wasserdichten Text.
Die Werke sind zum überwiegenden Teil in dem neuen Ausstellungshaus am Ende der Städel-Galerie ausgestellt. Zwei Werke jedoch hängen jeweils neben dem Original des von Baldessari ausgewählten Werkes in dem Bereich der „Alten Meister“. Lukas Cranachs(d. Ä.) „Venus“ aus dem Jahr 1532 erscheint bei Baldessari nur noch mit linkem Bein und linkem Arm, der einen andeuteten Schleier hält, und dazu spricht der Text lakonisch von Anlageberatern und anderen Ganoven. Justus Junckers „Stillleben mit Birne und Insekt“ (1732) hat er im Grunde genommen nur in den Vordergrund „gezoomt“ und mit einem fast schon kryptischen Text konterkariert. Diese beiden Werke wagen den direkten Vergleich von Original und Bearbeitung. Als generelle Methode hat das Städel jedoch auf einen solchen Vergleich verzichtet, weil er zu sehr der Gefahr der Banalität ausgesetzt gewesen wäre.
Diese Ausstellung bietet eine offene Flanke für eine kontroverse Diskussion, da hier zweifellos die Frage nach der Originalität bis hin zu Aspekten des Plagiats aufkommen wird. Nicht jeder Museumsbesucher und Kunstliebhaber wird diese Art der Aneignung und Verfremdung goutieren, und auch die Zugabe von Text wird sicher so Manchen irritieren. Aber das hat die Museumsleitung mit Sicherheit beabsichtigt. Denn eine kontroverse Diskussion ist allemal besser als eine ehrfürchtige und kritiklose Bewunderung jeglicher Exponate. Das gilt natürlich auch für „alte Meister“.
Die Ausstellung ist von 5. November bis zum 24. Januar 2015 dienstags, mittwochs und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet. Weitere Informationen sind über die Webseite des Städelmuseums erhältlich.
Frank Raudszus
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