Im Staatstheater Wiesbaden hat Intendant Uwe Erik Laufenberg Mozarts Oper „Cosi fan tutte“ auf originelle Art neu inszeniert.
„Cosi fan tutte“ führt neben ihren beiden Schwestern „Figaros Hochzeit“ und „Don Giovanni“ aus dem berühmten „Dreigespann“ in gewisser Weise ein Schattendasein. Dieser Oper fehlt die pralle Geschichte und – vermeintlich – die tiefere Aussage und Wucht. Gerne wurde sie früher als Rokoko-Vexierspiel ohne Ernst und tiefere Bedeutung inszeniert. Vor einigen Jahren hat Christoph Loy in Frankfurt diese Oper einer Grundrevision unterzogen und ihre tragischen Aspekte ausgeleuchtet. Uwe Laufenberg hat sich jetzt in Wiesbaden ebenfalls der geradezu existenziellen Aussage dieser Oper angenommen und sie in einer ungewöhnlichen Inszenierung neu gedeutet.
Laufenberg ordnet das Ochester in einem carréförmigen Graben zwar an der üblichen Stelle, aber als zentralen Punkt an, um den herum das Geschehen sich abspielt. Die Zuschauer verteilt er auf die üblichen Ränge und auf die Hinterbühne, wo sich in den hinteren Reihen auch der Chor aufhält, den man jedoch erst einmal für Publikum hält. Das Bühnenbild beschränkt sich auf einen großen Mauerbogen im Rokoko-Stil, der wie ein natürlicher Teil der – historischen – Wiesbadener Theaterarchitektur wirkt(und es vielleicht in Wirklichkeit auch ist). Spielort ist die Bühne rings um das Orchester und zwischen den beiden Zuschauerblöcken.
Kurz vor Beginn drängeln sich noch drei Herren zu ihren Plätzen in der ersten Reihe. Man hätte ja auch ein wenig früher kommen können! Nach der akzentuiert und mit bewussten Pausen vorgetragenen Ouvertüre beginnt der erste Akt vor leerer Bühne. Dann folgt der Einsatz des ersten Sängers überraschend aus dem Dreierblock der späten Gäste. Laufenberg hat die Sänger ins Publikum platziert und lässt sie nicht nur zu Beginn von dort kommen sondern sich immer wieder dorthin zurückziehen, wenn die Szene es verlangt. Der Verdacht, dass die beiden jungen Damen auf der Gegentribüne eine ähnliche Rolle spielen, bestätigt sich, als sie vor dem ersten Auftreten von Dorabella und Fiordiligi – so heißen die beiden weiblichen Hauptpersonen – aufgeregt auf ihren Smartphones herumtippen und miteinander tuscheln. Als Zuschauer eine inakzeptable Verhaltensweise, als Regieanweisung jedoch nachvollziehbar. Und so kommt auch die erste weibliche Gesangspartie aus diesem Duo.
„Cosi fan tutte“ – „so machen es alle“. Laufenberg hat dieses Motto in seiner Inszenierung konsequent umgesetzt. Die Darsteller werden Teil des Publikums und machen dieses zu Komplizen oder zumindest Mitwissern. Dazu schauen sie stets mit Blicken ins Publikum, die ausdrücken „ihr macht es doch nicht anders“, und die Sitzordnung des Publikums weicht die sonst eindeutige Trennung des durch die Darsteller vertretenen fiktionalen Bereichs von der Realität auf. Wir alle spielen also mit, sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Dass Fiordiligi (Heather Engebretson) dann auch noch einzelne Frauen aus dem Chor und aus dem Publikum als Unterstützerinnen im Kampf gegen die Unmoral der Männer auf die Bühne holt und sie die Fäuste ballen lässt, ist dann sozusagen nur das „i-Tüpfelchen“ auf dem Regiekonzept.
Laufenberg beschränkt sich jedoch nicht auf die enge Verzahnung von Bühne und Publikum, sondern er verlagert die Handlung auch in unsere Zeit. Keine Rokoko-Kostüme, sondern modische Kleidung für eine „coole“ Generation mit Geld und Glamour. Ferrando (Ioan Hotea) ist ein charmanter Wuschelkopf mit den Allüren eines großen Jungen, und Guglielmo (Christopher Bolduc) ein junger, etwas blasierter Stenz mit Weste über dem T-Shirt. Beide zeigen ein nur schwach durch Ironie kaschiertes Machogehabe, wie es etwas junge Investmentbanker gerne an den Tag leg(t)en. Da liegt es natürlich auf der Hand, dass sie beide von der Treue ihrer Verlobten überzeugt sind, da es ja weit und breit keine ernst zu nehmenden männlichen Konkurrenten gibt. Dorabella(Silvia Hauer) und Fiordiligi (Heather Engebretson) sind zwei emanzipierte aber verwöhnte junge Frauen, deren Gedanken zwischen Smartphone und Sektfrühstück hin und her pendeln. In ihren Verlobten sehen sie die Garanten für ein Leben mit Wohlstand und Spaß.
Da wundert es nicht, dass Don Alfonso diese so oberflächliche wie egozentrische Welt gerne einmal durchrütteln möchte. Also legt Laufenberg diese Figur nicht als bösartigen Intriganten an, sondern als prallen Ironiker, der Spaß daran hat, die Welt durcheinanderzuwirbeln und Menschen zu verunsichern. Er ist durchaus ein Intrigant, aber einer mit didaktischem oder gar pädagogischem Hintergrund. Wolf Matthias Friedrich verleiht dieser Figur etwas Diabolisches, insofern der Humor stets eben diese Komponente aufweist. Denn richtiger Humor ist anarchisch, bringt die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen und schert sich nicht um bürgerliche Moral.
Bleibt noch eine Figur zu erwähnen: Despina (Stella An), die Hausangestellte, die Don Alfonso bei seinem Verwirrspiel um echte und falsche Liebhaber kräftig unterstützt. Sie greift in Laufenbergs Inszenierung höchst aktiv in das Spiel ein. Ihre Ratschläge an die beiden jungen Frauen kommen nicht aus einem unterdrückten Dienstbotenherzen sondern aus dem Kopf einer jungen Frau, die die Welt und vor allem die Männer sehr gut kennt und ein sehr pragmatisches Lebenskonzept propagiert: nimm mit, was du kriegen kannst. Laufenberg lässt sie anfangs im Kostüm der Theaterhostessen in der Soufflierloge sitzen. Als Don Alfonso alias Wolf Matthias Friedrich sie – scheinbar um einen Regiefehler zu korrigieren – von dort mit einer typischen Handbewegung verjagt, zieht der aufmerksame Zuschauer die Augenbrauen hoch. Doch kurz danach kommt sie – immer noch im Hostessenkostüm -mit dem Sektfrühstück für die jungen Damen zurück, beginnt, singend über ihre Dienstbotenrolle zu räsonnieren, und nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
In diesem Stil geht es weiter. Die Wette zwischen Don Alfonso und den beiden jungen Männern wird zum lauthals belachten Männerspaß, und bei der angeblichen Abfahrt letzterer in den Krieg können diese das Lachen kaum unterdrücken, während die beiden Frauen eher düpiert als verzweifelt wirken. Laufenberg zeigt mit diesen Szenen die Extreme einer Spaßgesellschaft, die sich auch noch über das vermeintlich Intime amüsieren zu müssen glaubt, weil alle anderen Spaßfelder schon mehr oder minder abgeerntet sind. Wenn Ferrando und Guglielmo als – nun fremde – Verehrer wiederkehren, tun sie das als zwei junge Kerle im Rapper-Look: Baseball-Kappe mit Schirm nach hinten (Guglielmo) und schwarzes Piratenkopftuch um die Wuschelhaare (Ferrando), dazu grelle T-Shirts, Trekking-Hosen und dicke Sonnenbrillen. Zwei „richtige Kerle“ mit Omnipotenzanspruch und überschaubarem Reflexionspotential.Wenn sie sich der jeweils anderen Verlobten vor die Füße werfen und ihnen die Blumensträuße hinstrecken, können sie sich vor Lachen nur mühsam beherrschen, denn das Ganze ist ein richtig „coole Kiste“. Dabei haben beide dasselbe Ziel vor Augen: die Treue der eigenen Verlobten zu beweisen und gleichzeitig die des anderen zu erobern. Das ist wahre Freundschaft!
Genau das will Laufenberg mit dieser Inszenierung aufzeigen: die Beliebigkeit von Werten, die Aufblätterung des Intimlebens und die Bloßstellung der Anderen um des Spaßes und des eigenen Egos willen. Was früher gerne als Rokoko-Spiel mit vertauschten Rollen und prickelnder Erotik aufgefasst wurde, wird hier zur gnadenlosen Vorführung der jungen Frauen. Ferrando und Guglielmo merken lange Zeit nicht, welch böses Spiel sie nicht nur mit den Gefühlen der Frauen sondern auch mit deren – und ihren eigenen! – Wertvorstellungen spielen. Für sie ist das Ganze ein herrlicher Spaß, bei dem hoffentlich auch noch Geld rausspringt – und vielleicht ein kleiner Seitensprung mit der Freundin des Freundes. Nicht umsonst lässt Laufenberg seine Protagonisten mehrfach mit ihren Handys spielen und sich gegenseitig Fotos ihrer Verlobten zeigen. Facebook und Co. sind die Grundlage des Voyeurismus und des Exhibitionismus, und die angebliche „Treueprüfung“ ist nichts als eine konsequente Fortsetzung der Selbstdarstellung und des Mobbings in den „Social Media“.
Erst, als die beiden Frauen erste Anzeichen des Umdenkens von sich geben und auf die Avancen der jungen Männer einzugehen beginnen, merken diese, was sie angerichtet haben, und scheuen sich anfangs, die Chance zu nutzen. Doch die Dinge haben ihre eigene Dynamik entwickelt, und die einmal geöffnete erotische Büchse der Pandora beginnt zu sprudeln. Als sich am Ende alles aufklärt, sind die Frauen durchaus nicht erleichtert, sondern tief getroffen und gekränkt. Die Männer zeigen sich ratlos, und man weiß nicht, ob die Paare je wieder zusammenfinden, auch wenn der Abschlusschor eine vermeintlich warme Decke über alle Verfehlungen zu decken versucht. Ja, man kann diesen „Versöhnungstext“ durchaus als bittere Ironie betrachten.
Nur Don Alfonso und Despina kommen auf ihre Kosten, weil sie als Anarchisten (Don Alfonso) oder Revolutionäre (Despina) die Destabilisierung der herrschenden Verhältnisse herbeisehnen. Don Alfonso, weil er Selbstzufriedenheit und Stabilität per se hasst, und Despina, weil sie sich an den Herrschenden rächen will. Ihnen kann es nur Recht sein, wenn die Paare auseinanderfallen. Doch das ist nicht mehr das Thema dieser Oper und von Laufenbergs Inszenierung.
Lange nicht mehr hat man diese Oper so haut- und realitätsnah gesehen, und Laufenberg hat bewiesen, dass „Cosi fan tutte“ zu Unrecht etwas im Schatten ihrer beiden Schwestern steht. Seine Inszenierung hat sie wieder auf Augenhöhe mit „Figaro“ und „Don Giovanni“ gerückt. Das Wiesbadener Staatsorchester unter Konrad Junghänels Leitung steuert dazu einen wesentlichen Teil bei. Der schlanke, über lange Strecken kammermusikalische Klang lässt nicht nur die musikalische Struktur durchscheinen, sondern wirkt auch wie ein gestochen scharfer Kommentar zum Bühnengeschehen und verzichtet darauf, dieses mit „Mozartrauschen“ zuzudecken. Präzise, leicht und federnd, in enger und stets stimmiger Anbindung an das Bühnengeschehen, bestimmt die Musik zwar den Gesamteindruck, aber nicht gegen die Bühnenhandlung sondern als deren Bestätigung und Verstärkung.
Viel Beifall im ausverkauften Haus für das gesamte Ensemble.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Monika und Karl Forster
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