Die Deutsche Oper Berlin präsentiert Mozarts Oper als Faszinosum heutiger Normalität – frappierend nah, erschreckend grausam
Die Premiere der Inszenierung von Don Giovanni durch Roland Schwab an der Deutschen Oper Berlin geht bereits auf das Jahr 2010 zurück. Dabei hat sie nichts an Kraft verloren und geht tief unter die Haut. Diese Oper von Wolfgang Amadeus Mozart ist eine der meistgespielten und meist beschriebenen Opern überhaupt. Ihr Thema der Demonstration maskuliner Potenz ist zeitlos, und mehr denn je ist der Typ Don Giovannis zum Archetyp des modernen Menschen geworden. Im Mittelpunkt stand zur Zeit ihrer Erstaufführung die Selbstinszenierung gegen die gegebene Ordnung. Diese Form der Selbstermächtigung, das Aushebeln gepflegten sozialen Umgangs von Mann und Frau, war zu jener Epoche eine Revolution – heute ist es ein Stück weit Normalität geworden. Die modernen sozialen Plattformen bieten jedem die Bühne zur Selbstdarstellung, das Verhältnis zwischen Mann und Frau hat sich egalisiert, und sprunghafte Wechsel zwischen Partnern können problemlos zur Normalität avancieren, so denn beide Parteien dies aktiv wollen. Im Kontrast zu heute begründete Mozart damit die neue Gattung der Opera Buffa – die komische Oper als Gegenstück zur Opera Seria – der seriösen Oper. In ihr wurde für gewöhnlich den Herrschenden gehuldigt, während Don Giovanni jegliche Regeln missachtet und dabei, als Adliger, zu allem Überfluss auch noch aus reiner Lust einen Mord auf offener Bühne verübt. Wir erleben einen Mann, dessen Erfolg bei Frauen ihn schon über das Ziel der Eroberung hinaus getragen hat. Neben der Maximierung der schieren Menge an verführten Frauen, über alle Grenzen hinweg, wagt er sich nun an das Spiel mit dem Tod. Roland Schwab hat Don Giovanni vervielfältigt und zeigt so die Nähe zur heutigen Normalität seiner Sichtweise zur Beziehung zwischen Mann und Frau. In der Sucht nach dem Herrschen über Leben und Tod bleibt er aber ein Stück einzigartig – man kann nicht sagen, dass eine solche Einstellung sich heute als Realität eingestellt hätte. Welch ein Glück, möchte man ausrufen!
Das Libretto führt uns einen Don Giovanni (Davide Luciano) vor, der mit seinem Diener Leporello (Seth Carico) auf der Suche nach neuen weiblichen Herausforderungen durch die Lande streicht. Dabei treffen sie auf die Hochzeitsgesellschaft zur Trauung von Masetto (Andrew Harris) und Zerlina (Alexandra Hutton), einem einfachen Bauernpaar. Don Giovanni ist in keiner Weise beschämt, auch diesen festlichsten aller festlichen Akte zu nutzen, um seiner Gier nach mehr Erfolgen freien Lauf zu lassen. So setzt er Leporello auf Masetto an, das dieser ihn von der Braut entführe, was denn auch mit Zwang und einiger Gewaltanwendung gelingt. Giovanni umwirbt Zerlina unverblümt konkret und macht ihr ohne Umschweife den Hof – man bedenke am Tage ihrer Hochzeit! Mit echter Verführung hat dies wohl kaum noch etwas zu tun, denn eher mit purer „force masculin“ in samtener Kleidung. So ist es dann auch mehr eine aus Angst und Ehrfurcht vor dem Adel erstarrte Zerlina, die auf ihn eingeht, denn dass sich hier wirklich eine Form empfundener Gefühle zeigen würde. Flankiert wird das Schauspiel von Donna Elvira (Jana Kurucová) – Giovannis ehemaliger Geliebten, die noch immer auf seine Rückkehr hofft. Sie besingt ihre Trauer und Schmerz, aber auch Vergrämung und Abscheu über ihren vormals Geliebten, und dennoch kann sie ihm nicht entrinnen. Nachdem Don Giovanni sie weiter distanziert im Auge behält, fällt ihm ihre kindliche Zofe ins Auge. In der gesamten Oper ist sie das einzige unschuldige Wesen und wird auch so in der Form eines Kindes dargestellt. Bei dem Begehren dieser Zofe erheben sich die Nackenhaare der Zuschauer, denn eindeutiger könnte es nicht sein, dass Giovanni die Grenze der Legalität und grundlegendster Moral ignorant mit großen Schritten hochmütig überschreitet. So erscheint die Zofe in Kontakt mit ihm auch kaum als eigenständiger Charakter, sondern nur als blasser Nebel einer anderen Welt. Im Kontakt zu ihm zeigt sie keine menschliche Reaktion und erstirbt quasi mit der Berührung durch den von purer Gier und Habsucht getriebenen ehemaligen Charmeur. Leporello war derweil wieder zur Ablenkung beordert und sollte Donna Elvira im Glauben lassen, er sei Don Giovanni und kehre nun geläutert zu ihr zurück. Er hat sichtlich Spaß bei seinem Spiel und erfreut das Publikum mit seinen clownhaften Bewegungen. Letztlich entgeht er nur knapp dem Mord, der Don Giovanni gelten sollte, und schleicht sich nach der Enttarnung heimlich vor seinen Verfolgern davon. Don Giovanni stürmt jedoch voller Stolz und Kraft dem eigenen Tod entgegen. Als er auch die Toten verhöhnt, schlagen diese zurück und reißen ihn schließlich mit in den Niedergang. In einem brachialen Endkampf stürzt sich der niemals satte Giovanni in den Kampf gegen die Naturgewalten des Jenseits, die ihn mit tosender Leichtigkeit aus dem Diesseits entfernen.
Neben der Vervielfältigung Don Giovannis ist ein zweites charakteristisches Merkmal der Einsatz von Golfschlägern. Diese schaffen die Brücke zur heutigen Managergeneration, die im Stereotyp der Wahrnehmung des Volkes auch von Habgier und Rücksichtslosigkeit getrieben sind und dabei der Moral kaum Beachtung schenken. So gelingt es Roland Schwab die Oper noch aktueller zu formulieren, ohne übertrieben gewollt modern gekleidet daherzukommen. Das Bühnenbild (Piero Vinciguerra) wechselt von schlicht zu opulentem Überfluss und Gigantonomie. Die Lichtinstallationen brennen sich förmlich in die Netzhaut ein, und das große Finale lässt die Zuschauer gleichzeitig erstarren und tief erschauern. Als die Bühne in tödliches Dunkel verfällt und der Vorhang sich senkt, erwacht das Publikum von seiner erstarrten Präsenz und wechselt zu einem rauschenden Applaus. Im Besonderen wird Seth Carico als Leporello gewürdigt, der trotz seiner Rolle als Nummer Zwei eine herausragende Präsenz, Glaubwürdigkeit und viel prägnanten Witz verkörpert. Nicht zuletzt durch seine überragende Bespielung der Donna Elvira, sowie die Inszenierung des Abendmahls mit dem Tod kann er besondere Akzente setzen, die ihm eine besondere Wertschätzung zu Recht zukommen lassen.
Malte Raudszus
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