Das Staatstheater Darmstadt präsentiert „Flashdance – Das Musical“.
Auch in dieserSaison verfolgt das Staatstheater weiterhin das Konzept, große Teile des Programms durch Gastspiele abzudecken. Das stark reduzierte „Kern“-Ensemble könnte ein volles Zweisparten-Programm wahrscheinlich auch gar nicht bewältigen. „Flashdance“ war ein Kinofilm aus dem Jahr 1983, den Tom Hedley, Robert Cary und Robbie Roth im Jahr 2008 zu einem Musical für die Bühne umarbeiteten. Die Darmstädter Inszenierung beruht weitgehend auf dieser Version, wobei das Bühnenbild aus den Darmstädter Werkstätten stammt und das Gastensemble durch einzelne Sänger des Staatstheaters – Katrin Gerstenberger und Thomas Mehnert – ergänzt wurde.
Positiv in diesem Musical schlägt zweifellos das Bühnenbild zu Buche. Graue, mit Parolen beschmierte Fabriktore bestimmen den Rahmen, und in diese sind kleine Räume eingebettet, in denen sich die persönlichen und privaten Szenen abspielen. Die warm ausgeleuchteten „Guckkästen“ sollen offensichtlich den Kontrast zu der kalten Berufswelt verdeutlichen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Musik, die von der achtköpfigen „Flashdance Band“ aus dem verkleinerten Orchestergraben kommt: schmissige Live-Musik der achtziger Jahre in allen Schattierungen. Auch die sängerischen Leistungen sind ansprechend, vor allem von Nadja Scheiwiller (Alex) sowie der stimmstarken und vitalen Tamara Wörner. Die tänzerischen Einlagen des klassischen Balletts – das, was Alex immer durch die Fenster der Tanz-Akademie und in ihren Träumen sieht – sind ebenfalls gelungene Einfälle, die Abwechslung in den Ablauf bringen.
Diese Stärken können jedoch die generellen Schwachpunkte dieses Musicals nicht ausgleichen. Die Handlung ist von seltener Schlichtheit, ja Plattheit: Junge Stahlarbeiterin(!) liebt den Tanz, sieht aber keine Chance, bei der Tanzschule angenommen zu werden. Sohn des Chefs verliebt sich in sie, sie lässt ihn jedoch abblitzen. Ihre eigene Initiativbewerbung und ihre Leidenschaft bringen ihr schließlich gegen alle Erwartungen die Aufnahme in die Tanz-Akademie. Aschenputtel und die wundersame Wandlung zur Prinzessin, obwohl hier der Prinz eher ein Hindernis darstellt, da sich das tapfere Mädchen allein durchkämpfen will und den Erfolgt dank persönlicher Beziehungen verschmäht. Am Ende „kriegen“ sich die beiden natürlich doch noch. Eine Nebenhandlung verläuft ähnlich klischeehaft: junge Kellnerin kommt wegen Karrieresucht in falsche Kreise, als ihr Freund sie für die große Karriere verlässt. Beide scheitern und kommen reumütig in die kleinen Verhältnisse und zueinander zurück – wie es sich gehört. Wenn diese Geschichte überhaupt sozialkritisches Potential hat, vergeudet sie es durch oberflächliche Behandlung. Das „Stahlwerk-Ambiente“ ist austauschbar und hat keinerlei originäre oder dramaturgische Beziehung zum Tanz. Das gilt ebenso für die Charaktere der Hauptpersonen, die eher durch die individuelle schauspielerische Leistung als durch eine dramaturgische Konturierung geprägt sind. Vor allem die Rolle des Junior-Chefs Nick Hurley ist von einer Blassheit, von der man nicht weiß, ob man sie dem Text oder dem Schauspieler anlasten soll. Denn Philipp Dietrich, der sängerisch nicht besonders gefordert ist, stakst ansonsten wie der Storch durch den Salat auf der Bühne umher und spielt den total verunsicherten Liebhaber perfekt – wenn es denn gespielt ist. Man kann spontan verstehen, dass sich die temperamentvolle Alex aus diesem Typ nichts macht.
Dazu kommt, dass die musikalische Gestaltung der Gesangspartien austauschbar ist und keinerlei bleibenden Eindruck erzeugt. Der offensichtlich auf den Text ausgerichtete Duktus der Melodien erinnert an Dutzende anderer Musicals der Epoche der Achtziger und Neunziger; besonders gelungene Liedmotive oder gar Ohrwürmer sind nicht Mangelware, sondern existieren nicht. Nach der Aufführung kann man sich an kaum ein Gesangsmotiv erinnern.
Einige Charaktertypen sorgen für ein wenig humoristische Spannung, so etwa Thomas Mehnert als Harry oder Katrin Gerstenberger als Hannah. Man merkt, dass diese beiden Künstler auf langjährige Opernerfahrung zurückblicken und daher wissen, wie man einer Rolle auch eine darstellerische Kontur verleiht. Bei den professionellen Musical-Darstellern hat man stets das Gefühl, dass sie nicht ein individuelles künstlerisches Werk interpretieren, sondern den Musical-Standard abspulen, der auf keinen Fall die musikalische und theatralische Rezeptionsfähigkeit des Publikums (über)fordern darf. Dieser Umstand und die Tatsache einer belanglosen Handlung reduzieren die Inszenierung zu einer Ansammlung mehr oder minder temperamentvoller Nummern mit wohl kalkuliertem Humorgehalt. Hin und wieder lacht man schon, aber im Vergleich zur letzten Inszenierung des „Barbier von Sevilla“ ist diesen Musical, das ja eigentlich der Unterhaltung dienen soll, eine humorlose Angelegenheit. Rockmusik und ein paar schmissige Tänze reichen nicht, um einen Abend künstlerisch zu füllen. Aber eine nette Unterhaltung liefert das Musical allemal.
Frank Raudszus
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