Fülle der Farben und Formen

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Die Frankfurter „Kunsthalle Schirn“ widmet dem zeitgenössischen Maler Daniel Richter die Einzelausstellung „Hello. I Love You“.

Blick in die Ausstellung

Blick in die Ausstellung

Daniel Richter, nicht verwandt mit dem dreißig Jahre älteren Kollegen Gerhard Richter, kam 1962 in Norddeutschland zur Welt und lebt heute in Berlin und Wien, wo er an der Akademie für Künste lehrt. Richter ist einer der richtungsweisenden zeitgenössischen Künstler und hat in den letzten Jahrzehnten deutlich voneinander abgesetzte Entwicklungsstufen durchlaufen. Er begann mit rein abstrakter Malerei und ging dann Anfang dieses Jahrhunderts über zu einer figurativen Malerei, die unverkennbar gesellschaftlich und politisch geprägt war. Seine Bilder lebten dabei von den kräftigen, teilweise provokanten Farbkombinationen und typisierten Figuren, bei denen es nicht um die Charakterisierung des Individuums sondern um seine Stellung in seiner Umwelt ging. Dabei standen stets die wesentlichen Faktoren der menschlichen Existenz im Mittelpunkt: Macht, Gewalt und Sexualität.

"Francis der Fröhliche", 2015

„Francis der Fröhliche“, 2015

Die aktuelle Einzelausstellung umfasst 36 Bilder, die alle in den letzten Jahren entstanden sind und damit eine Serie bilden. Richter hat sich in diesen Bildern von der figurativen Darstellung weitgehend gelöst und reduziert seine Motive auf sinnbildliche Elemente, die zwar einen unübersehbaren Bezug zur Realität aufweisen, jedoch auf jeglichen narrativen Kontext verzichten. Teilweise wirken sie wie Vexierbilder, die erst im Auge und Kopf des Betrachters einen Sinnzusammenhang ergeben. Im Gegensatz zur figurativen Phase treten hier keine Soldaten oder sonstige Kämpfer mit martialischen Waffen in eindeutig identifizierbaren Situationen von Kampf oder Unterdrückung auf, sondern nur Bestandteile von Körpern, die im Zusammenhang mit farbigen Flächen eine Konstellation mit den inhärenten Elementen Gewalt und Triebhaftigkeit bilden. Man muss sich die Bilder aus mehreren Metern Distanz anschauen, um die figurativen Details zugunsten eines Gesamteindrucks vernachlässigen zu können. Was aus unmittelbarer Nähe wie ein chaotisches Neben- und Übereinander von farbigen Flächen, Formen und Linien aussieht, gewinnt aus einiger Entfernung die Kontur einer bedrohlichen, gewalttätigen oder sexuellen Situation. Dabei sind Körperteile immer nur im Ansatz durch einen schwungvollen Pinselstrich angedeutet oder durch eindeutige Rundungen und Linienführungen erkennbar, ohne dass ein konsistenter anatomischer Zusammenhang festzustellen wäre. Der einzelne Körperteil in teilweise eindeutigen Positionen steht für den dahinter lauernden Trieb, und die Anordnung der nur zu ahnenden Körper lässt eine entsprechende sexuelle oder gewalttätige Situation erahnen. Richter will mit dieser Serie keine plakativen Geschichten von Gut und Böse erzählen und damit eindeutig gesellschaftlich Stellung in einem moralischen Raum beziehen, sondern die elementaren, triebhaften Kräfte darstellen, die den Urgrund des menschlichen Zusammenlebens bilden.

"Gonzo"

„Gonzo“

Neben diesen emotional aufgeladenen Bildern sieht man andere Bilder in eher gedeckten Farben, die auf den ersten Blick wie Landkarten aussehen. Blaue Farben stehen dann für Wasser und graue oder andersfarbige für Land. Grelle Farben fehlen in diesen Bildern oder bilden nur kleine Kontrastpunkte. Diese Bilder erlauben keine narrative Deutung, die nicht weit hergeholt wäre. Bei längerer Betrachtung kann natürlich jeder Besucher eigene gesellschaftliche oder gar körperliche Interpretationen in diese Bilder legen, doch diese ergeben sich nicht zwingend aus den Bildern selbst. Auch Tabellen und Grafiken, wie man sie aus geschäftlichen oder finanziellen Darstellungen kennt, finden sich in einzelnen Bildern, so etwa eine typische Aktienkurskurve, und verweisen damit auf das reale Leben. Doch auch in diesen Fällen fehlt ein plakativer Verweis auf politisch oder gesellschaftlich zu ächtende Zustände. Diesen Kontext herzustellen bleibt Aufgabe des Betrachters, und dieser kann durchaus auch andere Schlüsse ziehen.

In dieser Serie hat Richter kaum mit dem Pinsel gearbeitet; stattdessen hat er vorrangig die Ölkreide eingesetzt und damit die leuchtenden Farbflächen angelegt oder dynamische Linien – oftmals Köpfe und andere Körperteile – markiert und angedeutet. Gesichter sind in diesen Bildern meist ein Knäuel von Linien, die Triebhaftigkeit und Enthemmung zum Ausdruck bringen.

"Lob der Kleinstaaterei"

„Lob der Kleinstaaterei“

Daniel Richter war bei der Pressekonferenz persönlich anwesend und zeigte bei der – sparsamen – Beantwortung von Fragen einen trockenen Humor. Offensichtlich wollte er dem Publikum keine Deutung „ex cathedra“ liefern, sondern unterminierte die Lobesreden von Direkor Max Hollein und von der Kuratorin Katharina Dohm mit eher ironischen, jedoch nicht abweisenden Randbemerkungen. Antworten auf Fragen aus dem Publikum begann er mit einem gewissen Elan, stoppte dann jedoch den Redefluss, um den Eindruck der Ausstellung nicht durch „Worte des Meisters“ zu präjudizieren. Auf jeden Fall vermied er den Anschein des von der nahenden Apokalypse umwölkten Künstlers, der seinem Publikum weit in die Sphären der hohen Kunst enteilt ist. Und das machte ihn sympathisch.

Die Ausstellung ist vom 9. Oktober 2015 bis zum 17. Januar 2016 geöffnet, weitere Informationen sein auf der Webseite der Kunsthalle Schirn erhältlich.

Frank Raudszus

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