Beim 2. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt präsentieren die norwegischen „Barokksolistene“ eine breite Palette englischer Barockmusik.
Englische Musiker und Komponisten gehörten lange Zeit nicht gerade zur ersten Garde des internationalen Musiklebens. Daher lud sich die kunst- und musiksinnige englische Oberschicht auch gerne Dauergäste wie Händel oder Haydn ein. Doch ein Engländer strahlte lange Zeit wie ein einsamer Stern am Nachthimmel: Henry Purcell. Fast hundert Jahre vor Mozart geboren und ebenfalls nur so alt wie dieser geworden, stellt er für das musikalische England wohl das dar, was Mozart für die Österreicher (und die ihn vereinnahmenden Deutschen) ist. Das norwegische Ensemble „Barokksolistene“ um den Leiter Bjarte Eike hatte für das Gastspiel in Darmstadt ein neues Programm konzipiert und gönnte den Darmstädtern Musikfreunden damit eine Premiere. Für ein Kammerensemble ist die Gruppe mit neun Musikern gut bestückt. Neben den üblichen Violinen und Violen tragen ein Kontrabass, eine Barockgitarre, eine Laute, ein Cembalo und sogar eine Trommel zum Klangerlebnis bei. Außerdem war noch eine Art Ziehharmonika mit von der Partie, die jedoch wie ein kleiner Tisch und deren Zugmechanismus wie eine Schublade aussah. Der Spieler konnte daher nur mit einer Hand auf der kleinen Klaviatur spielen. Das war ganz offensichtlich noch ein Barock-Instrument.
Das Programm war ganz auf Henry Purcell abgestimmt. Bjarte Eike moderierte in flüssigem Deutsch und erwähnte den Premierencharakter dieses Abends, bevor es mit verschiedenen Musikstücken des englischen Komponisten begann. Nach zwei einleitenden Liedern kam ein marschartiges Stück aus Purcells Oper „King Arthur“ zu Gehör, dann folgten Gesangsstücke. Dafür ist in erster Linie der englische Sänger und Violinist Thomas Guthrie zuständig, der Shakespeare durch Purcells Musik interpretierte. Aus „King Arthur“ trug er den berühmten „Cold Song“ mit dem abgehackten Gesang des vom Frost Gepeinigten mit viel schauspielerischem Talent vor. Anschließend folgte ein Duett aus „Fairy Queen“, Purcells Adaption von Shakespeares „Sommernachtstraum“. Guthrie und Viola-Spieler Per Buhre, der auch als Counter-Tenor auftreten könnte, lieferten ein köstliches Duett, in dem Guthrie den feurigen Liebhaber und Buhre das verschämte Mädchen spielte (und sang). Eine Solo-Einlage von Buhre mit einer Purcell-Lied rundete den ersten Teil ab. Sowohl die Musiktheater-Einlagen als auch die humorige und lebendige Moderation von Eike und Guthrie ließen den ersten Teil des Abends wie im Fluge vergehen, ohne dass deswegen der musikalische Teil gelitten hätte. Auch ansonsten boten die Musiker trockenen Humor: als Guthrie ein politisch gefärbtes Lied vortrug, fiel bei der Strophe „the head cut down“ die Trommel polternd um.
Zur zweiten Hälfte erschien das Ensemble in sehr gelockerter Kleidung, und jeder hatte eine Flasche (Theater-)Bier in der Hand. Dieser Teil war im Programmheft als „An Alehouse Session“ angekündigt; es ging also um die Musik in Pubs während der Barockzeit. Man weiß ja, dass die Engländer durch die Jahrhunderte hindurch keine Kinder der Traurigkeit waren und gerne auch einen Schluck zuviel tranken. Diese Stimmung ließen die Musiker jetzt mit ausgelassenen Weisen wieder aufleben. Die Stücke sind meist schlicht und erinnern mit ihren ständig wiederkehrenden Motiven bisweilen ein wenig an die moderne „minmal music“. Hier durfte jetzt jeder ausgelassen musizieren, jedoch stets unter dem Aspekt der „historischen Korrektheit“, soweit man das als Besucher beurteilen kann. Man kann sich aber die Situation in diesen „Alehouses“ gut vorstellen, wo feine und komplizierte Musik nicht angekommen wäre und die Themen einen hohen Wiedererkennungseffekt aufweisen mussten. Im Laufe dieses Teils wurden die Musiker immer ausgelassener, als enthielten die Flaschen wirklich Bier (und keine Apfelschorle). Da wurde getanzt und heftig soliert – auch auf der Trommel; das Zusammenspiel wurde zunehmend expressiv, scheinbar ohne Arrangement. Man darf jedoch davon ausgehen, dass die „Barokksolistene“ ihre Stücke im Gegensatz zu ihren Vorbildern vor vierhundert Jahren bis ins Detail durcharrangiert und geprobt haben und dass die Freiheit der Improvisation mit Bedacht eingehegt wurde. Die Kunst dabei ist, mit Können, Disziplin und hoher Konzentration den Eindruck von Spontaneität und Ausgelassenheit zu erzeugen und dies bis zum letzten Ton durchzuhalten. Dieses Ensemble ist dazu in höchstem Maße fähig und kann nebenher noch eine ganze Menge humoristischer Einfälle einfließen lassen.
Dieser Abend hat tatsächlich einen authentischen Eindruck der Musik des Barockzeitalters vermittelt, die eben nicht nur an Königs- und Fürstenhöfen oder in der Kirche stattfand, sondern am lebendigsten in den Bierstuben Englands.
Frank Raudszus
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