William Shakespeares schaurige Tragödie auf eingeengter „Schaubühne“.
Intrigant, verlogen, heuchlerisch, niederträchtig und nicht zuletzt überaus blutrünstig – Richard der Dritte vereint wirklich alles erdenklich Böse in sich und ist ein lebendes Abbild des Teufels. Die Kunst des Redens beherrscht Richard bis über das Unermessliche hinaus. Der verbalen Ausdrucksform sind keine Grenzen gesetzt und Richard, gespielt von Lars Eidinger, gelingt es, diese Möglichkeiten in bisher ungesehenem Maße auszuschöpfen. Richard ist der Bruder von König Edward, dem er seinerzeit zur Krone verhalf, indem er in Eigenregie unliebsame und vermeintliche Antagonisten ermorden ließ. Richard selbst mangelte es jedoch stets an Ruhm, Ehre und Beliebtheit, denn er wurde als Krüppel geboren, und die illustre Gesellschaft sowie die Damenwelt im Speziellen haben ihn nur als limitierte Randerscheinung wahrgenommen. Bucklig und mit verwachsenen Beinen, die in einem Klumpfuß enden, stakst er über das Parkett – der Kopf wird gehalten von einer Maske, die auch auf geistige Rückständigkeit hinweisen mag. Dem ist allerdings nicht so, denn Richard ist unglaublich schlau. Er hat seine Rolle des gesellschaftlich Aussätzigen akzeptiert und besitzt auch keinen Spiegel, denn er weiß, es gibt nicht Schönes an ihm. So hat er es sich zum Ziel gesetzt, es all diesen feinen Herren und Damen heimzuzahlen. Er will sie mit seiner ungezügelten Amoralität vernichten!
Die kleine Bühne der“Schaubühne“ besticht durch ihre Atmosphäre der Präsenz im Zentrum des Geschehen. So wölbt sich der wenige Reihen tiefe Zuschauersaal um die halbkreisförmige Bühnenauslage, die wie eine Manege aus der Hauptbühne herausragt. Gleichzeitig ragt eine Balkonreihe über die unten sitzenden Zuschauer hinaus, wodurch sich das dort platzierte Publikum ebenfalls nur wenige Meter vom Geschehen entfernt sieht. Das muss es gewesen sein, was zu Shakespears Zeiten die Menschen begeistert hat. Wie man hört, konnte Theater noch tumultig sein, wenn die Zuschauer grölten, zuweilen die Bühne bewarfen oder sie doch gleich eroberten. Heute ist das nicht mehr so – seitens der Zuschauer – aber trotzdem ist die Barriere zwischen Publikum und Akteuren nahezu aufgehoben. Ein Hauptgang zur Bühne führt gar aus einem engen Zugang im Zentrum des Zuschauerraums. Mit großem Getöse wird teils rein- teils rausgesprungen, und ab und an lungert eine Figur auch einige Zeit dort herum. Der einzelne Zuschauer kommt in Augenkontakt mit den Darstellern, lauscht dem gehetzten Atem und meint gar noch den tropfenden Schweiß spüren zu können. Das versprüht etwas Animalisches und dabei unglaublich Intensives und Direktes, was sich auf das gesamte Publikum überträgt.
Richard durchspielt in der Tragödie einen blutigen Weg bis an die totale Macht. Schon vor Beginn des ersten Aktes liegt der Doppelmord an Ehemann und Sohn seiner angebeteten Liebe Prinzessin Anne. Über dem Sarg ihres Mannes begegnet er der jungen Witwe und beginnt sie zu umgarnen. Wortgewaltig und unter der Zurschaustellung völliger Demut gelingt es ihm tatsächlich, ihr verständlicherweise kaltes Herz gegenüber dem Mörder ihrer Familie langsam aber beständig zu erwärmen. Die völlige Absurdität ist mehr als das Wort „grotesk“ beschreiben könnte – es ist ein scheußliches Schauspiel voller Lügen. Aber die Macht der gut gewählten Worte ist bei Richard.
Neben dem Bruder König Edward, der eines Tages weichen muss, gilt es nun auch den in der Erbreihenfolge höhergestellten Bruder Clarence zu beseitigen. Richard gelingt es, den Bruder beim König zu verleumden, so dass dieser ihn einsperren lässt. Noch bei dessen Festnahme versichert Richard ihm gegenüber, wie schockiert er doch über dessen grundlose Festnahme sei und wie er sich für seine Freilassung einsetzen werde. Doch kaum ist Clarence abgeführt, tobt Richard voller teuflischer Freude. Ohne das Zeitfenster verstreichen zu lassen, engagiert Richard zwei Mörder, die seinen Bruder noch am selben Abend in der Zelle ermorden. Dieser fleht noch kurzzeitig um Mitleid und versichert, dass sein Bruder Richard doch sicher alles tun würde, um ihm am Leben zu erhalten. Als ihm die Schergen jedoch erzählen, wer sie schickt, erstarrt er ungläubig. Sein Ende ist besiegelt.
Inzwischen sind die von Richard eingefädelten Intrigen am königlichen Hofe so ausgewuchert, dass unter den Figuren einzig der Hass regiert. Richard selbst prescht mit Unterstellungen gegenüber den anderen voran, so dass diese kaum zu Wort kommen. Sie werden förmlich verbal niedergewalzt. Alleine das Anhören der Worte Richards ist schon schändlich und schädlich, denn es verleitet dazu, einen Funken Wahrheit darin zu erkennen. Dabei ist alles nichts als Lüge. Schließlich ist es König Edward, der sich noch einmal einmischt und darauf dringt, dass sich alle Beteiligten aussöhnen. Wieder ist es Richard, der so tut, als sei er mit allen in tiefster Verbundenheit und sehe alles nach, was möglicherweise gewesen sei, und entschuldigt sich für all das, was er doch nie getan habe, wobei er zwischen den höfischen Adligen hin und her humpelt und deren Hände untertänigst küsst. Königen Elizabeth bittet den König, auch Clarence in die Gnade mit aufzunehmen, woraufhin Edward erweicht. Richard zerstört das traute Zusammensein mit einem dramatischen Anfall zu Clarences Tod, was doch jeder längst wisse und wie infam es sei darüber noch so sprechen. König Edward verfällt darüber in die tiefe Trauer, was ihn schließlich sein Leben kostet. Von nun beginnt der zweite große Akt zur Richards Ergreifung der Krone!
Die Inszenierung von Thomas Ostermeier trifft tief ins Herz. Glücklicherweise vermeidet er eine überbordende Provokation mittels überzogen moderner Darstellung. Die Aufführung ist nahezu klassisch gehalten, mit wenigen zeitgenössischen Akzenten. Dabei ist die Bildsprache der Bühne und der Kostümierung klar und unterstützt die Handlung mit ihren atmosphärischen Gegebenheiten. Die treibende Wirkung des engen Saals ist bei der Intensität des Stückes nicht zu unterschätzen. Und dass das Stück an Richard III. und somit Lars Eidinger ausgerichtet ist, steht außer Zweifel. Dieser steht auch mit maximaler Präsenz im Mittelpunkt, obwohl es anderen Figuren wie u.a. König Edward (Thomas Bading), Königen Elizabeth (Eva Meckbach) und Lady Anne (Jenny König) herausragend gelingt, ihre Figuren überaus glaubwürdig und selbsttragend zu präsentieren.
Malte Raudszus
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