Intrige, Verrat, Rache – der Stoff der Träume

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In der ersten Schauspiel-Premiere der neuen Saison im Staatstheater Darmstadt inszeniert Christian Weise William Shakespeares „Der Sturm“.

In seinem wohl letzten Werk wagt der große englische Autor einen halb abgeklärten, halb resignativen Rückblick nach dem Motto „Es ist, wie es ist“ und veranschaulicht dabei seine Sicht des Verhältnisses zwischen Dichter – heute gleichzusetzen mit dem Bild des Intellektuellen – und der Realität von Macht und Intrige.

Stefan Schuster, Falk Effenberger, Jens Dohle, Bernd Grawert

Stefan Schuster, Falk Effenberger, Jens Dohle, Bernd Grawert

Vordergründig geht es in der „Romanze“ um Prospero, den schöngeistigen Herzog von Mailand, den sein machtgieriger Bruder Antonio samt kleiner Tochter Miranda auf eine kleine Insel verjagt hat, wo Prospero ein magisches Miniaturreich mit ihm selbst, seiner Tochter Miranda, dem hässlichen Sklaven Caliban und dem wirkungsmächtigen Luftgeist Ariel aufgebaut hat und von Rache träumt. Leicht lässt sich diese Konstellation als Parabel auf den bei den Herrschenden unbeliebten, weil unkalkulierbaren Intellektuellen deuten, den man gerne in einen goldenen Käfig einsperrt, aber von der Macht fernhält. Daraus ergeben sich dann Rachephantasien des so Ausgegrenzten, die sich in diesem Traumstück – mit Hilfe Ariels – unversehens verwirklichen lassen. Als das Schiff mit Antonios gesamtem Hofstaat an Prosperos Insel vorbeikommt, lässt dieser durch Ariel einen Sturm entfachen und die gesamte Besatzung auf der Insel stranden – natürlich trotz Sturm, Wellengang, und Unwetter unversehrt und in bestem Zustand. Der Rachefeldzug kann also beginnen.

Anfangs geht es um die Liebesgeschichte zwischen Antonios Sohn Ferdinand und Miranda, die aber bald hinter die Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern zurücktritt. Groteskerweise kommt aber auch diese nie zum Ausbruch, da die Dinge sich anders entwickeln als geplant. Schon das ist typisch für die Kopfgeburten von Intellektuellen, könnte man hier anmerken. Denn noch ehe die von Ferdinand getrennte Restgesellschaft der Schiffbrüchigen richtig zu sich kommt, planen bereits Antonio und Alonsos Bruder Sebastian die Ermordung des Königs, um sich auch das Königreich Neapel unter den Nagel zu reißen. Nur das Eingreifen des umtriebigen Ariel verhindert dies, da er von Prospero den Auftrag erhalten hat, niemand zu Schaden kommen zu lassen. Doch seine Aktivitäten stiften überall Verwirrung, die darin mündet, dass die unterbelichteten Saufkumpanen Trinculo und Stephano beschließen, mit Hilfe Calibans, der sich für die schlechte Behandlung durch Prospero rächen will, den König der Insel – Prospero! – umzubringen und selbst die Herrschaft zu übernehmen. Auch dies kann Ariel rechtzeitig verhindern und erhält dafür von Prospero die Freiheit geschenkt.

Jens Dohle, Christoph Bornmüller, Bernd Grawert, Catherine Stoyan

Jens Dohle, Christoph Bornmüller, Bernd Grawert, Catherine Stoyan

Prospero jedoch, durch des Gedankens Blässe angekränkelt, zweifelt zunehmend an dem Sinn der Rache, gerät durch diesen inneren Konflikt fast in eine Depression, verheiratet Ferdinand und Miranda miteinander und vergibt allen Feinden, da er auch als Mensch fühlt wie sie. Die gemeinsame Rückkehr nach Mailand in Frieden und Freuden ist die logische Konsequenz, aber nicht mehr Teil der Geschichte. Heute würde man ein solches Ende wohl als Kitsch bezeichnen, doch bei Shakespeare ist es so etwas wie höhere Einsicht oder gar ein wenig abgeklärte Resignation. Das eigentliche Ende der Geschichte ist zweitrangig gegenüber der inneren Entwicklung der Hauptperson.

Diesen absurden (Rache-)Traum mit durchaus realem Hintergrund hat Christian Weise mit einigen Rückgriffen auf die zeitgenössischen Aufführungen der Shakespeare-Stoffe inszeniert. Jeder weiß heute, dass Shakespeares Stücke zu seiner Zeit durchaus nicht mit der literarisch „reinen“ Sprache aufgeführt wurden, wie sie Schlegel und Tieck in ihre Übersetzungen eingebracht hatten. Shakespeare war eher für seine deftige Sprache und politisch inkorrekte Ausdrucksweise bekannt, die seine Schauspieler im „Globe Theatre“ auch lustvoll auslebten. Christian Weise stützt sich auf Frank Günthers neuere Übersetzung, die eine moderat moderne Sprache verwendet. Darüber hinaus flicht er einige lokale und aktuelle Bezüge ein, vor allem in der Szene mit Trinculo und Stephano.

Christian Weise ist jedoch nicht der Versuchung erlegen, das ganze Stück einer nahe liegenden Aktualisierung auf das Flüchtlingsproblem zu unterziehen. Schließlich bot sich der Umstand, dass die Schiffsgesellschaft auf einer fremden Insel „angeschwemmt“ wird, dafür geradezu an. Doch der politische oder gesellschaftskritische Ausbau dieser Assoziation wäre schwierig gewesen, da es es sich im Stück ja nicht gerade um Flüchtlinge handelt. Stattdessen betont er jedoch Prosperos ausgesprochen rüden und teilweise erpresserischen Umgang mit Caliban und Ariel. Diese Stellen scheinen von Shakespeare durchaus nicht kritisch gemeint zu sein, doch im heutigen Kontext erscheint Caliban nicht mehr als „untermenschliches“ Monster, das man getrost so behandeln darf, sondern als ausgegrenzter Behinderter. Und Weise lässt die entsprechenden Szenen auch so spielen, dass die Situation so erscheint.

Falk Effenberger, Jens Dohle, Catherine Stoyan

Falk Effenberger, Jens Dohle, Catherine Stoyan

Bühne und Kostüme von Jana Findeklee verweisen ebenfalls auf originale Shakespeare-Aufführungen – soweit man das aus der Rückschau sicher beurteilen kann. Eine leicht ansteigende Bretter-Rampe dient als Spielstätte, einige Requisiten wie ein Totenkopf auf einer Stange und einige lampenähnliche Ständer bilden einen kargen Rahmen. Die Kostüme dagegen sind sorgfältig ausgewählt und charakterisieren die Figuren. Prospero (Bernd Grawert) erscheint im heutigen Dress, mit Weste und buntem Hemd, etwa so, wie man sich einen Künstler oder Intellektuellen vorstellt, der auf Äußerlichkeiten keinen großen Wert legt. Miranda, gespielt von Christoph Bornmüller, trägt ein kurzes Kleidchen, wie es heute Teens tragen. Weise lehnt sich auch hier an Shakespearesche Aufführungen an, bei denen junge Frauen mangels Schauspielerinnen oft von jungen Männern gespielt wurden. Das ist zwar heute nicht mehr der Fall, man kann  es aber als Hommage an Shakespeares Zeit verstehen, denn Bornmüller mischt mit seinem Spiel nicht das Genderverständnis auf, sondern spielt glaubwürdig ein sittsames, etwas verschämtes Mädchen. Während Ariel als „Licht- und Luftwesen“ glaubwürdig von einer Frau (Catherine Stoyan) im hellgrünen Flitterkleid und langem Blondhaar gespielt wird, kommt Caliban (Stefan Schuster) als missgestalteter, hasserfüllter Handwerker mit bloßem Oberkörper und hässlichem Gebiss daher. An ihm ist nichts Märchen- oder gar Gnomenhaftes, sondern er trägt die unverfälschten Merkmale eines sozial Ausgegrenzten.

Die anderen Figuren kommen als „Archetypen“ ohne eigenen Charakter daher. Sie tragen bewusst aufgeplusterte historische Kostüme mit einigem Lächerlichkeitspotential und treten auch dementsprechend auf. Damit verweist Weise sie buchstäblichen an den Rand des Inselkontextes. Ferdinand, bei Shakespeare durchaus eine positive Figur, da er nichts mit den Intrigen seines Vaters und dessen Entourage zu tun hat, ist hier eher ein Abziehbild des jugendlichen Liebhabers. Da die Rolle dramaturgisch auch nicht viel mehr hergibt, hat Weise sie bewusst auf diese Weise abgegrenzt. Darüber hinaus lässt Weise die Hofgesellschaft um König Alonso und Antonio als Marionetten auftreten, die an Ariels Fäden hängen und dort bisweilen recht heftig zappeln. Shakespeares Text deklamieren sie eher wie eingeübte Verse denn als eigenständige Rollen mit Gewicht. Auch sie sind in dieser Inszenierung mit einigem Recht nur Staffage. Dagegen wertet Weise die beiden Saufkumpanen Trinculo und Stephano dramaturgisch auf und zelebriert ihren Auftritt geradezu. Man kann darin durchaus eine gesellschaftskritische Komponente sehen, muss es aber nicht, da Weise sie nicht auf diese Art ausgestaltet. Trinculo (Christoph Bornmüller) ist ein eitler Schwätzer mit fränkischem Akzent und schwadroniert dümmlich über Gott und das Leben, wagt aber auch einen Exkurs über Flüchtlinge und Schiffbrüchige, den er dem Publikum fast um die Ohren haut. Stephano (Bernd Grawert) ist dagegen eine rheinische Frohnatur mit gering ausgeprägtem Sozialgefühl und hoher Affinität zum Alkohol. Die beiden geben ein Duo, das bisweilen in Klamauk ausartet und dabei südhessisches Lokalkolorit einbringt. Man muss diese Art der „Lokalisierung“ nicht mögen, aber sie passt zu dem Saisonmotto „Humor und Lachen“. Auf jeden Fall zeichnen sich die Szenen mit diesen beiden Figuren und Tempo und derben Witz aus, vor allem mit Stefan Schusters Caliban mittendrin.

Catherine Stoyan

Catherine Stoyan

Am Ende gelingt Weise noch ein guter Regiegag, wenn er Stephano (Bernd Grawert) für seinen Mordversuch an Prospero durch diesen bestrafen lässt, wobei sich der bestrafte Täter durch Ablegen seines Kostümes unversehens in den strafenden Richter verwandelt. Ähnlich gewitzt ist die letzte Szene, in der sich Prospero vom Rächer zum Retter wandelt und allen vergibt. Unvermittelt wandelt sich Prospero zu Bernd Grawert, dem Schauspieler, und kommentiert Shakespeares dramaturgische Volte, um kurz darauf wieder ebenso nahtlos zurück in die Rolle zu schlüpfen. Dieses Vexierspiel mit den Ebenen verleiht der Inszenierung zum Schluss noch eine Pointe, die in dem allgemeinen Happy End des Originals fehlt.

Jens Dohle und Falk Effenberger, die auch als Alonso und Adrian auftreten, begleiten die Inszenierung mit Musik und Geräuscheffekten – vom Donner über den Blitz bis zu knarrenden Schiffsbalken – von den Bühnenrändern, binden diese aber auch durch sporadische Kommentare in einer Art Metahandlung an die Bühnenhandlung an und brechen dadurch kurzfristig den fiktionalen Kontext auf. Leider überlagert die Musik in einigen Phasen den gesprochenen Text, der sowieso nicht immer gut zu verstehen ist.

Die Darsteller setzen Weises Inszenierung mit viel Engagement und einiger Verve um. Hervorzuheben sind dabei vor allem Bernd Grawert als Prospero zwischen Ernst, mühsam unterdrückten Rachegelüsten und leiser Ironie einerseits und als Knallcharge Stephano andererseits, wo er richtig „die Sau rauslassen“ kann. Als Alonso hängt er dagegen nur an Ariels Faden. Stefan Schuster überzeugt als heulender, hassender und leidender Caliban und als lächerlicher Ferdinand, wogegen er als Gonzalo fast im Kostüm untergeht. Christoph Bornmüller meistert die dreifache Herausforderung als liebliche Miranda, schwadronierender Trinculo und etwas begriffsstutziger Sebastian überzeugend, und Catherine Stoyan kann wegen Ariels dauernder Präsenz nur diese Rolle spielen, tut dies jedoch mit viel Temperament und mimischem Spiel.

Freundlicher Beifall für alle Akteure, auch die Regie, aber keine Begeisterungsstürme. Die Inszenierung hätte stärkeren Beifall verdient, aber offensichtlich entspricht sie nicht der Erwartungshaltung des Publikums bei Shakespeare-Inszenierungen. Vielleicht erwarten viele auch bei den Komödien doch den gehobenen Ton des Kulturtheaters.

Frank Raudszus

 

Alle Fotos © Sandra Then

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