Ein sehr spezielles Buch über Raubvogelhalter und deren Motive.
Die Falknerei war im Mittelalter und noch lange darüber hinaus vor allem eine Liebhaberei adliger Schichten. Heute ist sie zwar als anerkannte Tätigkeit in entsprechenden Vereinen verankert, führt jedoch für die breite Öffentlichkeit eher eine Randexistenz. Die Autorin bringt in ihrem Buch diese Art der Tierdressur dem Hörerpublikum näher und öffnet den Hörern einen Blick auf die besonderen Eigenarten der Greifvögel.
Helen Macdonald hat jedoch kein Sachbuch über die Haltung von Greifvögeln verfasst, sondern sie erzählt von ihrer eigenen Lebensgeschichte und wie und warum sie zu dieser Leidenschaft kam. Schon als Kind faszinierten sie Raubvögel, und sie träumte immer davon, einen solchen Vogel zu besitzen. Ihr Vater, zu dem sie eine besonders enge Beziehung aufgebaut hatte, unterstützte sie in dieser speziellen Tierliebe und brachte ihr alle die charakterlichen Fähigkeiten für die schwierige Dressur von Raubvögeln bei. Als er – für sie viel zu früh – in bereits vorgerücktem Alter starb, hinterließ er eine große Lücke in ihr, die um so mehr schmerzte, als sie offensichtlich keine eigen Familie hat. Um die Trauer zu bewältigen, beschloss sie, sich endlich ihren Kindheitstraum zu erfüllen und einen eigenen Habicht zu dressieren. Der Habicht ist der größte und eigensinnigste der heimischen Greifvögel (vom Adler einmal abgesehen) und stellt daher die höchsten Anforderungen bei der Dressur, bietet aber auch das größte Prestige unter den Haltern. Nach eingehender Beschäftigung mit dem Thema kamen daher für Helen Macdonald weder Sperber noch Falke in Frage, es musste ein Habicht sein.
Bei dem Literaturstudium stieß sie auf eine detaillierte Einführung in die Habicht-Dressur eines englischen Lehrers, der sich als notorischer Junggeselle neben seinem ungeliebten Beruf an einem Internat dieser Liebhaberei gewidmet hatte. Je mehr sie sich mit diesem Mann beschäftigte, desto mehr faszinierte sie seine offensichtlich komplizierte Psyche. Bald fand sie heraus, dass er homosexuell veranlagt war, diese Neigung jedoch im England der Vorkriegs- und Kriegszeit nicht zeigen und schon gar nicht ausleben konnte. Seine zusätzliche Angst vor dem Krieg ließ ihn sich immer tiefer in sein geliebtes Hobby verkriechen, was jedoch zur Folge hatte, dass er die Greifvögel verstand wie kein anderer. Helen Machdonald sah in ihm offensichtlich einen frühen Seelenverwandten und baute seine Biographie systematisch in ihr Buch ein. Seine Außenseiterrolle traf nach ihrem Gefühl auch auf sie zu – warum auch immer -, und sie baute ihn in ihrem Buch geradezu zu einer Art „alter ego“ für sich auf. Man erfährt jedoch nie, warum sie sich als Außenseiterin fühlt, warum sie keine Familie hat und alleine in einem einsamen Haus auf dem Lande lebt, wo sie schreibt und an Greifvögel denkt.
Sie beschafft sich tatsächlich einen Habicht und beginnt, ihn systematisch zu dressieren. Dabei merkt sie, wie schwierig es ist, einen Vogel, der die Freiheit gewohnt ist und von der Jagd auf andere Tiere lebt, an den Menschen zu gewöhnen und sich diesem zu fügen. Der Bericht über die Dressur dieses aggressiven Greifvogels hin zu einem Freund und Begleiter ist gleichzeitig ein Bericht über die Bewusstwerdung der eigenen Situation. In der intensiven Beschäftigung mit dem Vogel lernt Helen Macdonald ihre eigene Persönlichkeit, ihre Ängste, Sehnsüchte und Schwächen kennen und gewinnt eine neue Einstellung zu ihrer Umwelt. Das bedeutet zwar nicht, dass sie am Ende heiratet und viele Kinder bekommt, aber ihre fast zwanghafte Trauer über den Tod des Vaters, ihre Einsiedelei und ihre introvertierte Selbstschau weichen einer pragmatischeren Weltsicht. All das drückt sie nicht plakativ in der Art eines Lebensberaters aus, sondern man merkt es eher an ihrem langsam sich ändernden, weniger leidenden und weltabgewandten Stil. Am Ende hat der Habicht ihr vieles über das Leben beigebracht, und sie gewährt ihm daher eine gewisse Freiheit, ohne zu wissen, ob er nach einem Ausflug wieder zu ihr zurückkehren wird.
Cathlen Gawlich liest das Hörbuch mit dichter Intensität und bringt damit die besondere psychische Befindlichkeit der Autorin überzeugend zum Ausdruck.
Das Hörbuch ist im Verlag „Hörbuch Hamburg“ erschienen, umfasst 6 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 450 Minuten und kostet 20,95 Euro.
Frank Raudszus
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