Der Liederabend „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte“ von Arno Waschk in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt ist Georg Christoph Lichtenberg gewidmet.
Um gleich eins klarzustellen: es handelt sich bei dieser Inszenierung nicht um die Würdigung irgendeines „Lichtenberg-Jubiläums“ – Geburt oder Tod. Aber da Georg Friedrich Lichtenberg (1742-1799) im weitesten Sinne ein Darmstädter und außerdem ein versteckter Komiker war, boten sich seine so treffenden wie ironischen Aphorismen als Grundlage eines Programms zum Saisonmotto „Lachen“ an.
Nun mutet Lichtenbergs Leben nicht gerade als Lachnummer an. Durch diverse Krankheiten schon früh entstellt, führte er lange Zeit das Leben eines hypochondrischen Einsiedlers und fand erst spät zu einer familiären Bindung. Doch seine hohe Intelligenz und Beobachtungsgabe ließen ihn zu einem unbestechlichen Kommentator und Kritiker seiner Zeit werden. Seine Aphorismensammlung ist voller treffender Einfälle und Erkenntnisse zum Lauf der Welt und zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen oder menschlichen Schwächen. Die ironische, oft auch sarkastischen, jedoch nie zynischen Anmerkungen zum Weltgeschehen bieten durch ihre Treffsicherheit viel Stoff für eine humoristische Verwertung. Der Musiker (Pianist) und Dirigent Arno Waschk hat sich dieses Themas angenommen und eine Reihe von Lichtenberg-Texten in Liedform gebracht. Eigene Lieder ergänzen den Lichtenberg-Reigen, und das Abendprogramm aus dreizehn „Nummern“ deckt die weit gespannten Tätigkeiten Lichtenbergs von der Philosophie bis zur Elektrizitätslehre ab.
Arno Waschk hat auch selbst die Regie übernommen und die Lieder einer fünfköpfigen Schauspieltruppe plus einem Pianisten anvertraut. Zu Beginn zieht das Ensemble – Katharina Hintzen, Maria Radomski, Katharina Susewind, Christian Klischat, Hubert Schlemmer – unter lebhaften Gesprächen und mit irrlichternden Taschenlampen wie eine Geheimgesellschaft über eine Galerie in den abgedunkelten Bühnenraum, wo Pianist Ulrich Partheil bereits am Klavier sitzt und den Einzug musikalisch untermalt. Dort setzen sie sich wie ein Geheimbund eng zusammen und beginnen ihr Treffen als „Anonyme Aphoristiker“, die es sich zum Ziel gesetzt haben, auf jeden tiefgehenden Gedanken – Aphorismus – zu verzichten und selbst das Wort „meinen“ zu vermeiden. Doch der Aufnahmeantrag eines gewissen Georg Friedrich Lichtenberg führt zu heftigem Streit in der Gruppe, der sich dann in gemeinsam oder solo vorgetragenen Liedern und kurzen Szenen entlädt. Da hört man dann – unvermeidlich! – eine Ode an Darmstadt frei nach Lichtenberg, der zwar im nahen Ober-Ramstadt geboren wurde, aber bis zu seinem Studium in Göttingen in Darmstadt zur Schule ging. Das ist natürlich „Zucker für den Affen“, und das Publikum nahm die Einladung zum Lachen auch sofort an. Weiter geht es über die Seebäder, die Lichtenberg einst nach dem englischen Vorbild auch für Deutschland forderte, worauf zwei reine Waschk-Kompositionen über Lichtenberg folgen. Ein längerer Song gilt Lichtenbergs Verhältnis zu Goethe, der sich von dem Wissenschaftler vergeblich Zustimmung zur „Farbenlehre“ erhoffte, und danach erfolgt der musikalische Höhepunkt, in dem Hubert Schlemmer eine abgewandelte Version der berühmten „Bildnis-Arie“ aus Mozarts „Zauberflöte“ singt und die Liebe durch die (elektrische) Ladung ersetzt. Im Folgenden werden noch Bach und Schubert als Musiklieferanten neben Lichtenberg als Texter einbezogen, und den Schluss bildet eine temperamentvolle Vertonung des Aphorismus´ „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung“.
Die fünf Schauspieler sind mit vollem Herzen und körperlichem Einsatz bei der Sache und zünden ein wahrhaft witziges und geistreiches Feuerwerk aus Lichtenbergs Gedanken und Eigenarten. Christian Klischat rastet als Leiter der „Anonymen Aphoristiker“ buchstäblich aus und landet in gespielter Bewusstlosigkeit und „Lilien“-Unterhosen auf dem Boden der Tatsachen. Katharina Susewind liefert einen beeindruckenden Beweis ihrer Gesangskünste – sie ist ausgebildete Sängerin und könnte glatt in der Oper auftreten -, Maria Radomski präsentiert einen grotesken Sketch mit einem zappeligen Fisch, und Katharina Hintzen spielt das Blondchen mit kurzem, transparentem Röckchen und einem gekonnten Augenaufschlag. Offensichtlich eine Anspielung an die „Stechardin“, Lichtenbergs zeitweilige junge Geliebte.
Die Musik dazu liefert am Flügel der bekannte Darmstädter Jazz-Pianist Ulrich Partheil, der am Schluss Lichtenbergs Perücke trägt, die aber wegen seiner virtuosen Spieltechnik eher auf Mozart als auf den Aphoristiker verweist. Darmstädter Jazz-Freunde können Partheil jetzt auch einmal mit voller Haarmähne bewundern, also nichts wie hin!
Frank Raudszus
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