Hilfsbereitschaft auf portugiesische Art.
Es ist kurz nach halb neun am Morgen. Unser Zug zu dem Ort Rhoda steht im Bahnhof von Porto bereit zur Abfahrt um zwanzig nach neun, wie die Anzeigetafel es ankündigt. Worauf sollen wir noch warten? Steigen wir doch schon jetzt ein! Es ist nämlich wichtig, auf der rechten Seite am Fenster zu sitzen, denn der Zug wird zwei Stunden lang am Ufer des Douro-Flusses entlang säumen. Und diese schöne Aussicht wollen wir uns nicht entgehen lassen.
Unser Abteil wirkt noch recht leer. Die Wahl des besten Sitzplatzes – natürlich in Fahrtrichtung – fällt angesichts des großzügigen Angebots an freien Plätzen fast schon schwer. Wir treffen unsere Wahl und richten uns gemütlich ein, als der Zug auch schon losruckelt – zwanzig Minuten zu früh! Das ist schon etwas komisch. aber wir befinden uns in Portugal, wo die Uhren sowieso anders gehen. Die Sommerzeit eilt hier ja auch zwei Stunden vor und nicht eine wie in Deutschland.
Ein letzter Blick auf den Bahnsteig zeigt, dass noch sehr viele Menschen mit Kind und Kegel, Oma und Opa auf einen Zug warten. Unser ist jedoch schön leer, beim genauen Hinschauen sogar total leer. Auch die anderen Waggons wirken verödet. Ja, was jetzt? Sind wir etwa die einzigen Fahrgäste? Wir laufen durch alle Waggons – niemand da!
Schon geht durch einen langen Tunnel. Gibt es nicht eine Kurzgeschichte von Dürrenmatt, in der ein Zug in einen Tunnel rast und nie mehr ans Tageslicht kommt? Schließlich im Hades landet? Unser Tunnel endet jedoch glücklicherweise bald. Tageslicht scheint wieder durch die Fenster, und da nähert sich auch schon der nächste Bahnhof. Wir beschließen, wieder auszusteigen und auf den nächsten Zug zu warten.
Leider rast unser Zug ungebremst an den Bahnsteigen vorbei. Na gut, steigen wir halt im nächsten Bahnhof aus. Doch auch durch diesen fegt der Zug hindurch. Wieder geht es in einen Tunnel, und hier beginnt es gar in Strömen zu regnen. Unser Zug ist derweil merklich langsamer geworden, hält dann an und rollt sogar zurück. Riesige Besen bearbeiten senken sich herab und beginnen, die Außenwände und Fensterscheiben zu wischen. Wir fahren offenbar durch eine Zugwaschanlage.
Langsam wird es gruselig! Wird dieser Zug überhaupt noch von einem Menschen gesteuert? Wir können niemanden ansprechen. Männer in hellgrünen Schutzwesten arbeiten an den Weichen und auf den Gleisen. Aber immer, wenn wir winken und auf uns aufmerksam machen wollen, drehen sie sich um oder schauen weg. Jetzt wird der Zug langsamer. Vielleicht eine Chance auszusteigen. Ganz langsam rollt er nun, kommt dann zum Stehen, und wir können sogar die Tür öffnen. Um uns jedoch nur Gleise, rostbraun. Ein verwirrendes Schienennetzwerk. Da schließt sich die Tür auch schon wieder und der Zug nimmt erneut Fahrt auf. Keine Bahnhöfe mehr, keine Bahnsteige, nur noch Schienenstränge. Hier wird wohl ein Abstellgleis gesucht. Wenn wir Glück haben, geht es vielleicht morgen früh zurück nach Porto. Das wären dann vierundzwanzig Stunden Warteposition in einem Zugabteil. Toiletten gibt es allerdings nicht, auch nichts zu essen und zu trinken. Keine angenehme Vorstellung!
Jetzt hat der Zug ein Abstellgleis irgendwo im Nirwana gefunden und hält.Die freundlichen Damen der Putzkolonne warten schon und staunen nicht schlecht, als wir zwei Touristen mit Rucksack und Strohhüten frohgemut aussteigen. Sie lachen schallend und gackern aufgeregt auf portugiesisch. Wir können uns nicht mit ihnen verständigen. Deshalb deuten sie nach vorne zur Zugmaschine, die tatsächlich von einem Fahrer gelenkt wurde. Auch er kommt recht frohgemut auf uns zu. Er spricht Englisch und nimmt die Situation recht gelassen. Man stelle sich kurz einen deutschen Zugführer in dieser Situation vor.
Er führt uns entlang der Schienenstränge, überquert häufig rostige Schienen und auch mal kurze Plattenwege und Schwellen. Alleine würden wir hier keinen Meter gehen, aber mit unesrem Guide fühlen wir uns sicher.
Schließlich landen wir an einem gläsernen Verschlag, in dem andere Bahnbeamte frühstücken und ebenfalls viel Spaß bei unserem Anblick verspüren. Es wird palavert und gelacht, Köpfe werden geschüttelt- Wir sind besser als jeder gute Witz. Unser Zugführer mein schließlich, den Zug nach Rhoda könntenh wir vergessen, der fahre nur einmal am Tage – um 9:20 Uhr ab Porto…..
Doch dann geschieht das Wunder. Der Zugführer hat die Idee, den Zug nach Rhoda anzuhalten, mitten auf der Strecke, so dass wir zusteigen können. Er greift zum Handy, und tatsächlich: kurz darauf hält der Zug auf freier Strecke, wir steigen ein, und von den Fahrgästen wundert sich niemand. Nur wir wundern uns, denn das wäre in Deutschland sicher nicht möglich gewesen.
Barbara Raudszus
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