Roman über eine Kriegsbegegnung.
Als Kind begegneten der Autorin Irene Ruttman Begriffe wie „Seuchenbaracke“ und „Grabenkoller“ oder auch französische Flussnamen wie die Aisne. Obwohl sie mit den Wörtern nicht viel anfangen konnte, klangen sie in ihren Ohren bedrohlich, teilweise auch geheimnisvoll. Ebenso geheimnisvoll kam ihr eine kleine Blumenvase vor, die ihrem Vater kostbar war, denn er ermahnte sie immer wieder, sie nur nicht fallen zu lassen, da sie seine einzige „Kriegsbeute“ sei. Wieder hallte ein Begriff in ihr nach, mit dem sie als kleines Mädchen nichts anzufangen wusste.
Erst viel später – der Vater ist mittlerweile verstorben – liest sie sich in die Kriegstagebücher ihres Vaters aus dem Ersten Weltkrieg ein, und die Begriffe aus Kindertagen bekommen endlich Bedeutung und Gewicht, erklären die Bürde, die ihr Vater als junger Mann nach dem Krieg durchs Leben schleppen musste.
Im Ersten Weltkrieg ist Max als Krankenträger im 177. Sächsischen Infanterieregiment zuerst in Frankreich und dann in Russland stationiert und transportiert verwundete Soldaten. Eigentlich wollte er Medizin studieren. Nun befindet er sich im Ersten Weltkrieg an der Front in Frankreich und transportiert verwundete Soldaten. Sein Leben besteht aus einer großen Traurigkeit, die noch schlimmer ist als die ihn latent begleitende Angst. Auch hat sich in ihm eine inneren Leere ausgebreitet, und viele „verknotete“ Gedanken besetzen seinen Kopf, die er nicht recht entschlüsseln kann.
Als er eines Tages auf der Suche nach Salbeiblättern – um Tee für seine magenkranken Kameraden zu kochen – durch ein französisches Dorf streift, begegnet er der jungen Adèle. Sie lebt in dem Dorf, das die meisten Einwohner schon verlassen haben, und hält die Stellung in einer ehemaligen Zahnarztpraxis. In einem anschließenden Bauerngarten schneidet sie Salbeiblätter von einem Busch.
Zwei junge, lebenshungrige Menschen, eigentlich Feinde, treffen aufeinander, und zwischen den beiden entwickelt sich eine vorsichtige, zarte Liebesbeziehung – genau das Gegenteil zum Kriegsgeschehen. Mehr durch Körpersprache als durch verbale Kommunikation kommen sie einander näher, da sie die Sprache des jeweils anderen nicht sprechen. Auch die Wichtigkeit der kleinen Blumenvase, der sogenannten Kriegsbeute, erklärt sich dabei.
Irene Ruttmann hat anhand der Kriegstagebücher ihres Vaters einen anrührenden Roman geschrieben, der auf unaufdringliche Weise über Liebe und Hoffnung erzählt, die glücklicherweise auch in Zeiten der Zerstörung zum Blühen kommen können. Allerdings bleiben die Wunden der Kriegsereignisse auch im Gedächtnis eingebrannt und sind ständige Begleiter im weiteren Leben. Auch ohne direkte Kommunikation sind sie für die nächste Generation spürbar.
Das Buch ist im Zsolnay-Verlag erschienen und kostet 17,90 Euro.
Barbara Raudszus
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