Beim Rheingau-Musik-Festival spielen das „Orchestre de Chambre de Lausanne“ und Denis Kozhukhin Beethoven.
„Beethoven satt“ gab es am Freitag, dem 21. August, im Friedrich-von-Thiersch-Saal im Wiesbadener Kurhaus. Der Abend war ganz in Es-Dur getaucht, der Tonart für strahlende Anlässe. Beethovens 5. Klavierkonzert hätte eigentlich Igor Levit interpretieren sollen, doch der musste krankheitshalber kurzfristig absagen. Für ihn sprang glücklicherweise Denis Kozhukhin ein, der mit seinen 28 Jahren bereits eine steile Karriere durchlaufen hat und sich als mehr denn „nur“ Ersatz erwies. Anschließend interpretierte das renommierte Orchester aus Lausanne Beethovens 3. Sinfonie, die „Eroica“.
Kleine Slapstick-Effekte sorgten zusätzlich für Heiterkeit. Vor Beginn des Klavierkonzerts erschienen etwa zehn Geiger durch die linke Bühnentür und setzten sich auf die Plätze der Ersten Violinen vor dem – noch leeren – Flügel. Dann geschah einige Minuten nichts. Als der Rezensent schon vermutete, dass er hier eine völlig neue, kammermusikalische Version des berühmten Klavierkonzerts mit Flügel und Violinen „solo“ zu hören bekommen würde, öffnete sich die andere Tür einen Spalt, eine schwarz gekleidete Frau lugte vorsichtig durch den Spalt und wagte dann, gefolgt vom Rest der Musiker und Musikerinnen, den Gang auf die Bühne. Heiterkeit und Erleichterung, da nun doch mit einem kompletten Orchester zu rechnen war. Offensichtlich hatten sich die Schweizer Musiker auf der „backstage“ ein wenig verirrt.
Als dann Dirigent Jamie Phillips, ganz im Stile Napoleons, der in gewissem Sinne für die „Eroica“ Pate gestanden hat, schwungvoll die Bühne zur Aufführung dieser Sinfonie betrat, stolperte er über den Stuhl einer Violinistin und wäre beinahe in die erste Publikumsreihe gestürzt. Doch dank seiner jugendlich sportlichen Körperbeherrschung konnte er diesen Sturz vermeiden und sein Dirigat beginnen. Nicht auszudenken, was hätte passieren können. So aber blieb es nach einer Schrecksekunde bei einem weiteren Heiterkeitseffekt.
Musiziert wurde natürlich auch, und zwar vom Feinsten. Denis Khozhukin zeigte bereits mit den ersten Anschlägen, wie er Beethovens beliebtestes Klavierkonzert zu nehmen beabsichtigte. Beherzt und energisch ging er die ersten kräftigeren Einsätze an und zeigte mit kraftvollen Armbewegungen bei den abschließenden Akkorden, dass er den heroischen Aspekt dieses Konzerts hervorzuheben gedachte. Der Beiname „Emperor“ des Konzerts legt diese Interpretation auch nahe, und darüber hinaus passt sie auch zu der „Eroica“, die ihr Motto ebenfalls deutlich im Namen trägt. Mit seinem zupackenden Stil verdeutlichte Khozhukin vom ersten Augenblick an, dass er nicht den Part eines Ersatzmannes zu spielen gedachte, und legte dabei souveränes Selbstbewusstsein an den Tag. Überflüssig zu erwähnen, dass er mit technischer Perfektion spielte. Doch diese Perfektion wirkte nie angestrengt sondern wie angeboren. Auch den malerischen, teilweise weit ausladenden und fast ein wenig romantisch anmutenden Passagen des ersten Satzes verlieh er – auch mit Rubatos – eine eigene Prägung jenseits des strahlenden Grundtenors. Die lyrische Intensität des zweiten Satzes – ein „Adagio und poco mosso“ – arbeitete er mit ausgeprägter Liebe zum Detail heraus und entlockte jedem einzelnen Ton einen eigenen Klang. Man sah, wie seine rechte Hand die Töne mit sanftem, bisweilen verzögertem Anschlag buchstäblich den Tasten entlockte. Jamie Phillips nahm das Orchester vor allem in diesem Satz – wo nötig – zurück, ohne es zum reinen Begleitinstrument zu degradieren. Sobald die musikalische Führung auf das Orchester überging, war es sofort präsent und verdeutlichte, dass Beethoven das Orchester stets als gleichwertigen Partner des Solisten betrachtete. Nach dem spannungsgeladenen Übergang zum Rondo des Finalsatzes konnte Khozhukin noch einmal seine technische Brillanz zeigen, denn hier lässt Beethoven die Musik frei fließen und das Klavier sich in kaskadenförmigen Läufen entfalten. Khozhukin nutzte den Klangkörper des Flügels voll aus und brachte die Tonart Es-Dur buchstäblich zum Strahlen. Jamie Phillips und das Orchesters zeigten sich dabei als Partner auf Augenhöhe und glänzten durch exakte Einsätze, gestochen scharfe Intonation und ausgesprochene Spielfreude.
Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete lang anhaltenden, kräftigen Beifall, so dass Khozhukin noch zwei eher ruhige Zugaben – Glucks „Orfeo“ und ein Bach-Präludium – drauflegte, die er mit viel musikalischer Intensität vortrug und die ihm noch einmal viel Beifall einbrachten.
Die „Eroica“ setzte die Linie des „Aufbruchs zu neuen Ufern“ sinngemäß fort. Die ersten Akkorde, die in gewisser Weise denen der „Fünften“ ähneln, führten den aufklärerischen, zukunftsorientierten Impetus des Klavierkonzerts nahtlos fort. Nichts ist in diesen beiden Werken von der enttäuschten Sehnsucht der frühen und den Zweifeln und der Resignation der späten Romantik zu spüren. Der Freiheitsdrang und die Hoffnungen der Aufklärung schlagen sich vor allem in der „Eroica“ deutlich nieder, auch wenn der zweite Satz als eher düsterer Trauermarsch daherkommt. Diese Trauer wirkt jedoch konkret, das heißt sie trauert über etwas oder jemanden und nicht über die Sinnlosigkeit des Lebens. Jamie Phillips ging den ersten Satz in einem forcierten Tempo an, achtete dabei aber jederzeit auf Transparenz und einen schlanken Klang, der kurzfristig sogar kammermusikalische Züge annahm. Dem zweiten Satz, der stets unter dem Damoklesschwert einer in die Breite gehenden, schwülstigen Interpretation steht, verlieh er Intensität und Dichte, vermied aber jegliche lamentierende Breite. Das Scherzo des dritten Satzes brachte nach dem introvertierten „Marcia funebre“ wieder Leben und Vorwärtsdrang, ganz im Sinne der Aufbruchstimmung der Zeit nach der französischen Revolution. Der vierte Satz stellt in der Gattung der Sinfonie eine Besonderheit dar. Hier hat Beethoven ein frühes Variationenthema verarbeitet und fast unverändert als Finalsatz eingebracht. Ein liedhaftes Thema geht durch die einzelnen Instrumentengruppen, wird mal im Pizzicato von den Streichern, mal eher lyrisch von den Holzbläsern und dann wieder martialisch von den Blechbläsern abgewandelt und vorgetragen und vom Orchester abwechslungsreich umspielt. Diesem Satz fehlt die typische Wucht anderer Beethovenscher Finalsätze, er wirkt – etwa im Vergleich zur „Fünften“ oder zur „Siebten“ – fast spielerisch und scheint die vorangegangenen Sätze in ihrer Entschiedenheit ironisch zu brechen. Die Interpretation des Orchestre de Chambre de Lausanne wirkte dabei wie aus einem Guss, und Jamie Phillips hielt den Spannungsbogen bis zum letzten Akkord aufrecht.
Das Publikum war auch von dieser Aufführung angetan und dankte Orchester und Dirigent mit kräftigen, lang anhaltendem Beifall. Jamie Phillips ließ sich denn auch nicht „lumpen“ und legte noch eine konzertante Zugabe von Edward Elgar nach, die einen großen Konzertabend abrundete.
Frank Raudszus
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