Spanische Leidenschaft im Kleinbürgergewand

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Michael Quast und Sabine Fischmann spielen beim Rheingau-Musik-Festival „Carmen à trois“.

Die Musik-Komiker – oder Komik-Musiker? – Michael Quast und Sabine Fischmann haben vor einigen Jahren die Serie „…à trois“ gegründet, bei der sie bekannte Opern zu zweit und mit der Unterstützung eines Pianisten als Orchester präsentieren. Wir haben hier bereits „Don Giovanni à trois“ und „Fledermaus à trois“ vorgestellt. In diesem Jahr bieten die beiden Künstler – passend  zur Sommerhitze – im Eltviller „Langwerth  von Simmern´schen Rentamt“ George Bizets Spaniendrama „Carmen“.

Schon der Auftakt ist komisch: es erscheint allein der Pianist Rhodri Britton, setzt sich ans Klavier und  wartet. Nichts geschieht. Dann naht ein schüchternes Paar, sie im engen Rock und roter Bluse und ein wenig verkrümmt vor offensichtlicher Bühnenangst, er im engen Pullunder und Fliege. Kurz: zwei verklemmte Kleinbürger. Als Michael Quast die vielen Zuschauer sieht, bekommt er Angst und dreht um. Sabine Fischmann kann ihn mit Mühe dazu bringen, auf die Bühne zu steigen, wo dann beide mit nestelnden Fingern und hochgezogenen Schultern wie Schulanfänger dastehen und anscheinend nicht wissen, wie es weitergehen soll.

Sabine Fischmann und Michael Quast in Aktion

Sabine Fischmann und Michael Quast in Aktion

Doch mit den ersten Tastenanschlägen von Rhodri Britton ändert sich das Bild. Die gespielte Ängstlichkeit verschwindet, und die beiden Musik-Komiker sind in ihrem Element. Schon die Ouvertüre bringt die ersten Lacher, wenn die beiden das Klavier mit seltsamen Kindertröten begleiten, natürlich musikalisch immer stimmig, wenn auch bewusst schräg. Dann trägt Quast die Regieanweisungen vor und verliert sich in episch-kraftvollen Formulierungen über die andalusische Sommerhitze von Sevilla, bis ihn Sabine Fischmann fast schon grob auf den Boden der Bühne zurückholen muss. Dieses Spiel im Spiel von zwei Musikern, die versuchen, eine Oper vorzutragen, setzt sich durch die gesamte Aufführung fort, wobei Sabine Fischmann und Michael Quast das reibungsvolle und zeitweise heftig knarrende Zusammenspiel der beiden virtuos perfektionieren. Quast verfällt immer wieder in uferloses Schwadronieren und wird von Fischmann diszipliniert, dafür rächt er sich, wenn sie den ländlichen Dialekt der Micaëla (hier irgendetwas Nordbadisches) nicht richtig imitiert und er sie auf offener Bühne korrigiert. Das geht dann schon mal an jeglicher Regiedisziplin vorbei und endet in bewusst belehrenden Vorhaltungen. Dann wieder fehlt Michael Quast in diesem Duo scheinbar völlig das Gefühl für die musikalische Situation, wenn er einen ergriffenen Gesangs- oder Instrumentalvortrag (auf dem Mundklavier) seiner Partnerin mit lauten, theatralischen Beckenschlägen begleitet, in Wirklichkeit aber die Wirkung zerstört.

Es geht also in dieser Opernversion nicht nur darum, die Handlung möglichst komisch zu verdichten und die vielen Rollen auf zwei Personen zu verteilen, sondern ebenso um die Konkurrenzsituation und den Futterneid innerhalb eines solchen Duos. Bei diesem stillen Zweikampf packt jeder die Waffen aus, die er zur Verfügung hat: Michael Quast seine voluminöse Stimme und einen breit ausladenden Drang zum Schwadronieren, Sabine Quast erst gezielte Kritik an den Schwächen ihres Partners und dann – als letztes Mittel – die Erotik. Als Michael Quast einmal besonders weitschweifig erst zu erzählen und dann zu singen beginnt – er übernimmt einfach ihren Part (!) – flirtet sie angelegentlich mit dem Pianisten, setzt sich dann zu ihm ans Klavier und aalt sich schließlich auf seinem Schoß, während Quast beharrlich weiter singt. Diese Art der doppelten Komik-Ebenen benötigt das Format aber auch, denn die komischen Effekte der reinen Opernverdichtung auf zwei Personen sind zwar durchaus gegeben, erschöpfen sich aber auch. Der breite bayrische Dialekt des Leutnant Zuniga und der bewusst klischeehaft gehaltene „Ausländertonfall“ der Carmen reichen nicht für über zwei Stunden. Doch zusammen mit dem Psychokrieg zwischen den beiden Darstellern ergibt das Ganze eine sehr komische Mischung, die das Publikum eins ums andere Mal zu kräftigen Lachern animierte.

Rhodri Britton, Klavier Michael Quast, Sabine Fischmann

Rhodri Britton, Klavier
Michael Quast, Sabine Fischmann

Selbst die Kirche spielte am Samstag Abend unfreiwillig (?) bei der Inszenierung dieser von heißer Leidenschaft, Eifersucht und Rache handelnden Oper mit. Als Sabine Fischmann eine längere lyrische Arie über Liebe und Leid auf ihrer Melodica mit einem letzten Seufzer ausklingen ließ, beendete die nahe Kirche diesen Vortrag mit einem lauten Glockenschlag. Lachen auf den Rängen, breites Grinsen hinter vorgehaltenen Händen auf der Bühne.

Versteht sich von selbst, dass die drei Musiker auf der Bühne bei aller Komik und gespieltem Dilettantismus musikalisch Einiges zu bieten haben. Auch wenn sie Bizets bekannte Melodien stimmlich bewusst verfremden, stimmen natürlich Metrik und Melodie stets genau, selbst wenn  die Töne schräg sind und die Stimmen ins Falsett rutschen. Auch auf den Instrumenten sind die beiden versiert; Sabine Fischmann zeigt auf der Melodica – eigentlich ein Kinderinstrument – erstaunliche Fähigkeiten, während sich Michael Quast für die Becken begeistert und ansonsten auch mal die Pauke bedient. Sängerisch haben die beiden auch Einiges zu bieten, wobei sie jedoch bewusst auf den „Belcanto“ verzichten und den Operngesang eher parodieren. Michael Quast gibt gerne den Helden-Bariton (Tenor ist er ja nicht), und Sabine Fischmann hangelt sich schon mal mit gellenden Lauten in höchste Lagen empor. Doch selbst da merkt man, dass beide singen können, wenn es vielleicht auch nicht zu einer internationalen Opernkarriere reicht.

und noch einmal Sabine Fischmann und Michael Quast

und noch einmal Sabine Fischmann und Michael Quast

Natürlich vernachlässigen sie auch das Szenische nicht. In Ermangelung eines Bühnenbildes müssen sie sich dabei voll auf Körpersprache und Stimme verlassen und tun das auch mit vollem Einsatz mit den Mittel des guten alten Straßentheaters. Dass dabei auch mal etwas schiefgeht und Sabine Fischmann mit ihrem ausholenden Körpereinsatz den Pianisten buchstäblich vom Hocker fegt, gehört zum Risiko des Bühnenlebens. Oder dass Quast seiner Partnerin im Eifer des Gefechts mit der flachen Hand auf den verlängerten Rücken schlägt und anschließend in gespielter Peinlichkeit geradezu erstarrt. Oder dass Sabine Fischmann in vermeintlichem Ärger dem armen Pianisten eine Ohrfeige verpasst. Und bei der Schmugglerszene ziehen die beiden alle Register der Heimlichkeit, des Versteckens und des Flüsterns – bis Micaëla in die Szene platzt und alles durcheinander bringt.

Man sieht, bei dieser Oper ist einiges Los, es ist sozusagen eine „Carmen Light“, die man hier genießen kann. Übrigens, wer die Oper gar nicht kennt, lernt hier die Handlung kennen, denn die drei Musiker gehen die gesamte Oper mit den bekannten Melodien und allen handelnden Personen durch. Nichts bleibt unklar, außer dass die letzte Szene – wieder mal – nicht richtig klappt, weil Michael Quast alias José das Messer verlegt hat, mit dem er Sabine Fischmann alias Carmen erstechen soll. Da muss wieder mal die Frau die Handlung – sprich: Quasts Hand – an sich reißen und sich damit selbst erstechen. Ein hübsches Zwischenspiel ist auch die berühmte Torero-Arie, in die die beiden eine Menge von Ohrwürmern der letzten zwanzig bis dreißig Jahre einflechten.

Kurz: eine äußerst unterhaltsame „Carmen“-Version mit vielen Anlässen zum Lachen und schmissiger Musik, mal etwas anders serviert. Das Publikum war begeistert.

Frank Raudszus

 

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