Die Frankfurter „Kunsthalle Schirn“ zeigt eine Retrospektive des US-amerikanischen Künstlers Doug Aitken.
Bewegte Bilder sind nicht nur ein konstituierendes Element der Film- und Fernsehindustrie, sondern setzen sich auch zunehmend im Bereich der darstellenden Kunst durch, ja sie definieren diese Gattung schon nahezu um. Der kalifornische Künstler Doug Aitken, Jahrgang 1968, gehört zu denen, die Video- und Musikclips verwenden wie andere Künstler Pinsel und Farbe oder die Möglichkeiten eines Musikinstruments. In den letzten Jahrzehnten hat er die Kunstwelt mit einer Reihe von multimedialen Kunstwerken beeindruckt, die mittlerweile Einzug in den Kanon der Kunst gefunden haben. Max Hollein, Direktor der Kunsthalle Schirn und des Städel-Museums, kennt ihn schon aus seinen Tagen als Assistent am MOMA (Museum of Modern Arts) in New York. Seit zwanzig Jahren hält er den Kontakt zu dem Künstler, der ihn damals schon beeindruckt hat, und hat ihn jetzt für eine Ausstellung gewinnen können.
Aitkens Werke verstehen sich als Abbilder unserer modernen Welt, wobei sie jedoch auf politische Aussagen oder gar Anklagen verzichten. Aitken geht mit seinen Werken eher den Befindlichkeiten der Menschen in der modernen Industriewelt nach und bildet sie inmitten technologischer Ikone wie Smartphone und Düsenjet ab. Dabei benutzt er großflächige Bildschirme und Projektionsflächen. Den Ton zu seinen Videos gewinnt er entweder aus synthetischen Klängen oder aus bekannten Werken der Pop- und Unterhaltungsmusik, die er seinen künstlerischen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet.
Wenn man als „Aitken-Unkundiger“ die Rotunde der Schirn betritt, denkt man zuerst an eine Baustelle. Mitten auf dem Rund erhebt sich ein Berg aus Bauschutt, dessen flache Oberseite eine Wasserfläche bedeckt. Da von oben in unregelmäßigen Abständen einzelne Tropfen auf die Wasserfläche fallen, könnte man eine Undichtigkeit des Dachs vermuten. Doch da man sich zur Eröffnung einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst begibt, weiß man natürlich, dass es sich hier um Kunst handelt. Das wird dann auch schnell klar, wenn man nach kurzer Zeit neben dieser Installation feststellt, dass jeder Wassertropfen mit einem Klang begleitet wird, der entfernt an tropfendes Wasser erinnert, sich aber jeweils von seinem Vorgänger ein wenig unterscheidet. Die minimalen Klangunterschiede erinnern dabei an die „minimal music“ eines Philip Glass oder anderer Künstler. Doug Aitken nennt dieses Werk „Sonic Fountain II“, da er es nach einer ersten Version in den letzten beiden Jahren neu gestaltet hat.
Die Ausstellungsräume der Schirn im zweiten Stock sind zu einer zusammenhängenden Ausstellungsfläche umgestaltet worden. In der Mitte, unmittelbar hinter dem Eingang, trifft der Besucher auf die Installation „Song I“, einer zylindrischen Projektionswand von etwa zehn Metern Durchmesser, auf dessen Innenwände zeitgenössische industrielle und alltägliche Szenen in verschiedenen Schnitten aublaufen, zu denen der Schlager „I Only Have Eyes For You“ aus dem Jahr 1934 in unterschiedlichen Stilen und von verschiedenen Interpreten erklingt. Dabei werden die jeweiligen Sänger und Sängerinnen über die Szenen geblendet. Die Protagonisten fahren mal im Auto durch Städte, dann wieder über endlose Straßen in menschenleeren Felslandschaften; dann sieht man sie in Schnellrestaurants oder Motels und singen dazu in verschiedenen Stilarten den oben genannten Evergreen. Man muss sich auf diese Bilderfolge bewusst einlassen, um den Sinn dahinter zu erfassen. Wenn man dem nomadisierenden Wandern eine Zeitlang zugesehen und -gesehen hat, eröffnet sich der Blick für die besondere Befindlichkeit des modernen Menschen in einer so technisierten wie distanzierten Welt. Aitkens Figuren sind stets allein, nur die Sänger singen bisweilen in einem arrangierten Duett, das jedoch nichts mit Zweisamkeit zu tun hat. Doch Aitken wirkt hier nicht als Moralist, der die moderne Welt verurteilt, sondern er zeigt eindringlich, wie der Mensch auf die von den Medien geschaffene Distanz reagiert, wie er unbewusst nach sozialem Kontakt sucht und dennoch immer wieder auf die Vermittlung durch die Medien zurückgeworfen wird. Dabei scheint dieser Mensch vordergründig nicht unglücklich zu sein, sondern sich in der selbstgewählten Einsamkeit eingerichtet zu haben. Doch nicht umsonst hat Aitken das sehnsüchtige „I Have Only Eyes For You“ als Motto gewählt.
In „Black Mirror“ zeigt Aitken in einem schwarz verspiegelten Raum eine junge Frau, die durch die moderne Welt reist. Hotelzimmer, Flughäfen und Jets, Restaurants und Autos bilden die imer verschiedene und doch gleiche Umgebung dieser Frau, die nie einen Menschen trifft, doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit telefoniert. Man weiß nie, mit wem sie spricht, und auch ihr Gesichtsausdruck verrät nichts. In jeder Einstellung ist er von einer existenziellen Einsamkeit und geradezu manischen Distanz geprägt. Das Telefon steht für die Sehnsucht nach Nähe und Kommunikation, doch die Person schützt sich durch Distanz und vorgetäuschte „Coolness“ vor Enttäuschungen und Verletzungen. Deshalb zeigt sie während dieser Videosequenz auch keine seelische Entwicklung, sondern verliert nie ihre stets gleiche, etwas müde und desillusioniert wirkende Indifferenz. Diese Frau ist im goldenen Käfig der modernen Welt gefangen und nicht in der Lage, sich selbst daraus zu befreien. Ob man sie sich im Sinne von Camus´ Sysiphos als eine glücklichen Menschen vorstellen muss, bleibt offen – und fraglich.
Verblüffend wirkt das Werk „migration (empire)“, in dem auf drei überdimensionierten Bildschirmen dieselben Clips synchron ablaufen: Tiere – ein Reh, ein Biber, ein Löwe, ein Elch – laufen durch ein Hotelzimmer, inspizieren die einzelnen Einrichtungsgegenstände, schauen in den Kühlschrank, baden in der Badewanne (Biber) oder zerfetzen spielerisch das Bettzeug (Löwe). In ihrer gleichmütigen Indifferenz erinnern diese Tiere auf verfremdende Art an den Menschen, der selbst wie ein dressiertes Tier sich täglich in eben dieser Umgebung bewwegt und ähnliche wiederkehrenden Handlungsabläufe vollzieht.
Abgerundet wird die Ausstellung durch eine Reihe von Skulpturen mit Titeln wie „Speed“ oder „broken“, die einerseits entfernt an Werbetafeln erinnern, andererseits in Form und Titel eine immanente Botschaft aussenden.
Man sollte sich für diese Ausstellung Zeit nehmen, denn die einzelnen Video-Werke erschließen sich dem Betrachter erst nach einer gründlichen und geduldigen Betrachtung. Insofern ist die Verwendung von eher bewegungsreichen wenn nicht geradezu hektischen Bild- und Tonmustern hintergründig. Damit will Aitken nicht etwa affirmativ für die moderne Welt der Beschleuigung werben, sondern in den scheinbar end- und sinnlos wiederkehrenden Elementen eine selbstgeschaffene Unmündigkeit entlarven, in der sich der Mensch nicht mehr wiederfindet und aus der er sich nicht mehr befreien kann.
Die Ausstellung ist vom 9.Juli bis zum 27 September geöffnet. Weitere Informationen über die Webseite der Kunsthalle Schirn.
Frank Raudszus
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