Im letzten Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt setzt GMD Will Humburg ganz auf Klassik und Romantik.
Es ist heute im Konzertbetrieb Brauch, an den Anfang eines Sinfoniekonzerts ein modernes, meist gewöhnungsbedürftiges Stück zu setzen. Würde man es am Ende spielen, liefe man Gefahr, dass sich das Haus zur Pause spürbar leerte. Gerne stellt man ein solches Stück auch in die Mitte, um einen ähnlichen Effekt zu Konzertbeginn zu vermeiden. Nun, Generalmusikdirektor Will Humburg verzichtete im 8. Sinfoniekonzert der zu Ende gehenden Saison ganz auf Stücke des 20. oder gar 21. Jahrhunderts. Das lag aber sicher nicht an einer übergroßen Rücksichtnahme auf die vermeintlichen Vorlieben des Abonnementspublikums, sondern daran, dass an diesem Tag mit dem Geiger Frank-Peter Zimmermann ein Ausnahmesolist zur Verfügung stand. Da lag es nahe, den Solisten länger als üblich auf der Bühne zu präsentieren. Zwar hätte er sicher auch ein modernes Violinstück spielen können, aber Will Humburg setzte auf ein anderes Kontrastprogramm: im ersten Teil spielte Zimmermann gleich zwei Violinkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart, die beide gleichermaßen für musikalische Leichtigkeit und Reife stehen; im zweiten Teil folgte dann mit Johannes Brahms´zweiter Sinfonie in D-Dur ein Stück, dessen Komponist eher für musikalische Schwere wenn nicht Breite steht.
Mozart schrieb seine fünf Violinkonzerte zwischen 1773 und 1775, wobei die letzten vier – KV 211, 216, 218 und 219 – alle im Jahr 1775 entstanden, als der Komponist gerade einmal neunzehn Jahre alt war. Dass Mozart auch ein hervorragender Violinspieler war, der es leicht zu einem der ersten Plätze in Europa hätte bringen können, wissen angesichts der erdrückenden Überzahl seiner Klavierkonzerte nur Kenner. Die letzten vier Violinkonzerte schrieb er wohl aus ganz konkreten Karrieregründen. Als diese später nicht mehr gegeben waren, folgte auch kein weiteres Violinkonzert. Eigentlich schade.
Um Mozarts Entwicklung auf diesem Gebiet zu zeigen, kombinierte Frank-Peter Zimmermann das früheste dieser vier letzten Konzerte – KV 211 in D-Dur – mit dem letzten, dem Konzert in A-Dur, KV 219. Der musikalische Fortschritt zwischen diesen beiden Werken ist erstaunlich, betrachtet man die kurze Zeit, die zwischen diesen beiden Kompositionen verging. Man spürt förmlich, wie Mozart an diesen Konzerten reifte, die Motive, Solofiguren und Orchesterbegleitungen immer stärker modellierte und individualisierte, wobei er offensichtlich nach dem Motto „weniger ist mehr“ verfuhr. Zeigt das erste dieser Konzerte noch viele Passagen eines gemeinsamen Musizierens von Geige und Orchester sowie ausgedehnte Tutti-Sequenzen, so hat er vor allem den Orchesterpart im letzten Violinkonzert radikal ausgedünnt und auf wenige wichtige Stellen konzentriert. Wirkt das frühere Violinkonzert noch frisch, fast etwas naiv in seiner musikalischen Gestaltung, so glänzt das zweite von einer musikalischen Gestaltung, die das Mittelmaß weit hinter sich lässt und jenseits von Virtuosentum und reiner Gefälligkeit einen herausragenden Platz einnimmt.
Frank-Peter Zimmermann brachte diese Entwicklung durch sein Spiel überzeugend zum Ausdruck. Dem D-Dur-Konzert impfte er keine überhöhende Bedeutung ein, sondern spielte es als frisches Jugendwerk mit hohem musikalischen Potential. Mozarts Musik gewann unter seinen Händen Leichtigkeit und dabei doch eine gewisse Eigenwilligkeit, die über die Grenzen des damals üblichen Genres hinausweist. Das zweite Konzert zelebrierten er und GMD Will Humburg förmlich. Ganz bewusst kehrten beide die besondere Ausdruckskraft dieses Konzerts ans Tageslicht. Vor bestimmten Einsätzen besonderer musikalischer Bedeutung verharrte Zimmermann Bruchteile einer Sekunden, um dann die jeweilige Sequenz mit der ihr jeweils zukommenden Dynamik zu intonieren, seien es die eigenwilligen musikalischen und rhythmischen Wendungen des ersten, die intensiven Motive des Adagios oder die temperamentvollen „Alle Turca“-Passagen des Finalsatzes, die ein wenig an Mozarts Klaviersonate KV 331 erinnern. Sorgfältig modellierte Zimmermann jedes Motiv, ja geradezu jeden Ton, wobei er bei aller Dynamik und Virtuosität nie den leichten, fast spielerischen Ton verlor, der bei aller musikalischen Tiefe dieses Werkes ein wesentliches Merkmal bleibt. Transparenz und Feinheit standen bei seiner Interpretation im Mittelpunkt, und das Orchester unter Will Humburgs aufmerksamer Leitung folgte ihm darin mit einer über Strecken zurückhaltenden und durchsichtigen, im Finalsatz aber auch temperamentvollen Spielweise, bei denen die Kontrabässen zu den Schellen der Janitscharen mutierten.
Das Publikum zeigte sich von diesen beiden Konzerten derart begeistert, dass Frank-Peter Zimmermann schließlich noch als Zugabe eine virtuose Partita für die Violine von Johann Sebastian Bach spielte, die ihm noch einmal rauschenden Beifall einbrachte.
Nach der Pause präsentierte Will Humburg dann zusammen mit dem Orchester den vermeintlichen „schweren“ Teil dieses kontrastreichen Abends. Lang gezogene Streicherbögen und kräftige Bläser-Passagen – ebenfalls eher entrückt als forciert – prägen Brahms´zweite Sinfonie. Diese Musik bietet sich an für eine in die Breite gehende Intonation, vor allem angesichts des großen Orchesters, das Brahms hier nicht nur fordert sondern auch nutzt. Doch Humburg hatte sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, der üblichen Brahms-Interpretation seine eigene gegenüberzustellen, die sich durch Transparenz und Schlankheit auszeichnet, ohne deswegen den spätromantischen Komponisten zu verfälschen. Man könnte etwas salopp von einem „Brahms light“ sprechen, ohne dies abschätzig zu meinen. Das „light“ bezieht sich dabei nicht auf eine dünnere oder gar plattere Interpretation, sondern auf den Verzicht der bisweilen in Düsternis übergehenden Schwere dieser Musik. Auch die andere Gefahr, in Klangmalerei und pseudo-romantische Schwelgerei zu verfallen, mied Humburg erfolgreich durch seinen straffen Ansatz. Dies erreichte er jedoch nicht durch eine dem Werk nicht entsprechende Temposteigerung, sondern indem er auf die Schlankheit des Klangs und präzise Einsätze achtete. Dadurch gewann diese Sinfonie streckenweise Beethovensche Eigenschaften, ja bisweilen konnte man eine gewisse Verwandschaft zu dessen 6. Sinfonie, der „Pastorale“, spüren. Den letzten Satz jedoch ging er geradezu furios an und steigerte das Tempo über die übliche Aufführungspraxis hinaus, jedoch ohne in eine unangemessene Hast zu verfallen. Dank der hohen Fähigkeiten des Orchesters und der guten Abstimmung der einzelnen Instrumentengruppen untereinander verlor das Spiel in diesem Finalsatz nicht einen Augenblick an Präzision oder Transparenz. Alle Stimmen ließen sich weiterhin verfolgen, obwohl Tempo und Intensität ein hohes Maß erreichten. Die Blechbläser prägten mit ihrer Präsenz und ihrem exakten Spiel weite Strecken dieses Satzes, aber auch die anderen Instrumentengruppen, mit den Streichern als Basis, kamen immer wieder zu ihrem Recht und bewiesen dabei ihren hohen musikalischen Standard.
Das Publikum zeigte sich auch von dieser Aufführung beeindruckt und zeigten dies mit lang anhaltendem Beifall. Die öffentliche Verabschiedung des langjährigen Solo-Fagottisten Klaus Holtorp in den Ruhestand verlieh diesem Konzertabend dann noch eine zum Ende einer Saison passende Pointe.
Frank Raudszus
No comments yet.