Kafkas „Prozess“ im Berliner Ensemble blickt hinter die Fassade der Justiz
Herr K. wird festgesetzt. Auf seine Frage nach dem Grund kann man ihm auch keine Auskunft geben, aber es lege eben der Befehl des Gerichtes vor, Herrn K. zu verhaften. Herr K. ist mit seinen jungen 30 Jahren bereits Prokurist einer großen Bank. Ist das Bankwesen möglicherweise nicht eine ebenso bürokratische Organisationsform wie die Justiz? Ein Ungetüm an Prozessen, Niederschriften und Handlungsanweisungen, die den einzelnen Menschen davon entlasten, ganzheitlich Verantwortung zu übernehmen? Sicher hatten Banken zu Zeiten Kafkas noch eine etwas andere Rolle als heute. Aber gleichzeitig war ihr Image wohl noch nie besonders rosig, und es bleibt der allgemeinen Gesellschaft üblicherweise verborgen, was sich im Detail hinten den prunkvollen Fassaden abspielt. Sicher ist es ein möglicher Vergleich, der sich zwischen Justiz und Bankwesen zu dieser Zeit ziehen lässt. Und dabei sind Geld und Recht nicht gerade die zwei unwesentlichsten Faktoren, die unser irdisches Dasein beeinflussen. Heutzutage möchte man meinen, dass die Justiz weniger intransparent ist als das Bankwesen. Sicher gibt es Urteile, die die öffentliche Meinung irritiert aufnimmt, aber gleichwohl hat der wahrlich interessierte Bürger die Möglichkeit, sich en detail zu informieren. Das Bankwesen erschwert dies aufgrund seiner massiven internationalen Verflechtung und der komplexen mathematischen und dynamisch wachsenden Geschäftsfelder. So bleibt umso mehr Raum für Spekulation, stereotypes Denken und Vorverurteilung.
Ob Claus Peymann in seiner Inszenierung von Kafkas „Prozess“ wirklich so weit denken wollte? Man weiß es natürlich nicht. Jedoch konzentriert sich die Inszenierung auf eine dunkle Darstellung, die maßgeblich von der Nicht-Farbe Schwarz geprägt ist. Jede Person und jeder Gegenstand tragen zudem eindeutige Bezeichnungen in weißer Schrift, die aber nur einzelne Buchstaben und Nummern sind. Dieses Bild regt schon unumstößlich den Gedanken der Entmenschlichung an, in dem eine Administration geschaffen wurde, wo ein jeder an seinem Schräubchen dreht, wenn er dazu aufgerufen wird. Das Weshalb und Wozu stehen als fragende Elemente nicht mehr zur Verfügung. Sicher ist diese Betrachtungsweise ein gezieltes Überzeichnen der Verhältnisse damals wie heute, obgleich es dennoch die Wahrnehmung breiter Bevölkerungsschichten treffen mag.
Beachtlicherweise ist es K., gespielt von Veit Schubert, gestattet, trotz seiner Verhaftung weiter seiner Arbeit in der Bank nachzugehen. So betritt er also wieder seine Arbeitsstätte, wo alle monoton an ihren Schreibtischen sitzen und tippen. K. treibt jedoch weiter die Frage um, wer ihn denn nun angezeigt habe und weshalb. Irgendjemand muss ihn verleumdet haben. Der Prozess scheint auf der einen Seite nie wirklich zu beginnen aber folglich auch nicht zu enden. Jedenfalls kommt das Thema einer Verhandlung nicht auf die Bühne. So schlägt sich K. weiter durch die Mühlen der Justiz und begegnet auf seinem Weg verschiedenen Personen. Plötzlich taucht ein lange nicht gesehener Onkel auf, der zuerst ganz besorgt um K. zu sein scheint.
Norbert Stöß spielt Onkel Albert herrlich mit einem leicht bayrischen Akzent und bringt so etwas Witz in die Tristesse der Grundstimmung. Jedoch wird sich auch hier alsbald herausstellen, dass der liebe Onkel Albert vor allem über das Besudeln des eigenen Namens am meisten besorgt ist. Er empfiehlt K. daher, schnellstmöglich seinen Bekannten, den Advokaten, zu kontaktieren, um hier Rat zu suchen und dessen Einfluss als schützende Hand zu nutzen. Der Advokat Huld (Martin Schwab) ist bereits sehr alt und krank. Infolge dessen ist er an seinen Rollstuhl gefesselt. Juristische Fälle begeistern ihn aber derart, dass er aufblüht und in dozierendem Ton über K.s Situation und Aussichten zu parlieren beginnt. K. jedoch hat ein Auge auf des Advokaten Haushälterin Leni (Marina Senkel) geworfen. Als sie sich in die Küche zurückzieht, folgt K. ihr unauffällig und vergnügt sich lieber, als sich mit dem Advokaten über seinen Fall auszutauschen.
Kafka steht für groteske Situation und das zeigt sich auch in „Der Prozess“. Der Name des Werkes ist ja schon bezeichnend grotesk, wenn es in dem Werk nie zum eigentlichen Prozess kommt. Nun, K. umkreist zumindest die Mahlwerke der Justiz und gewinnt Einblicke darin, wie wer über die Justiz und mögliche Einflussnahmen denkt. Sei es der Künstler, welcher seine eigenen Strategien und Verbindung lobpreist, oder seien es verschiedene Damen, die sich als die Geliebten der richterlichen Obrigkeit bezeichnen. K. erfreut das weibliche Wesen mitunter sehr, er erregt sich aber eher an der Liebe, als die Damen für seine Verfahrenszwecke zu engagieren. Letztlich endet das Stück mit K.s Tod, und niemand weiß woher, wieso und wofür. Grotesk.
Malte Raudszus
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