Die Jugenddokumentation „Dieses Kind“ in der Theaterwerkstatt des Staatstheaters Darmstadt.
Das Staatstheater Darmstadt hat unter der neuen Intendanz die „Theaterwerkstatt“ eingeführt, in der – im Gegensatz zum „Jugendclub“ in der Ära davor – Theaterliebhaber und Laienschauspieler aller Altersklassen mitspielen können. Als erstes Stück dieser Saison hat sich Regisseurin Beata Anna Schmutz das Stück „Dieses Kind“ des Franzosen Joël Pommerat ausgesucht. Pommerat hat dazu eine Reihe von Interviews mit Eltern und Kindern über typische oder auch spezifische Familienprobleme zwischen Eltern und Kindern geführt. Daraus hat er nicht nur die jeweils vierzig meistgehassten Sprüche von Eltern („Ab ins Bett“) und Kindern („Bei Papa darf ich das auch“) zusammengestellt, sondern auch zehn voneinander unabhängige Szenen entwickelt, die typische Probleme veranschaulichen. Das Ganze ergibt keine zusammenhängende Geschichte sondern eher eine Collage über die Konflikte zwischen Altern und Kindern.
Da ist zum Beispiel das schwangere Mädchen, das seinem ungeborenen Kind verspricht, alles für dessen Wohlergehen zu tun, ihm alles zu geben, was es begehrt und selbst eine viel bessere Mutter zu werden als ihre eigene. Da ist auch der Vater, der seinem Sohn von der Härte des Lebens erzählt und ihm damit seine eigene Härte ihm gegenüber erklären will, wobei er allerdings keinen Zentimeter auf seinen Sohn zugeht und sich dessen langsam wachsenden Hass zuzieht. Da ist auch die Mutter, die ihre antriebslose und in den Tag hinein lebende Tochter zu mehr Selbstdisziplin und Aktivität zu motovieren versucht – natürlich ohne Erfolg, und da sind die beiden jungen Mütter, die vor der zugedeckten Leiche eines jungen Mannes stehen und aus einer nahe liegenden Furcht nicht wagen, unter die Decke zu schauen. Immer wieder drehen sich die Szenen um Kinderkriegen, um die plötzliche Änderung des Alltags und um die unterschiedlichen Vorstellungen der Eltern und der Kinder. Dabei hat Pommerat sozusagen eine „Negativauswahl“ getroffen, denn gelungene Eltern-Kind-Beziehungen gibt es hier nicht. Aber es ist ja auch nicht Aufgabe des Theaters, Gutes und Schlechtes in faktisch korrekter Verteilung darzustellen, sondern es geht darum, die typischen Probleme zu benennen.
Der Verzicht auf eine durchgängige Handlung erleichtert die Aufführung durch eine Laientruppe, denn dann müssen sich die Darsteller nicht um einen ganzheitlichen Spannungsbogen und um die Entwicklung von Charakteren und Situationen kümmern, sondern können sich auf die Einzelszenen konzentrieren. Da offenbar alle sechzehn Teilnehmer der Theaterklasse zum EInsatz kommen sollten – die Szenen könnte man auch mit einem wesentlich kleineren Ensemble spielen -, musste sich die Regisseurin etwas für die an der jeweiligen Szene nicht beteiligten Darsteller ausdenken. Natürlich hätte sie nur die jeweiligen Darsteller auf die Bühne bringen können, doch das hätte dem nahe liegenden Ziel der Werkstatt, allen soviel Bühnenpräsenz wie möglich zu ermöglichen, widersprochen. Also lässt sie das Ensemble jeweils zu einer Art „lebendem Bild“ erstarren, wenn im Vordergrund ein Monolog oder ein Dialog stattfindet, oder auch wie ein Chor ohne Stimmen agieren, mal mit jugendlichem Übermut, mal mit aufbegehrender Wut.
Susanne Hiller hat dazu eine Bühne mit typischen Requisiten wie Bett und überdimensionierten Kuscheltieren geschaffen, nackte Babypuppen in verschiedenen Gruppen werden mal gehätschelt, mal mit männlichen Frustgebärden gequält, und eine – fiktive – junge Mutter schenkt ihr Baby sogar einem Zuschauer, da es dort besser aufgehoben sei als bei ihr.
Die Laienschauspieler – elf Frauen und fünf Männer – gehen mit viel Engagement an dieses Stück und zeigen teilweise erstaunliche Leistungen, mit denen sie Betroffenheit beim Publikum wecken und zeitweise vergessen lassen, dass es sich hier nur um dokumentarische Szenen einer Theaterwerkstatt handelt.
Frank Raudszus
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