Die „Neue Bühne Darmstadt“ inszeniert Daphne du Mauriers Klassiker „Rebecca“.
Die guten alten Schwarzweiß-Filme waren ein probates Mittel, um schleichendes Grauen darzustellen. Gerade die Reduzierung der Farben und die fast naive Aneinanderreihung der einzelnen Szenen verdeutlichten die Diskrepanz zwischen der naiven Sicht der Menschen auf die Realität und dem Ungeheuerlichen, das sich hinter der meist gut-oder großbürgerlichen Fassade verbirgt. Zu den Klassikern dieses Genres gehört auch Alfred Hitchcocks Thriller „Rebecca“, in dem eine junge, unbedarfte Frau in Monte Carlo den reichen englischen Witwer Maxim de Winter kennenlernt, ihn heiratet und mit ihm auf sein englisches Schloss zieht. Dort führt nicht nur die eisenharte Hausdame Mrs. Denver das Regiment, sondern im Stillen herrscht immer noch die vor einem Jahr verstorbene Ehefrau Rebecca de Winter in den Räumen und den Köpfen der Belegschaft.
Rebecca war laut Aussagen aller, die sie kannten, eine unglaublich schöne und intelligente Frau, und Maxim hat ihren Unfalltod während einer nächtlichen Segelpartie nie verwunden. Die neue Ehefrau kämpft gegen ein Phantom und hat vom ersten Augenblick Mrs. Denver als Feindin, da diese keine Nachfolgerin der von ihr vergötterten Rebecca akzeptiert. Maxim selbst, in Monte Carlo charmant und liebevoll, zeigt immer öfter Anfälle unerklärlicher Wut, vor allem, wenn er an seine erste Ehefrau erinnert wird. Gezielt intrigiert Mrs. Denver daher gegen die junge Ehefrau, indem sie ihr für ein Kostümfest ein besonderes Kleid empfiehlt, das der Hausherr angeblich liebt. Als sie damit zum Fest erscheint, kommt es zum Eklat, da es das Lieblingskleid der Verstorbenen war. Auch ein Spaziergang zum alten Bootshaus, wo Rebeccas Segelboot lag, endet mit einem Wutanfall Maxims, als seine junge Frau Näheres wissen und das Bootshaus erkunden will.
So braut sich über der jungen Frau zusehends eine schwarze Wolke des Unheils zusammen, und das Gestammel eines geistig zurückgebliebenen Arbeiters sowie das von der jungen Frau zufällig belauschte heimliche Treffen eines fremden Mannes mit der sichtlich nervösen Mrs. Denver verunsichern die neue Ehefrau von Tag zu Tag mehr. Da sie sich auch nicht mit ihrem Ehemann über diese seltsamen Dinge austauschen kann, gerät sie zusehends in Panik.
Wie in einem guten Thriller üblich, beschleunigt sich die Handlung nach dem kunstvollen Aufbau der Spannung, und der scheinbar unentwirrbare Knoten löst sich dann in einem finalen Klimax auf. Wie, das wollen wir hier natürlich nicht verraten, um interessierten Lesern dieser Zeilen nicht die Spannung zu rauben.
Regisseurin Renate Renken stand vor dem Problem, den Film mit seinen großzügigen Außenaufnahmen – Monte Carlo, das Schloss Manderley, die stürmisch-regnerische englische Landschaft – auf der engen, von drei Seiten durch die Zuschauerränge eingerahmten Bühne neu zu inszenieren. Darüber hinaus muss sie das wachsende Grauen, das der Film durch entsprechende Bild- und Ton-Effekte verstärken kann, mit „hausgemachten“ Mitteln nachbilden. Dazu nutzt sie Video-Sequenzen, die eine angedeutete Küstenlandschaft mit Meeresrauschen an die Wand werfen, sowie Schattenspiele, die groteske Umrisse der Möbel projizieren. Die weiten Wege zwischen den Räumlichkeiten des Schlosses bildet sie durch einen Pfad durch die Zuschauertribüne nach, den die Protagonisten fast jedes Mal nehmen müssen, wenn sie die Räume wechseln.
Einen ganz wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Inszenierung liefert jedoch Heike Pallas mit ihrer musikalischen Begleitung. Hatte sie sich in dem letzten Stück – „Broadway Danny Rose“ – noch auf Klavierversionen einschlägiger Schlager aus der Zeit zwischen den Kriegen beschränkt, so hat sie ihr musikalisches Betätigungsfeld in diesem Stück deutlich erweitert. Zwar kommt die meiste Musik immer noch von ihren Händen auf den Tasten des Klaviers, doch sind das keine bekannten Nummern mehr, sondern Filmmusik, die den Stimmungsgehalt der jeweiligen Szene treffend zum Ausdruck bringt. So steigert sie die Spannung einer psychologisch angespannten Situation durch langsame, chromatisch aufsteigende Akkordfolgen, oder sie intoniert das Vage, Mehrdeutige der Atmosphäre im Schloss durch schwebende Klänge moderner Harmonien, wie man sie etwa vom „modern jazz“ kennt. Darüber hinaus hat sie auch eine Reihe von Klangkonserven jenseits des Klaviers hergestellt, die sie als Hintergrundmusik passend zur jeweiligen Situation einspielt. Ihr großes Vorbild ist dabei offensichtlich die Filmmusik eines Alfred Hitchcock, der damals Millionen von Zuschauern nicht zuletzt mit seiner Musik das Gruseln lehrte. Die studierte Musikerin Heike Pallas ist eindeutig ein großer Gewinn für die „Neue Bühne“.
Die Darsteller setzen Renate Renkens Konzept des psychologisch doppelbödigen Thrillers mit viel Engagement und Gespür für die jeweilige Figur um. Rainer Poser hat sich dieses Mal auf zwei Nebenrollen beschränkt: den Butler von Schloss Manderley und den geistig behinderten Ben. Beide spielt er nicht nur mit der von ihm gewohnten Glaubwürdigkeit sondern vor allem mit der einen guten Schauspieler kennzeichnenden Zurückhaltung, die sich vor Überinterpretation und Selbstprofilierung hütet. In der Rolle der namenlosen(!) jungen Ehefrau überzeugt die junge Sabrina Czink mit einer gekonnten Mischung aus Naivität und zunehmender Angst, und neben ihr gibt Marcel Schüler einen glaubwürdigen Maxim de Winter, dem man sein Schuldbewusstsein ansieht, ohne zu ahnen, worauf es beruht (wenn man das Stück nicht kennt). Gabriele Reinitzer spielt die Hausdame Mrs. Danver mit ausdruckslosem, verhärtetem Gesicht und durchgedrücktem Rückgrat und schafft es damit, Abneigung und – ja! – sogar ein wenig Angst vor dieser unnahbaren Person zu schüren. Bianca Weidenbusch verleiht der reichen Mrs. Hopper genauso viel Arrganz wie Realitätsverlust und spielt auch noch Maxims Schwester. Axel Raether gibt einen so windigen wie rachsüchtigen Jack Farwel, Dominik Gierscher Maxims leutseligen Schwager Frank, und Nicole Klein schließlich spielt die Rebecca als Geist, den die arme Ehefrau de Winter in ihrer seelischen Not mehr als ein Mal halluzinatorisch durch das Schloss wandeln sieht.
Die Inszenierung ist geprägt von vielen kurzen Szenen, die teils geheimnisvolle, teils bedrohliche Situationen zum Ausdruck bringen, ohne sie zu erklären. Diese schnellen Wechsel, im Kino dank entsprechender Schnitttechnik kein Problem, erfordern im Theater höchste Präzision und blinde Abstimmung, da die Szenenumbauten in kürzester Zeit und in weitgehender Dunkelheit erfolgen müssen. Das klappt jedoch dank der guten Regie und der Erfahrung der Darsteller so reibungslos, dass der Spannungsbogen nie zusammenbricht.
Die „Neue Bühne Darmstadt“ hat mit „Rebecca“ ein Stück reaktiviert, das der älteren Generation vor dem Fernseher der sechziger oder gar der fünfziger Jahre Schauer über den Rücken gejagt hat, und hat es geschafft, ein gutes Stück dieses psychischen Grauens in die heutige Zeit und auf die Theaterbühne zu übertragen.
Frank Raudszus
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