Das Modigliani-Quartett spielt beim 5. Kammerkonzert des Staatstheaters DarmstadtWerke von Schubert, Saint-Saëns und Ravel.
Wenn die vier jungen Musiker des Modigliani-Qartetts -Philippe Bernhard (1. Violine), Loïc Rio (2. Violine) Laurent Marfaing (Viola) und François Kieffer (Violoncello) – das Konzertposdium betreten, denkt man nicht an ein Meisterquartett, so bescheiden und unglamourös geben sie sich. Zwar kommen sie nicht naiv-jungenhaft daher, ihnen fehlt jedoch der professionelle, glatte Ernst „alter Konzerthasen“, die gern eine innere Distanz gegenüber dem Publikum zeigen. Diese vier geben sich ungezwungen wie ein Amateurquartett. Dieses scheinbar Amateurhafte verschwindet jedoch mit dem ersten Ton, und statt dessen schält sich mit der zunehmenden Komplexität die hohe Qualität jedes einzelnen Musikers und des Ensembles heraus.
Braves Jugendwerk
Bei Franz Schuberts Streichquartett Es-Dur op. 87 war dies noch nicht so deutlich zu erkennen, da der Komponist dieses Werk bereits als Sechzehnjähriger komponiert hat. Es enthält zwar schon die typisch schubertschen Klangfarben, und auch die Wehmut des späteren Schubert ist hier schon in Ansätzen zu erkennen, ansonsten ist es jedoch noch recht konventionell und ohne überraschende dynamische, motivische oder harmonische Elemente. Dadurch wirkt es im Vortrag fast ein wenig bieder. Deshalb stand es in diesem Konzert am Beginn, sozusagen zum „Aufwärmen“ für Spieler und Publikum, und musste in den Ohren der Zuhörer nicht den Vergleich mit einem komplexeren Stück bestehen. Dem einleitenden Allegro moderato, anmutig und eingängig, folgen ein kurzes, lebhaftes Scherzo und ein ebenso kurzes Trio. Der Adagio-Satz zeigt bereits ansatzweise die Intensität späterer langsamer Sätze, und der Finalsatz sprüht noch einmal vor Temperament. Die vier Musiker versuchten nicht, dieses Werk durch Dramatik oder aufgesetzte Tiefe zu intensivieren, sondern präsentierten es in der Anmut eines Jugendwerkes.
Flirrender Klangstrom
Nach dem freundlichen Beifall für diese Konzerteröffnung zeigte das Quartett mit Camille Saint-Saëns StreichquartettNr. 1 e-Moll sein ganzes Können. Schon die ersten Takte bauen aus leisen, vereinzelten Klängen eine hohe Spannung auf, die nur durch äußerst exaktes Spiel und hohe Konzentration aufrechtzuerhalten oder gar zu steigern ist. Der gesamte erste Satz lebt von einer ausgefeilten Mehrstimmigkeit, die einen brillianten und geradezu flimmernden Klanagteppich erzeugt. Ein Fugato sorgt für hohe musikalische Verdichtung, und die intensive Dynamik führt zu einer fast verzweifelt zu nennenden Ausdrucksstärke. Man spürt hier, wie Saint-Saëns am Ende der Romantik um eine neue musikalische Aussage rang. Der zweite Satz – ein „Molto allegro quasi presto“ – führt dieses Konzept weiter, wobei sich das Thema des ersten Satzes wie ein Leitmotiv fortsetzt, und ist geprägt von teilweise scharfen dynamischen Brüchen. Das „Molto adagio“ des dritten Satzes drückt in seiner Intensität eine fast tragische Grundstimmung aus, während der Finalsatz entrückt beginnt und in bewegte Passagen mit deutlichen Reibungsklängen übergeht. Dieses Werk zeigt deutlich die gesellschaftlichen und geistigen Umbrüche gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die rasant fortschreitende Industrialisierung alte Gewissheiten zerstörte und in zunehmende Verlustängste und Unsicherheiten mündete. Das Modigliani-Quartett spürte diesem Ringen um eine neue Weltsicht und um die Bewältigung der dramatischen Veränderungen bis in die letzten Verästelungen der einzelnen Klangflächen nach und enthüllte eine fast unüberschaubare Vielfalt unterschiedlicher Klangfarben.
Vom „fin de siècle“ ins „nouveau siècle“
Wo Saint-Saëns aufhörte, begann Maurice Ravel. In seinem 1904 entstandenen Streichquartett in F-Dur kämpfte er bewusst mit der musikalischen Materie und suchte Wege der Befreiung vom engen Korsett der akademischen Musik. Die Komposition erstreckte sich über fast ein halbes Jahr, und seine eigenwilliger Stil brachte ihm bei der etablierten Kunstkritik prompt deutliche Ablehnung ein. Der erste Satz (Allegro moderato) beginnt schmerzlich, sehnsüchtig und sucht nach Erlösung aus einem unerträglichen Zustand. Aus dieser bedrückten Stimmung schwingt sich der zweite Satz (Assez vif, très rhythmé) zu südländischer Lebensfreude auf, worauf jedoch unterirdische Klänge mit pochenden Pizzicati folgen. Der dritte Satz verströmt in seiner extremen Langsamkeit fast eine Todesruhe, und der vierte wiederum startet mit einer Rimski-Korsakows „Hummelflug“ ähnelnden Streicherpassage, die in ein bewegtes 6/8-Thema übergeht und schließlich in ein aufgewühltes Finale in weitgehend freier Metrik mündet. Die vier Musiker zeigten auch hier nicht nur äußerste Präzision bei der komplexen Rhythmik und den schillernden Klangfarben der Jahrhundertwende, sondern sie brachten vor allem – wie bei Saint-Saëns – die fragile Seelenlage der Künstler und damit der Gesellschaft zum Vorschein.
Für den kräftigen Beifall des Publikums, das im Banne der beiden letzten Stücke sogar das Husten vergaß, bedankte sich das Ensemble mit zwei Zugaben: eine Polka von Schostakowitsch und der Haydnsche Serenaden-„Ohrwurm“ in originellem Arrangement.
Frank Raudszus
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