Die Deutsche Oper Berlin präsentiert den Teufelskreis der Rache
Elektra ist die Tochter von König Agamemnon und Klytämnestra. Sie leidet endlos unter dem Mord an ihrem Vater durch die Mutter und unter deren neuem Gemahl Aegisth. Schon diese handelten aus Rache, da Agamemnon eine andere Tochter um des Kriegserfolgs willen wegen geopfert haben soll. Nun leben Elektra und ihre Schwester Chrysothemis am Hofe der Mutter. Elektra jedoch sondert sich mit ihrer Rachsucht in den Hinterhof des Schlosses ab. In der Inszenierung von Kirsten Harms an der Deutschen Oper ist dies der statische Ort des Geschehens. Umgeben von hohen fensterlosen Mauern fristet Elektra ihr Dasein im Schlossgraben unter Abfällen und teils knietief im Morast watend. Ihre Schwester Chrysothemis hat den Tod des Vaters verdrängt und arrangiert sich mit den Gegebenheiten.
Mit dem Tod des Vaters verschwand Orest, der Bruder Elektras und Chrysothemis´. Gemäß der Vorhersehung Elektras soll Orest den Vater eines Tages rächen. Umso größer ist der Schmerz und Protest Elektras, als sie von ihrer Schwester erfährt, dass ein Bote dessen angeblichen Tod mitgeteilt habe. Als Königin Klytämnestra zum Friedensschluss mit ihrer Tochter antritt, wird es nackenhaaraufstellend spannend. Klytämnestra traut sich nur unter größter Vorsicht und geplagt von Angst vor Elektra in den Hinterhof. Als Zeichen ihres selbst verübten Mordes trägt sie eine Axt bei sich, die sie schließlich in einem Moment geglaubter Sicherheit fallen lässt. Elektra umtanzt ihre Mutter und traktiert sie gleichzeitig mit Vorwürfen. Abgelenkt davon, dass ihre Tochter überhaupt mit ihr spricht, gelingt es Elektra schließlich die Axt zu erbeuten, mit der sie plötzlich über den Kopf erhoben hinter ihrer Mutter steht.
Richard Strauss´ Oper Elektra baut auf der Tragödie von Hugo von Hofmannsthal auf. Die Geschichte insgesamt umfasst einen recht kurzen Zeitraum von vielleicht wenigen Tagen. Entsprechend entwickeln sich keine zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern Charaktere und Sichtweisen prallen ungebremst aufeinander. In einer unheimlichen Gedrungenheit und düsterer Atmosphäre überschlagen sich die Ereignisse. Elektra verlässt den Ort des Geschehens kein einziges Mal, und niemand der vorbeiziehenden Personen kann sie von ihrer Rachelust abbringen. Die hohen Gemäuer können zwar changierende Farbtöne annehmen, jedoch bleibt es deutlich ein selbstgewähltes Gefängnis, denn selbst den vorgeschlagenen Fluchtversuch ihrer Schwester lehnt Elektra energisch ab. Ihr gen Ekstase treibender Rachegedanke steigert sich stetig über die etwa 105minütige pausenfreie Vorstellung. Noch etwas zäh zu Beginn, überschlagen sich die Ereignisse mit fortschreitender Zeit bis zum fulminanten Klimax der Oper, welcher mit einem Paukenschlag auch gleichzeitig das Ende darstellt.
Man darf sagen Elektra ist dahingehend eine einzigartige Oper, da sie kaum eine Handlung im eigentlichen Sinne beinhaltet. Wer das Libretto kennt, weiß von der Stringenz hin zum Tode und sieht in der Aufführung, wie sich das Geschehen mit hoher Geschwindigkeit entwickelt und schließlich, wie erwartet, an einer Wand zerschellt. Man mag zu Beginn Mitleid für Elektra empfinden, die als einzige substanziell unter dem Mord des Vaters leidet. So sie dann aber diesen Mord durch weitere vergelten will, macht sie sich gleich mit den Vatermördern und wird so selbst zu einer Mörderin. Mord bleibt Mord. Und jeder Mord rächt sich. Die Frage bleibt, wie sonst hätte Elektra handeln können, wenn sie doch den gewaltsamen Tod des Vaters nicht ungesühnt hatte lassen wollen. Das ist wohl auch die Frage an das Publikum. Es bleibt der Weg der Schwester Chrysothemis, die bei Hofe blieb, sich arrangierte aber die Flucht in Erwägung zog. Oder der des Bruders Orest, der sich einst für die Flucht entschied, dann aber doch zurückkehrte, um Rache zu üben. Diese Oper trifft die Aussage, dass Mord nicht die Lösung sein kann, denn er führt zu einem Teufelskreis. Sie beschreibt ein Problem, dessen Lösung wir heute getrost in die Hände des Rechtsstaats legen sollten.
Catherine Foster, die Elektra dieser Inszenierung, wird nach Hebung des Vorhangs mit frenetischem Applaus gefeiert. Ihre Leistung ist gewaltig und verdient die zahlreichen „Bravo“-Rufe. Auch Tobias Kehrer (Orest) wird vom Publikum besonders mit Applaus und Rufen gewürdigt, sowie Manuela Uhl als Darstellerin für Chrysothemis, die durchaus die zweitwichtigste Person der Oper ist. Waltraud Meier als Klytämnestra und Jürgen Müller als Aegisth waren zwar zeitlich weniger präsent, wobei die Intensität vom Dialog zwischen Mutter und Tochter Elektra mit Sicherheit ein spannungsvoller Höhepunkt der Oper war. Eine außerordentliches Lob geht selbstverständlich auch an das Orchester unter Leitung von Donald Runnicles, das eine gewaltige musikalische Untermalung geliefert hat.
Malte Raudszus
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