Ein Roman über schwierige Entscheidungen in existenziellen Notlagen.
Dem Roman „Kindeswohl“ ist ein Zitat aus dem britischen „Children Act“ von 1989 vorangestellt, in dem es heißt, das Wohl des Kindes müsse dem Gericht als oberste Richtschnur dienen.
Fiona Maye ist Richterin am High Court und befindet sich gerade in einer Ehekrise. Ihr Mann möchte von ihr die Erlaubnis erwirken fremd zu gehen, da sie seit längerer Zeit keine Lust an Sexualität zeigt. Fiona ist empört über diese Bitte und nicht bereit darauf einzugehen. Zur Lösung ihrer Ehekrise trägt sie selbst allerdings nichts bei.
Neben dieser privaten Krise lern der Leser einige Fälle aus Fionas juristischem Alltag kennen. Da geht es einmal um ein siamesisches Geschwisterpaar und deren Trennung, die für ein Kind tödlich sein wird. Hat man als Richterin das Recht, über den Tod eines Kindes zu entscheiden, damit das andere überleben kann? Es ist eine schwere Entscheidung, und die Richterin macht es sich dabei nicht leicht. Auch wir Leser werden mit dem Thema konfrontiert und gehen gemeinsam mit ihr den mühsamen Weg zu einer verantwortungsvollen Lösung.
Doch schon gibt es einen neuen Fall: ein siebzehnjähriger Junge ist an Leukämie erkrankt und benötigt dringend eine Bluttransfusion, um zu überleben. Doch da der Junge wie seine Eltern religiös an die Zeugen Jehovas gebunden ist, lehnen diese eine Transfusion kategorisch ab. Die behandelnden Ärzte laufen gegen diese Entscheidung Sturm, da die Rettung von Leben einen zentralen Teil ihres Berufsethos´darstellt. Sie wollen den Jungen unbedingt retten und schalten die Justiz ein. Fiona entschließt sich, direkt mit dem Jungen Kontakt aufzunehmen, weil sie hofft, im Gespräch zu einer Lösung zu kommen. Die Zeit drängt, da ihr aus medizinischen Gründen weniger als 24 Stunden bleiben, um eine Lösung herbeizuführen.
Ian McEwan hat einen berührenden Roman geschrieben, der den Lesern mit vielen ethischen Fragen konfrontiert. Immer wieder liest man zwischen den Zeilen „wie würden Sie entscheiden?“. Immer wieder ist man gezwungen, sich zu positionieren, und dann wieder erstaunt, wie konsequent und klar die Richterin ihren Weg geht. Einzig der Fall mit dem an Leukämie erkrankten Jungen wird nicht so ausgehen, wie sie es sich wünscht….
Der Roman schickt uns auf eine innere Reise der Emotionen. Er ist spannend wie ein Kriminalroman und zeigt deutlich die menschlichen Schwächen auf, wenn es um die Verantwortung für das Wohl eines Kindes als oberste Richtschnur geht.
Der Roman „Kindeswohl“ ist im Diogenes-Verlag erschienen, umfasst 224 Seiten und kostet 21,90 €.
Barbara Raudszus
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