Mit siebzehn hat man noch Träume…..

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Die Kammerspiele des Staatstheaters Darmstadt zeigen Michel Decars und Jakob Noltes Einakter „Tierreich“.

Wenn das Licht verlöscht, erscheint ein junger Mann im flauschigen Tierkostüm, das einen Chinchilla darstellen soll aber eher einem Schaf gleicht, und mit einem Bündel Luftballons auf der Bühne und stolziert etwas ungelenk auf und ab. Dann hebt er wie ein Jahrmarktschreier an, das Geschehen und die Teilnehmer anzukündigen, die nacheinander wie Teilnehmer einer Sportveranstaltung auf die Bühne laufen und sich dem Publikum mit zähnefletschendem Grinsen vorstellen. Dieser Beginn ist ebenso schräg wie symptomatisch. Natürlich fragt man sich – vor allem während der fortschreitenden Aufführung -, welchen Sinn die immer wieder verwendeten Chinchillakostüme und der Titel haben. Denn hier geht es mitnichten um eine konkrete Schafherde oder andere Tiere. Hier geht es um die Sommerferien von rund zwanzig Schülern so um die siebzehn Jahre, die zusammen feiern, Projekte starten, sich streiten, lieben, trennen, beschimpfen und sich in Traumwelten verlieren. Den Autoren hat sich offensichtlich der Vergleich mit einer Herde von Jungtieren aufgedrängt. Auch diese kennen noch nicht die Abläufe und Wege der Herde, laufen kreuz und quer, kämpfen miteinander, stoßen sich die Hörner ab und geraten öfter in gefährliche Situationen. In einer echten Herden geht so manches Jungtier zugrunde, und auch hier ist dies latent möglich.

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Ensemble (Yana Robin la Baume, Gabriele Drechsel, Karin Klein, Christoph Bornmüller, Mark Filatov, Moses Leo, Hubert Schlemmer)

Regisseurin Lara Linnenbaum lässt die Personen durch sieben Schauspieler darstellen, die geradezu virtuos in Sekundenschnelle die Rolle wechseln müssen. Da es keine nach logischen Gesichtspunkten geordnete Handlung gibt, sondern nur eine Reihe kurzer und kürzester „Befindlichkeits-Szenen“, wäre eine herkömmliche Dialogführung dem Verständnis des eher chaotischen Ablaufes nicht förderlich. So lässt sie denn jede Szene von einem der Darsteller als Erzähler kurz vorstellen und dann mit fließendem Übergang von den jeweiligen Darstellern spielen. Das erspart längere Herleitungen der jeweiligen Situation und sorgt für Dichte wie für Tempo.

Gabriele Drechsel, Ensemble

Gabriele Drechsel, Ensemble

Die Situationen sind typisch für Jugendliche dieses Alters. Todernste Gespräche und Gedanken wechseln sich mit Blödeleien, Anmache, Liebelei, Intrigen und Mini-Depressionen ab. Eine junge Frau (Karin Klein) betreut das Projekt „Umbenennung der Schule“, was im Kreise von Schülern zu ernsthaften und zu abstrusen Vorschlägen führt. Die subersiven Komiker unterlaufen immer wieder jedweden (tod)ernsten Ansatz und bringen die Inititiatoren zur Verzweiflung. Eine Theatergruppe will Kleists „Prinz von Homburg“ inszenieren, und die junge Regisseurin (Gabriele Drechsel) glüht geradezu vor gesellschaftskritischem Elan, während der Hauptdarsteller nur um seine ganz persönliche Wirkung fürchtet. Streit bis hin zum Hinschmeißen ist programmiert. Dann wieder möchte ein Mädchen einen Breakdance (oder so etwas Ähnliches) einüben, doch leider hält sich niemand an die Choreografie. Ein junger Mann will dazu lieber ein Solo nach dem anderen auf verschiedenen „Luftinstrumenten“ spielen, und ein anderes Mädchen hinterfragt die gesamte Choreographie durch so impulsive wie naive Einwände. Chaos der Eigenwilligkeit allerorten, keiner will sich dem Kollektiv unterordnen, jeder folgt nur seinem eigenen Kompass, dessen Nadel jedoch ebenfalls in einem weiten Bereich hin-und herzittert.

Der Höhepunkt besteht aus einem lauten Knall, der durch den Sturz eines Panzers in die – wegen der Ferien glücklicherweise leere – Schule entsteht. Die ungläubige Nachfrage ergibt nicht nur, dass der Panzer aus einem hoch fliegenden Flugzeug gestürzt ist, sondern darüber hinaus geradezu absurde Kommentare und Erklärungen der jungen Leute, die dieses surreale Ereignis weidlich zu verschiedensten Komikausbrüchen nutzen.

Ensemble

Ensemble

So geht es bis kurz vor dem Ende, wenn plötzlich die Abfolge ephemerer Ereignisse plötzlich von einem einschneidenden Unfall überschattet wird, bei dem ein Mädchen ein Bein verliert. Die Reaktionen sind ratlos, denn keiner ist auf einen tatsächlichen Lebensernst vorbereitet. Doch den Autoren geht es nicht um die Verarbeitung dieses Unfalls, sondern um die Zäsur als solche: die Ferien – das heißt: die Jugend – sind vorbei. Der letzte Satz lautet „Morgen beginnt die Schule wieder“ und das bedeutet nichts anderes als, dass die Unbeschwertheit der Jugend irgendwann ihr Ende findet. Diesen Allgemeinplatz bauschen die Autoren jedoch nicht zu pseudophilosophioscher Erkenntnis aus sondern lassen sie einfach lakonisch stehen.

Die Regie lässt den Schauspielern viel freie Hand, und das nutzen diese dazu, richtig aufzudrehen. Allen scheint es richtig Spaß zu machen, sich in jugendlichen Befindlichkeiten aller Art geradezu zu suhlen und im Wechsel Schüchernheit, Machogehabe, Zickenterror und Betroffenheitsrituale nachzuspielen. Dazu lässt Christoph Iacono Popmusik aus verschiedenen Epochen der letzten fünfzig Jahre ertönen, zu der die Darsteller singen und tanzen. Dadurch gewinnt das Stück streckenweise den Charakter eines „Kammermusicals“.

Das Bühnenbild von David Gonter besteht im Wesentlichen aus einer Hauskonstruktion aus Metall und Glas, die fallweise eben als Haus benutzt wird und außen das berühmte „Testbild“ des frühen Fernsehens zeigt. Dieses Bild könnte man ironisch dahingehend interpretieren, dass die Jugendlichen noch kein Programm haben, sondern sich sozusagen am eigenen Testbild orientieren. Die Kostüme von Michaela Kratzer sind teilweise eher kindlich als jugendlich, was wohl auch den kindischen Charakter vieler Befindlichkeiten der jungen Leute versinnbildlichen soll.

Dem Premierenpublikum gefiel die „schräge Show“ sehr gut, und die Zuschauer spendeten kräftigen, lang anhaltenden Beifall.

Frank Raudszus

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