Im 3. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt singt Christiane Karg Lieder von Richard Strauss.
Richard Strauss ist den meisten Musikfreunden als Komponist größerer Orchesterwerke – man denke nur an „Also sprach Zarathustra“ – und erfolgreicher Opern („Rosenkavalier“) bekannt. Dass er während seines gesamten Lebens auch Lieder der unterschiedlichsten Art komponiert hat, wissen nur nur Musikkenner. Um diese Wissenslücke zu schließen, hatte das Staatstheater am 11. Dezember die Sopranistin Christiane Karg und ihren englischen Begleiter Joseph Middleton am Flügel zu einem Konzert eingeladen, das sich ausschließlich aus Liedern dieses Komponisten zusammensetzte.
Nun kann man leicht der Vermutung erliegen, ein derart monothematisches Programm könne eine gewisse Eintönigkeit entwickeln, vor allem, wenn es nicht aus einem durchkomponierten Liederzyklus wie Schuberts „Winterreise“ oder „Die schöne Müllerin“ besteht. Doch diese Befürchtung erwies sich schon nach wenigen Liedern als gegenstandslos. Einerseits zeigten die vorgetragenen Liedern eine solche kompositorische Variabiliät, dass mit jedem neuen Lied eine andere Facette von Srauss´Liedschaffen aufleuchtete, und andererseite schufen die Intonationskunst der beiden Musiker sowie die mimische und gestische Interpretation der Sängerin ein so dichtes künstlerisches Gewebe, dass ein Gefühl der Monotonie keinen Augenblilck auch nur ansatzweise entstehen konnte.
Christiane Karg war sich nicht zu schade, vor Beginn des musikalischen Programms auf so gelassene wie selbstsichere Art einen kleinen Vortrag über den Liedkomponisten Strauss und die zu erwartenden Lieder zu halten. Dabei erfuhr das Publikum nicht nur, dass Strauss sein erstes Lied – ein Weihnachtslied – bereits im Alter von vierzehn Jahren komponierte und sein letztes im Jahr 1948, ein Jahr vor seinem Tod, sondern auch, dass diese beiden „Rahmenwerke“ auch Bestandteil des Programms sein würden. Ziel war dabei, einen Überblick über das gesamte Liedschaffen des Komponisten zu geben, wobei natürlich angesichts der Gesamtzahl von 200 Liedern nur eine Auswahl zu Gehör kommen würde. Doch diese Auswahl sollte sowohl einen Eindruck von Strauss´Schaffen als auch von der Entwicklung des musikalischen Stils in den achtzig Jahren zwischen diesen beiden „Eckliedern“ vermitteln. Und das gelang den beiden Künstlern auf hervorragende Weise.
Das Weihnachtslied nach Christian Friedrich Daniel Schubart ist noch ganz im volksliedhaften Stil des 19. Jahrhunderts gehalten und kopiert die besinnlich-heimelige Weihnachtsstimmung, wie wir sie von den Weihnachtsliedern dieser Zeit kennen und wie sie sich auch im Text niederschlägt. Das ändert sich schon ein wenig mit dem drei Jahre später entstandenen „Ein Röslein zog ich im Garten“ mit seinem doppelbödigen Text und dem klagenden Tonfall. Doch die erste Ahnung der späteren Klangformen zeigt sich in „Geduld“ aus dem Zyklus „Acht Lieder aus letzte Blätter op. 10“ (1885). Nun hatte Strauss offensichtlich seine Tonsprache gefunden, die es dann auszufeilen galt. Das „Madrigal“ aus den „Fünf Liedern op. 15 stammt aus der selben Phase, und erst die acht Jahre später entstandene „Heimliche Aufforderung“ („Vier Lieder op. 36“) zeigt dann wieder neue Konturen, gewagtere Melodielinien und zugeschärfte Harmonien.
Die nächsten Lieder stammten alle aus der Epoche zwischen 1898 und 1901 und können als lebendige Beispiel der Liedkunst um die vorletzte Jahrhundertwende betrachtet werden. Eindringlichkeit, Mahnung, Melancholie und ein wenig Somnambulität prägen diese Lieder, die vom Tod („Befreit“), der Nacht („Am Ufer“), dem kalten Winter und dem (deutschen) Wald singen. Dagegen ist das freche „Hat gesagt – bleibt´s nicht dabei“ nicht nur textlich sondern auch musikalisch ein geradezu witziger Solitär.
Die „Drei Lieder der Ophelia“ weichen von den Vorgängern derart ab, dass die beiden Künstler eine kurze Pause einlegten, um sowohl die Aufnahmefähigkeit des Publikums als auch die eigene Konzentration aufzufrischen. Diese Lieder sind 1918 entstanden, und man kann darin durchaus eine Reaktion auf den gerade zu Ende gehenden (oder bereits gegangenen) Ersten Weltkrieg sehen. Hier geht es zwar vordergründig um das uralte Spiel zwischen den Geschlechtern, aber dahinter lauert der Tod junger Männer, die auf der Bahre ins Haus getragen werden. Der intensive und kompromisslose Ausdruck dieser Lieder zeigt deutliche Züge des damals gerade aufkommenden Espressionismus. Dagegen verströmen die „Vier letzten Lieder“ aus dem Jahr 1948 so etwas wie Altersmilde und Abgeklärtheit. Strauss war zu dieser zeit 84 Jahre alt und hatte noch ein Jahr zu leben, und die vier Lieder klingen wie Rückblicke und Abschiede.
Den Abschluss des Konzerts bildete dann „Malven“, ein kurzes, siebenstrophiges Lied aus dem Nachlass, dasa erst viel später im Nachlass einer Sängerin gefunden wurde. Es fügt sich inhaltlich und musikalisch nahtlos an die „vier letzten Lieder“ an.
Christiane Karg und Joseph Middleton bildeten ein perfektes Duo. Die Sopranistin überzeugte vor allem durch ihre einerseits strahlende, andererseits warme und variable Stimme. Doch daneben nahm die emotionale Interpretation der Lieder einen nahezu ebenso großen Raum ein. Jedem Lied verlieh sie durch Gesichtsausdruck und Körpersprache seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter, und innerhalb von Minuten, ja Sekunden, konnte sie von einer Emotionswelt in die nächste wechseln. Auch bei den hohen Stellen war nie Anstrengung zu verspüren, alles schien ihr leicht und mühelos aus der Kehle zu strömen. Joseph Middleton nutzte die pianistischen Freiheiten, die ihm Richard Strauss´ stellenweise weit ausholende Klaviertpartituren gewähren, mit höchster Konzentration und Intensität. Ritardandi, Pausen und feinste Anschlagsvarianten setzte er höchst effektiv dazu ein, den emotionalen Gehalt eines Liedes zu verdeutlichen. Wo es ihm der Klavierparte vorschrieb, war er ein zurückhaltender Begleiter, der an den richtigen Stellen die entsprechenden Akzente setzte, wo er jedoch die Gelegenheit zu einem längeren Vor- oder Nachspiel hatte – meist waren es Nachspiele -, da zeigte er sein ganzes pianistisches Können ohne falsche Effekthascherei und ohne den Ehrgeiz, die Sängerin noch übertrumpfen zu wollen.
Das Publikum, das vor allem im zweiten Teil eine bemerkenswerte akustische Disziplin zeigte, spendete den beiden Musikern lang anhaltenden, begeisterten Beifall einchließlich einiger „Bravo“-Rufe und erhielt dafür noch eine Zugabe.
Frank Raudszus
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