Das Frankfurter „English Theatre“ präsentiert das Musical „Ghost – The Musical“.
Das „English Theatre“ ist in Frankfurt eine feste kulturelle Adresse. Neben Briten und anderen „native speakers“ besuchen auch viele Deutsche, die des Englischen mächtig sind, die Vorstellungen dieses familiär anmutenden Theaters, dessen Bar- und Foyerbereich fast ebenso groß wie der eigentliche Zuschauerraum ist. Hier geht man nicht nur gerne hin, um englischsprachiges Theater, sondern auch um die Baratmosphäre zu erleben.
Derzeit lockt das Musical „Ghost – The Musical“ die Zuschauer in das zumindet samstags ausverkaufte Haus. Auf der Bühne sieht man die typische Ziegelstein-Architektur der New Yorker „Upper West Side“, wo auch Bernsteins „West Side Story“ spielt, mit ihren etwas schäbigen, rußgeschwärzten Häuserwänden, den wackligen Balkons und den Feuertreppen. Hier brechen Sam und seine Verlobte Molly zu Beginn unter Aufwirbelung von viel Staub eine alte Wand auf, um den Raum dahinter für Mollys neue Galerie zu renovieren. Sam ist Banker und arbeitet eng mit seinem Kollegen und Freund Carl zusammen. Als Sam auf einem seiner Konten einen ungewohnt hohen Geldbetrag entdeckt, bietet Carl ihm an, das Problem für ihn zu untersuchen.
Am selben Abend werden Sam und Molly auf der Straße überfallen, und der Räuber erschießt Sam nach kurzem Gerangel. Doch plötzlich steht Sam erstaunt neben seiner eigenen Leiche und verfolgt die verzweifelten Bemühungen der Ärzte, sein Leben zu retten. Ihn selbst, der nur noch als Geist durch New York wandert, sieht, hört und fühlt niemand – auch die todtraurige Molly nicht. Bei seinen verzweifelten Versuchen, Kontakt mit Molly aufzunehmen, lernt Sam andere frei schwebende Geister kennen, die ähnlich wie er zwischen den Welten der Toten und Lebenden umhergeistern, und erhält von ihnen die ersten Unterweisungen über seinen Zustand. Bei seinen ungehinderten Streifzügen durch Mauern und Türen trifft er nicht nur seinen Mörder wieder sondern erlebt auch dessen Einbruch in Mollys Galerie, wo er irgendetwas sucht. Sam merkt, dass Molly in Gefahr ist, kann sich ihr aber nicht verständlich machen.
Da trifft er auf die Wahrsagerin Oda Mae Brown, die vor allem älteren, naiven Menschen gegen harte Dollars weismacht, sie könne Kontakt mit ihren verstorbenen Verwandten aufnehmen. Noch während sie eine ältere Dame nach Strich und Faden betrügt, hört sie zu ihrem eigenen Entsetzen Sams Stimme, ohne ihn sehen zu können. Auf einmal ist ihre behauptete Fähigkeit Wirklichkeit geworden, und sie braucht einige Zeit, um damit zurechtzukommen. Das bietet natürlich eine ganze Palette von Slapstick-Möglichkeiten, vor allem, wenn sie gleichzeitig der älteren Dame für ein Hand voll Dollars etwas vormacht und Sams dringende Bitten entgegennimmt. Widerwillig aber fasziniert geht sie zu Molly, um sie zu warnen, doch die glaubt dieser verrückten Betrügerin natürlich nicht, dass sie Kontakt mit dem ermordeten Sam aufgenommen hat.
So geht es hin und her: Sam sieht die drohende Gefahr, da sein Mörder alles dransetzt, bestimmte Informationen aus Mollys Wohnung zu stehlen, und dabei auch Mollys Leben in Gefahr bringt. Und plötzlich erscheint Sams Freund Carl unerwartet in der heruntergekommenen Bude des kleinen Auftragskillers……
Der „running gag“ dieses Musicals liegt darin, dass Sam – wie das Publikum – bald sehr genau über die Hintergründe und kriminellen Aktivitäten seiner Ermordung Bescheid weiß, dies aber nicht an die entscheidenden Stellen weitergeben kann. Man kann sich vorstellen, wie die Polizei regiert, als Oda Mae auf Sams Drängen ihre Geschichte von Geistern und Gangstern erzählt….
Doch da solche Musicals immer gut ausgehen, kommt die Hilfe schließlich von dritter Stelle: einer der wandelnden Geister hat die Fähigkeit entwickelt, durch reine Willenskraft nicht nur Dinge zu bewegen, sondern auch lebende Menschen zu verprügeln. Bei einer Fahrt mit der U-Bahn vermöbelt dieser Geist nicht nur Sam sondern wirbelt auch die Passagiere der U-Bahn kräftig durcheinander – ein wahrer Spaß für alle Slapstick-Freunde. Sam nimmt bei ihm Nachhilfeunterricht und kann schließlich seinem Mörder gegenübertreten. Außerdem entwickelt er eine geniale Idee, wie er seinen falschen Freund bestrafen kann. Für die Umsetzung benötigt er Oda, und dieser Auftritt ist wieder eine Paradeszene für Claudia Kariuki, die mit ihrem Temperament und Humor an Whopi Goldberg erinnert.
Am Ende werden die Bösen von Kapuzenmännern in die Hölle abtransportiert, und sogar Sam kann noch einmal – sichtbar! – Abschied nehmen von Molly und seiner treuen Helferin Oda Mae. Auf eine wundersame Rückkehr des Ermordeten ins richtige Leben hat man aus guten Gründen dann doch verzichtet.
Unter der Leitung von Adam Penford liefert das Ensemble eine so temperamentvolle wie spannende Aufführung ab. Selbst aufgeklärte Zuschauer, die dem Geisterwesen keine realistische Seite abgewinnen können, können sich der Spannung der temporeichen Geschichte nicht entziehen. Dafür sorgen neben dem Bühnenbild von Tim McQuillen vor allem die Licht- und Tonspektakel von Matt Daw und Stephan Weber, die immer wieder neue Überraschungen auf Lager haben. Die Hauptdarsteller sind sowohl stimmlich als auch darstellerisch auf der Höhe und bringen viel Spielfreude auf die Bühne. John Addison spielt den Geist von Sam mit einer ungläubigen, verzweifelten Hartnäckigkeit, die man ihm angesichts der grotesken Situation durchaus abnimmt. Hannah Grover durchläuft als Molly die anfängliche Phase der Verliebtheit und des gegenseitigen Abtastens, dann die Zeit des Entsetzens und der Trauer bis zur Versöhnung mit dem Schicksal. Aaron Sidwell gibt den vermeintlichen Freund Carl, der nicht nur seine eigenen, kriminellen Wege geht, sondern auch noch die Freundin des ermordeten Freundes ungeniert anmacht. Star dieser Inszenierung ist aber eindeutig Claudia Kariuki, die als Oda Mae Brown alle Register der weiblichen Komik zieht: die große Geste, mehr Schein als Sein, charmante Betrügerin, ängstliches Mädchen, das dann aber all seinen Mut zusammenkratzt und in geradezu halsbrecherischen Aktionen der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. Bei ihr gibt es ständig etwas zu lachen, und sie nutzt ihre darstellerischen Möglichkeiten voll aus.
Die Handlung wird immer wieder aufgelockert und szenisch belebt durch temperamentvolle Tanzeinlagen, die ein wenig an das große Vorbild „West Side Story“ erinnern. Eine siebenköpfige Band liefert den „Live Sound“ von der Hinterbühne, wobei neben einer Reihe eigens für dieses Musical komponierter Songs vor allem der Evergreen „Unchained Melody“, den unter anderen Elvis Presley berühmt machte, im Mittelpunkt steht. Ältere Zuschauer werden sich noch an die große Zeit dieses Songs in den fünfziger bis siebziger Jahren erinnern.
Die Sprache ist kein „Oxford-English“, sondern handfestes „West Side“-Amerikanisch. Das hat Vor- und Nachteile, und man sollte schon recht sattelfest in der amerikanischen Umgangssprache sein, um alles zu verstehen. Doch es macht auch nichts, wenn man nicht alle Wortspiele und Witze versteht. Das Stück ist derart selbsterklärend, dass man auch ohne detailliertes Textverständnis nicht nur die Handlung sondern auch die Aussage dahinter versteht.
Das Publikum war jedenfalls begeistert und klatschte so begeistert wie bei einer Premiere.
Frank Raudszus
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