Eine Chronik des 2. Weltkrieges aus der Perspektive eines außergewöhnlichen Offiziers.
Die Zahl der Bücher über den Zweiten Weltkrieg lässt sich wahrscheinlich kaum bemessen. Vom falschen Heldenepos der „Landserhefte“ bis zur militärhistorischen Analyse sind alle Schattierungen vertreten. Betrachtet man den amerikanischen Buchmarkt, so liegt der Schwerpunkt der Literatur aus naheliegenden Gründen auf dem Krieg im Pazifik. Das Trauma von Pearl Harbour, wo die Japaner ohne Vorwarnung die halbe US-Flotte aus der Luft vernichteten, saß auf jeden Fall tiefer als die Kriegserklärung des fern in Europa tobenden Adolf Hitler, der überdies zu dem Zeitpunkt bereits mit England und Russland im Krieg stand. Von ihm hatten die Amerikaner weit weniger zu fürchten als von den Japanern, zwischen deren eindrucksvoller Kriegsflotte und der kalifornischen Küste nur der Pazifik lag. Und doch, und das erfährt man aus diesem Buch, fielen in Europa mehr Amerikaner als im Pazifik, was wohl auch daran lag, dass der Pazifikkrieg viel stärker ein technischer Seekrieg als ein menschenintensiver Landkrieg war, sowie daran, dass den GIs die verlustreiche Invasion der japanischen Inseln dank der Atombombe erspart blieb.
Das vorliegende Buch könnte man leicht als verspäteten Bericht eines, der „dabei gewesen war“, missdeuten, doch das wäre der falsche Ansatz. Denn dieses Buch muss man chronologisch von hinten – vom „Ergebnis her“ – lesen. Felix Sparks, hochdekorierter Offizier, war derjenige Mann, der am 29. April 1945 seine eigenen Männer mit Waffengewalt davon abhielt, die SS-Mannschaften im Konzentrationslager Dachau mit Maschinengewehren niederzumähen. Was Sparks´Männer bei der Besetzung des KZs sahen, raubte vielen von ihnen buchstäblich den Verstand und ließ sie förmlich in Hass und Abscheu verfallen.
Doch Kershaw geht es nicht nur um diese Minuten in Dachau sondern vielmehr darum, wie diese Soldaten nach Dachau gekommen waren und was sie auf diesem Wege durchzumachen hatten. Zwei Zahlen sind dazu von Interesse: von zehn Soldaten des Regiment, in dem Sparks diente, kehrte am Ende nur einer unversehrt zurück, und der gesamte Personalbestand wurde in knapp zwei Jahren nahezu sieben Mal erneuert.
Das Buch beginnt mit Sparks´Jugend im Süden der USA, als er mit Fallen und Gewehr auf die Jagd gehen musste, um während der Depression in den frühen dreißiger Jahren das Überleben der Familie zu sichern. An ein Studium war wegen Geldmangels nicht zudenken, und der Vater schickte den gerade erwachsenen Felix mit 18 Dollar ins Leben hinein. Das Militär ermöglichte ihm dann zum ersten Mal so etwas wie ein planbares Leben, und sogar ein Studienplatz in Jura winkte, als der Krieg ausbrach. Im Jahr 1941 wurde er als junger Leutnant einer Einheit zugeteilt, die zwei Jahre später nach Europa gehen sollte.
Dieser Einsatz begann mit der Invasion auf Sizilien etwa ein dreiviertel Jahr vor der Landung der Allierten in der Normandie und diente vor allem der Entlastung der sowjetischen Armee durch die Bindung größerer deutscher Kräfte in Italien. Die Rechnung ging auf, da die Deutschen angesichts der sich dramatisch ändernden Haltung der Italiener die Verteidigung ihrer südlichen Front alleine organisieren mussten. Kershaw beschreibt den Weg der „Thunderbirds“ – so nannte sich das Regiment, in dem Sparks diente – von Sizilien über Anzio und Salerno nach Rom, dann weiter nach Südfrankreich und von dort aus auf dem wegen seiner Harmlosigkeit „Champagner-Feldzug“ genannten Weg bis an die deutsche Grenze. In Italien hat die Einheit schwerste Kämpfe durchzustehen, wobei strategische und taktische Fehler der Army-Generalität zu unnötigen Schiwerigkeiten und Verlusten führen. Vor allem bei Anzio kämpfen Sparks´Soldaten buchstäblich ums Überleben. Kershaw beschreibt den ganzen Weg von Sizilien bis Dachau in einem dokumentarischen Stil und lässt auch militärische Details wie Kampfführung und Waffenwirkung nicht aus. Ihm geht es darum, die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges zu zeigen, der längst seine Eigendynamik entwickelt hat und dem einfachen Soldaten nur noch wie ein unvermeidliches Schicksal erscheint. Die Deutschen werden – bis Dachau – weniger als moralische denn als gegebene Feinde betrachtet, die man töten muss, um nicht selbst getötet zu werden. Nur Sparks und seine Offiziere haben eine Ahnung von der ideologischen und moralischen Dimension des Kamapfes, doch auch sie erfahren die grausige Wahrheit mit ganzer Wucht erst in Dachau. Der entbehrungs- und verlustreiche Weg von Sizilien nach Bayern führt die Soldaten an ihre physischen und psychischen Grenzen, und vor allem die ständige Gefahr, im nächsten Augenblick von einer Patrone, einer Granate oder einer Mine getötet zu werden, führt zu hoher traumatischer Belastung, und nur der Adrenalinschub der permanenten Lebensgefahr lässt die Männer weitermachen. Doch immer wieder ereignen sich Situationen, in denen selbst kampferfahrene und nervenstarke Soldaten bis hin zu den Offizieren buchstäblich zusammenbrechen und in Weinkrämpfe ausbrechen.
In den Vogesen muss die Einheit ihre erste schwere Niederlage hinnehmen, als einige Kompanien von einer SS-Einheit eingekreist und fast vollständig aufgerieben werden. Hier spielen die lokale Übermacht der Deutschen, Kälte, Hunger und Erschöpfung eine wesentliche Rolle. Doch auch dieser Sieg der Deutschen kann den Vormarsch der Amerikaner nicht stoppen, und so stehen sie Ostern 1945 vor Aschaffenburg. Ein fanatisierter Stadtkommandant hat die Stadt zur Festung erklärt und zwingt die Amerikaner, die Stadt trotz mehrerer Aufforderungen zur Kapitulation im Häuserkampf dem Erdboden gleichzumachen. Kurz vor dem offensichtlichen Kriegsende steigert dieser sinnlose Widerstand, der auch viele Zivilisten das Leben kostet, die Wut und Frustration der amerikanischen Soldaten ein letztes Mal.
Die Schilderungen der Kämpfe an der Front in wenigen Worten realitätsnah zusammenzufassen, ohne die existenzielle Lage zu verfälschen, ist für einen Rezensenten schon schwierig. Dies jedoch für die Einnahme des KZs Dachau zu tun, ist nahezu unmöglich. Alex Kershaw kennt die Not der Worte angesichts des Ungeheuerlichen und beschränkt sich auf die nüchterne Wiedergabe dessen, was die US-Soldaten am 29. April 1945 in Dachau sahen und erlebten. Und diese Schilderung muss und sollte sich jeder Leser selbst zumuten.
Kershaws Buch ist nicht nur eine posthume Hommage an den außergewöhnllich tapferen und integren Offizier Sparks, sondern auch an seine Männer, von denen nur ein Teil den Krieg überlebte. Um das Buch einerseits dokumentarisch und andererseits authentisch zu gestalten, hat er viele dieser Überlebenden selbst interviewt und aus diesen Schilderungen eine glaubwürdige und kompromisslose Beschreibung ohne falsches (Roman-)Pathos, aber auch ohne Beschönigungen verfasst. Bei allem Schrecklichen, das hier zu Tage kommt, liest sich das Buch jedoch nie ermüdend. Trotz der bewusst nüchtern gehaltenen Schilderung findet Kershaw auch genug Gelegenheiten, die Charaktere und Schicksale der einzelnen Männer aus der Truppe authentisch darzustellen.
Trotz der langen Zeit, die seit dem Krieg vergangen ist, und der Flut einschlägiger Literatur lohnt es sich, dieses Buch zu lesen. Es ist im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) erschienen, umfasst 470 seiten und kostet 24,90 €.
Frank Raudszus
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