Eine Talkshow zwischen Philosophen über den Zeitgeist und apokalyptische Visionen.
Schloss Neuhardenberg liegt etwa zwanzig Kilometer westlich der Oder. Neben wichtigen Klausursitzungen der Bundesregierung beherbergt es auch eine Stiftung, die von Zeit zu Zeit Kolloquien und andere kulturelle Veranstaltungen anbietet. Im Oktober 2012 und im September 2013 trafen sich dort die Philosophie-Professoren Peter Sloterdijk und Thomas Macho unter der Moderation des Historikers und Autors Manfred Osten zu Gesprächen über die Themen „Die Sache mit Gott – die Renaissance des Religiösen“ sowie „Geld und Geist“. Obwohl die beiden Themenkreise nicht unbedingt eng vewandt sind, haben die Herausgeber sie – wahrscheinlich wegen des Umfang des Buchs – in einem Band zusammengefasst und auch innerhalb des Buchs nicht scharf voneinander getrennt.
Beide Diskutanten setzen zur Erklärung der heutigen Situation – speziell im Finanzwesen – im 14. Jahrhundert an, das sie das Jahrhundert der Entgrenzung nennen. Diese Entgrenzung entstand ihrer Lesart zufolge zum einen ganz konkret durch die Entdeckung neuer Kontinente und Seewege nach der Erfindung von Kompass und Sextant, andererseits durch die Lösung aus der engen Bindung an die kirchliche Deutungshoheit. Die Relegion erfuhr darüber hinaus einen deutlichen Wertverlust durch die Pest, deren geradezu apokalyptische Folgen mit einem gütigen, sorgenden Gottesbild nicht mehr zu vereinbaren waren. Auch die Spiritualität erfuhr damit eine Entgrenzung hin zum Säkularen. Das kam natürlich unmittelbar dem Finanzwesen zugute, das jetzt nicht mehr durch religiöse Vorbehalte eingeschränkt war.
Beide Philosophen sind sich einig, dass die gegenwärtigen finanziellen Strategien nahezu aller Staaten, besonders aber in der EU, einem vom Wunschdenken gespeisten Wahn gleichen. Von der Religion kommen sie zum Kapitalismus, der in ihrer Sicht teilweise religiöse Züge annimmt – sei es im Glauben an die Macht der Märkte oder im Konsumrausch. Darüber kommen sie auf die neue Religiosität zu sprechen, die sich auf ganz andere Art als in personifizierten Gottheiten äußern kann, wobei sie die Esoterik als eher pittoreske Erscheinung bewusst ausklammern.
Über die Religion kommen sie auch auf die Grundeinstellung der Menschen zu sprechen, die sich heute zu einer generellen Futurisierung gewandelt hat. Während frühere Zeiten immer im Terminus der Vergangenheit lebten – am deutlichsten am christlichen Mythos mit seinen Heiligen und Märtyrern zu erkennen -, lebt die heutige Gesellschaft nur noch in der Zukunft und ihren negativen wie positiven Möglichkeiten. Klimakatastrophen, Nahrungs- und Wassermangel, Überbevölkerung und finanzieller Zusammenbruch stehen auf der Sollseite, alternative Energien, neue Arzneimittel und Techniken zur Nahrungsmittelerzeugung auf der Habenseite. Sloterdijk-Leser werden an verschiedenen Stellen implizite Zitate aus seine Büchern erkennen, so etwa die Ausführungen zur Anthropotechnnik, d.h. über das ständige Üben des Menschen zur Selbstverbesserung aus „Du musst dein Leben ändern„.
Dies sind nur ein paar Schlaglichter auf die Diskussion zwischen den beiden Intellektuellen. Da es sich hier nicht um eine systematisch ausgearbeitete wissenschaftliche Arbeit sondern um einen Gedankenaustausch in Echtzeit handelt, springen die Gedanken und gehen ihre eigenen, unvermuteten Wege aus der Diskussion heraus. Das macht die Talkshow lebendig, sperrt sich aber gegen eine kompakte Zusammenfassung. Angenehm fällt die Sachlichkeit und nachdenkliche Ruhe dieses Gespräches auf, das so gar nichts von der Hektik typischer Talkshows mit Politikern an sich hat, die sich ständig gegenseitig ins Wort fallen und auf die Gunst der potentiellen Wähler schielen. Die Niederschrift der Gespräche kann Anregungen zur Lektüre von Büchern der beiden Gesprächspartner geben, sie aber nicht ersetzen.
Das Buch ist im Herder-Verlag erschienen, umfasst 110 Seiten und kostet 12 €.
No comments yet.