Das Staatstheater Darmstadt präsentiert Rui Hortas Choreographie „Danza Preparata“.
Zum 100. Geburtstag des Komponisten John Cage erhielt der portugiesische Choreograph Rui Horta den Auftrag für ein Tanzstück zu dessen Musik. Er wählte John Cages Komposition „Sonatas and Interludes“ für ein „präpariertes“ Klavier und entwickelte daraus die Choreographie „Danza Preparata“.
Dem Vernehmen nach entstand Cages Komposition aus einer Not heraus. Da er sich für eine Auftragarbeit kein Musikensemble mit Schlagzeug leisten konnte, preparierte er ein normales Klavier so, dass es eine Reihe anderer Klangeffekte – speziell die eines Schlagwerks – nachbilden konnte. Dazu platzierte er verschiedene Gegenstände zwischen die Saiten des Klaviers, so dass manche Saiten wie ein hölzernes, andere wie ein metallisches Schlagwerk unterschiedlicher Härte und Brillanz wirkten. An ein herkömmliches Klavier erinnern die wenigsten Tasten. John Cages Musik selbst folgt nicht den Gesetzen der herkömmlichen Harmonik, sondern ergibt sich oft aus einer zufälligen Aneinanderreihung von Tönen, auch „Aleatorik“ genannt. Da die uns geläufige tonale Harmonik mit ihren Folgen Tonika, Subdominante und Dominante Spannungen erzeugt, die Assoziationen an menschliche Gefühle und Affekte wie Leidenschaft, Erregung, Furcht und Erlösung wecken, wirkt diese Musik unmittelbar emotional nachvollziehbar. Cages Musik jedoch entbehrt dieser Spannungsmomente und weckt dadurch ganz andere, transhumane Assoziationen von Einsamkeit, emotionaler Leere und existenzieller Kälte. Mit dieser Musik betritt der Musiker – und damit der Zuhörer – eine neue Welt außerhalb des gewohnten Gefühlsraums, in dem er sich anfangs äußerst unsicher bewegt und der ungewohnte Assoziationen hervorruft.
Rui Horta hat den Ansatz des „präparierten“ Klaviers auf den Tanz übertragen, indem er die Bewegungsfreiheit der Tänzerin durch verschiedene externe Einflüsse eingeschränkt hat. Das beginnt damit, dass er die Tänzerin wahllos auf dem Boden liegende Mikado-Stäbe aufsammeln und am Rande ordentlich aufstellen lässt. Dann erst kann sie die vorher von den Stäben kontaminierte Tanzfläche tänzerisch nutzen. Doch im Laufe der zwanzig kleinen Stücke, die kaum merklich voneinander abgesetzt sind, muss sie sich immer wieder mit Einschränkungen auseinandersetzen. Schon das Bühnenbild mit einem auf der Ecke stehenden Quadrat an der Bühnenrückwand und die ebenfalls asymmetrische Tanzfläche verweisen auf das Ungewohnte, keinem Gesetz Folgende. Später muss die Tänzerin einen Arm tief – bis zum Knie – in eine Öffnung ihrer Strumpfhose schieben und so die Bewegungsfreiheit ihres Oberkörpers einschränken. Danach klebt sie sogar mit einem Klebeband ihr rechtes Band so ab, dass es im rechten Winkel nach hinten absteht, und tanzt mit dieser „Behinderung“. Dann wieder kommen Szenen, in denen sie sich schüttelt, den Kopf heftig schüttelt oder in nickende Bewegungen versetzt. Dabei vermisst sie mit den Beinen immer wieder die rechteckige Fläche unter ihr und nimmt dabei alle möglichen tänzerischen Posen ein, die teilweise an Akrobatik erinnern, dann wieder an theatralische Posen der Ermattung, der Resignation oder des stillen Protestes. Klassische Emotionen, wie wir sie vom Ballettt und auch vom Tanztheater kennen, finden sich hier kaum, sondern eher ausgefallene Reaktionen auf ungewohnte Situationen. Auch humoristische Einlagen fehlen nicht, so die an John Cages Angewohnheit, seine Katze überall mitzunehmen. Mit den sequentiellen Hinweiskarten „DAS – IST – EINE – KATZE“ und der Bewegung des Streichelns einer in der Armbeuge liegenden Katze erinnert sie nicht nur daran, sondern auch ein wenig an Magrittes „Ce n´est pas une pipe“. Gegen Ende sammelt die Tänzerin die Mikado-Stäbe wieder vom Rande auf und wirft sie mit großer Geste auf die Tanzfläche, um dann wie ein Mikado-Spieler so leichtfüßig wie sicher ohne eine einzige Berührung durch die wahllos herumliegenden Stäbe durchzutanzen.
Silvia Bertoncelli tanzt im engen schwarzen Dress mit höchster Konzerntration und in enger Abstimmung mit dem Pianisten Rolf Hind. Dabei folgt sie der Musik nicht synchron, was angesichts deren Aleatorik sowieso kaum zu schaffen wäre, sondern nur deren Duktus. Rolf Hind spielt Cahes Musik mit leichtgängiger Hand, als wäre es Mozart. Dabei achtet er jedoch genau auf Intonationsunterschiede sowie Tempo- und Intensitätswechsel. trotz der scheinbaren Zufälligkeit der Tonfolgen baut sich ein hochkomplexes musikalisches System auf, das sich nur mit höchster Konzerntration meistern lässt.
Obwohl vieles improvosiert wirkt, ist das gesamte Stück bis ins letzte Detail durchchoreographiert. Man merkt das in den Momenten, wo Silvia Bertoncelli zu einer bestimmten musikalischen Figur – etwa einem Triller – den genau passenden Bewegungsablauf liefert, oder wenn sie einer plötzlichen Verdichtung des Musik mit einer entsprechenden Intensivierung ihrer Körpersprache folgt. Zwischendurch verlässt sie auch die Bühne und überlässt Rolf Hind das Feld für einige Minuten. Dann erscheint sie wieder mit einer neuen Idee, etwa, indem sie zusammen mit Rolf Hind zwei Wunderkerzen anzündet und sie gemeinsam herunterbrennen lässt, oder auch, indem sie nur in einer entfernten Ecke der Tanzfläche stehen bleibt und dem Pianisten für eine halbe Minuten zulächelt. Dann wieder steigert sich dieses Lächeln in einer ekstaitschen Passage zu unbändigem, wenn auch lautlosem Gelächter.
Dieses nahezu perfekte Zusammenspiel zwischen Piano und Tanz schlug das Publikum in dem leider nicht ausverkauften Kleinen Haus eine Stunde lang in seinen Bann. Die weltferne Musik und der konzentrierte und variantenreiche Tanz ließen keinen Augenblick Längen aufkommen. Selbst die Pausen waren voller Spannung. Wer sich auf diese – zugegebenermaßen fremdartige – Musik und das tänzerische Bild vorbehaltlos einließ, erlebte eine besondere Stunde des modernen Tanztheaters.
Der Beifall des Publikums zeigte, dass nahezu alle Zuschauer einen Zugang zu dieser Choreographie gefunden hatten. Allerdings waren anscheinend auch nur „Insider“ zu dieser Aufführung erschienen.
Frank Raudszus
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