Kaputt – Tour de Force nach Malaparte
Wenn wir Menschen an Krieg denken, so ist das bekanntlich diesig-düster bis nachtschwarz, verregnet, und das Geschehen findet seinen Lauf der Dinge in einer Brachlandschaft aus Zerstörung und Tod. Und natürlich führt der Krieg früher oder später zu solch verkommenden Stadtbildern, die uns bekannt sind – beginnen kann er aber auch an einem herrlich sonnigen Tag unter Vogelgezwitscher. Eine schreckliche Wahrheit, gerade auch dann, wenn wir uns an Flug MH17 und den Abschuss der Maschine über der Ostukraine erinnern. Und somit ist Krieg nicht nur etwas Historisches oder geographisch Fernes an der Peripherie Europas – es ist ein Zustand, der unerwartet nah sein kann.
Castorf inszeniert Malapartes „Kaputt – Tour de force européenne“ als düsteres, beklemmendes und groteskes Schauspiel. Und das erscheint richtig, denn der Zweite Weltkrieg wütet schon seit vielen Jahren im Herzen Europas, und soziale Strukturen sowie Lebensperspektiven haben sich bereits auf die Stimmung des „im nächsten Moment kann alles vorbei sein“ eingestellt. In düsterem Schwarz ranken sich Ruinenbruchstücke um das Führerquartier des Gesandten zur Verwaltung Polens. In einem äußerlich unkenntlichen Zweckbau in Form eines hängenden Containers baumelt der aktuelle Machtzustand am seidenen Faden militärischer Übermacht Deutschlands über Polen. Innen jedoch sind die Wände mit Gold vertäfelt, und pure Dekadenz einer archaischen Siegermacht versprüht ihren ekelerregenden Duft. Eine einfache Holzlatte verbindet das schaukelnde Ungetüm mit dem festen Boden und überbrückt dabei ein Wasserloch. Zerstörte Straßen und überall Pfützen, durch die sich militärisches Gerät wühlt oder um die angstgepeinigte Zivilisten herumtänzeln – ein weiteres Kriegsbild, dass sich in unsere Netzhaut eingebrannt hat. Oder ist es eine Lache aus dem Blut der zahllosen Opfer, die sich unter dem Hauptquartier gebildet hat? Es würde ebenfalls passen.
Wie schon in vergangen Inszenierung erprobt, konzentriert sich Castorf nun noch deutlicher auf das Medium Video als Kern der Kommunikation mit seinem Publikum. Übermächtig im Verborgenen erscheint das verschlossene Geschehen im Container, das nur durch minimale Einblicke über die offene Tür zu erahnen ist. Eine große Leuchtdiodenwand hängt von der Decke und gibt das Geschehen wörtlich, hautnah und zumeist in Schwarz-Weiß wieder. Fast durchgehend ist nur das vor Hass, Angst, Schmerz oder schriller Dekadenz verzerrte Gesicht eines Akteurs zu sehen. Mimik und Emotionen werden einzigartig wiedergegeben – gleichzeitig ist es fürchterlich anzusehen. und die unausweichliche Beschallung kann man durchaus als unerträglich bezeichnen. Aber dies ist kein Stück für einen genüsslichen Kulturabend – wir schauen in den Rachen eines werwölfischen Krieges, und der feuchte, hitzige Atem, der uns entgegenweht, ist authentisch widerlich – man möchte nichts anderes als die Flucht zu ergreifen.
Der rote Faden? Nicht erkennbar. Wohl deshalb, weil schlicht nicht existent! Welcher Krieg hat schon einen roten Faden, wenn man sich außerhalb jeglicher Spielregeln begibt und die Gegenreaktion nur erahnen kann. Natürlich wird es einen großen Plan gegeben haben, aber der spielt für den einzelnen Entwurzelten kaum noch eine relevante Rolle, da er sich nun mit seinem Schicksal umherschlägt und in dauerhafter Angst des eigenen Todes lebt. Somit ist die Aufführung sehr situativ und getrieben. Todeskampf Malapartes im Container – den er dann aber doch zu überleben scheint. Verfolgung eines flüchtigen Soldaten und Entkleidung des Selbigen, so dass er in der bitteren Kälte des polnischen Winters dem Tod schutzlos ausgeliefert ist. Die Vorstellung eines neuen, völlig unbekannten Truppenführers für ein Regiment, dessen ehemaliger Führer plötzlich entschwunden ist. Ein Besuch des Boxers Max Schmeling, der an irgendwelchen Krankheiten laboriert. Goebbels will das als Kriegsverletzung propagandistisch ausschlachten, wobei Schmelings Korrektur ihn um Haaresbreite sein eigenes Leben gekostet hätte. Malaparte zieht schließlich weiter und verwickelt sich in einen längeren Dialog mit einer Stalin-Anhängerin. Die vom Krieg verwirrten Menschen scheinen aber kaum in der Lage zu sein, einen sinnhaften Dialog zu führen.
Jeanne Balibar spielt Malaparte als androgynen Kriegsanalytiker. In der Berufung eines Kriegsreporters zieht er durch den Frontverlauf und verarbeitet seine Erlebnisse tatsächlich in der größten italienischen Zeitung „Corriere della Sera“. Später wird daraus der Roman „Kaputt“. In weiteren exponierten Rollen sind Frank Büttner u.a. als Max Schmeling, Patrick Güldenberg als deutscher Generalbevollmächtigter für Polen, Georg Friedrich und Max Schlüpfer als Erzähler zu sehen. Die Schauspieler treiben das Stück vor allem durch ihre brachialen Emotionen und hetzten das Publikum durch die Irrwege eines schrecklichen Krieges. Die ruhigen Momente können an einer Hand abgezählt werden. Und doch sollten wir erfreut sein, den Krieg so hautnah im Theater erleben zu können, ohne echte Gefahr für Körper und Seele. Und der geübte Volksbühnenbesucher wird bereits wissen, worauf er sich einlässt. Die übliche Quote an Abbrechern hat sich wieder eingestellt – absolut kein Stück für jedermann. Aber wagen sollte es ein oder eine sich selbst gerne herausfordernde Zuschauerin auf jeden Fall!
Malte Raudszus
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