Das Münchner „Metropoltheater“ gastiert mit Ulf Schmidts kabarettistischer Komödie „Schuld und Schein“ in Darmstadt.
Eigentlich hat der Verfasser dieses Stücks – oder das Metropoltheater? – eine neue Theatergattung kreiert, denn das Stück ist offiziell als „ein Geldstück“ untertitelt. Abgesehen von der Doppeldeutigkeit dieser Bezeichnung bringt es den Inhalt in einem Wort recht gut auf den Punkt. Wir wollen es aber, um der Einordung in ein bekanntes Ordnungsschema willen, lieber eine „kabarettistische Komödie“ nennen, denn tatsächlich ist es eine gekonnte Mischung aus diesen beiden Genres der Bühnenkunst. Die fast tagesnahe Aktualität bis hin zur Wiedererkennung real existierender Personen liefert die kabarettistische Seite, die Handlung mit einem gerade noch erkennbaren durchgehenden „roten Faden“ die komödiantische. Allerdings bietet sich auch die Kategorie „Satire“ an. Dazu kommen noch Gesangs- und Tanzeinlagen, die das Stück fast noch zu einem Musical werden lassen.
Fünf Darsteller spielen das große Spiel ums Geld. Unter Verzicht auf jegliches Bühnenbild stellen sich die fünf frontal zum Publikum auf und geben die Geschichte des Geldes und der Schulden wieder, wobei sie immer wieder gekonnt mit der Ambivalenz des Begriffs „Schuld(en)“ spielen. Um gleichzeitig miteinander zu agieren und das Publikum anzuzsprechen, haben sie sich einen Regietrick einfallen lassen: sie sprechen sozusagen „über die Bande“ miteinander, wobei das Publikum die Bande (nicht mehrdeutig gemeint) darstellt. Spricht Mitspieler A seinen Kollegen B an, so spricht er ins Publikum, und „B“ antwortet, als ob die Frage aus dem Publikum käme. Auch Geldübergaben erfolgen aus der einen Hand virtuell „durch das Publikum“ zur anderen, wie bei einem Zauberkünstler. Dadurch gewinnt das Stück an Dichte und Eindringlichkeit, denn die Zuschauer fühlen sich permanent angesprochen.
Die Geschichte selbst beginnt ganz einfach damit, dass A seinem Nachbarn B einen Goldklumpen zur Aufbewahrung gibt und dafür ein Stück Papier als Quittung erhält. Als der Bauer C Geld für den Ackerbau benötigt, leiht ihm B den Goldklumpen, der ihm gar nicht gehört, gegen einen Zins von zwei zusätzlichen Goldklumpen, und nimmt dafür den Hof des Bauern als Pfand. Soweit, so gut – könnte man sagen. Doch dann kommt die Konkurrenz ins Spiel, und der Kampf um Kunden, Kapital und Zinsen beginnt. Schließlich stößt auch noch der Staat in Gestalt des Kaisers dazu, der wegen seiner Kriege unter ständigem Geldmangel leidet und der sich vom finanziell eher abhängigen Kaiser bald zum durchsetzungstarken Napoleon wandelt. Als die Banken den Geldfluss wegen der Überhand nehmenden Schulden des Staates zu stoppen drohen, holt sich der Kaiser alias Bonaparte das Geld für die Zinsen – von Tilgung ist keine Rede! – von dem armen Bauern in Form von Steuern. Die ständige Kreditausweitung führt zur Aufblähung der Geldmenge und die zwangsläufig zu Inflation. Am Ende der Nahrungskette steht immer der Bauer – Sinnbild für den Steuerzahler -, der die Lasten nicht mehr weiterreichen kann.
Da die Banken durch die wundersame Geldvermehrung in demselben schwimmen, müssen sie sich immer wieder neue, zunehmend riskante Produkte ausdenken, die sie den renditehungrigen Bürgern vor die Nase halten. Es beginnt mit den Aktien, die hier als magentafarbener(!) Zettel ohne Wert erscheinen, dann geht es weiter mit den Staatsanleihen, die die Staaten der Einfachheit halber selber als sicher definieren. Schließlich landen sie bei hochriskanten Derivaten mit Wettcharakter und Kreditverbriefungen, die selbst die Banker nicht mehr verstehen. Am Ende führt die Riesenverschuldung der Staaten zum Kollaps der Währungssysteme und zur faktischen Enteignung aller Eigentümer von Geld- und Sachwerten.
Vordergründig karikiert das Stück die Banker, und die Schauspieler Marc-Philipp Kochendörfer und Paul Kaiser parodieren diese Spezies auch nach Herzenslust. Doch in Wirklichkeit nutzen sie nur – wenn auch skrupellos – die Freiheiten, die ihnen die Politik bewusst eingeräumt hat. Das kommt in der Szene deutlich zum Ausruck, in der US-Präsident Richard Nixon im „O-Ton“ die – angeblich nur temporäre – Aufgabe des Goldstandards bekannt gibt. Damit hat die internationale Politik – denn alle anderen Länder akzeptieren diese einschneidende Maßnahme als willkommene Möglichkeit zur weiteren Verschuldung – die Schleusen zur unbegrenzten Geldvermehrung und schließlich -vernichtung geöffnet. Was Nixon einst angestoßen hat, setzt Draghi konsequent fort, nur fällt dessen Name nicht in diesem satirischem Kontext, da die EZB mit der politisch korrekten Aufgabe der Euro-Rettung betraut ist.
Das Stück vermittelt einen Schnellkurs über die Geschichte des Geldes und der Finanzwirtschaft, von den ersten Anfängen über die Zeit der Fugger und Kaiser bis zu „Lehman Brothers“, wobei vieles vereinfacht und etwas schablonenhaft dargestellt wird. Der Goldstandard wird dabei als – leider aufgegebener – absoluter Maßstab betrachtet, obwohl auch der Wert des Goldes nur dem Prinzip von Nachfrage und Angebot folgt und damit ein von Menschen gemachter Marktpreis ist. Dass er stabiler als das Papiergeld war und noch weitgehend ist, ist dabei unbestritten. Doch hypothetische Goldresourcen größeren Umfangs könnten ebenso wie plötzliche weltweite Unlust auf Goldschmuck diesen Preis schnell zum Absturz bringen.
Auch die Frage, ob man ein Gut, das einem nicht gehört, verleihen darf, ist eher eine prinzipiell-juristische Frage, aber keine moralische. Im Stück selbst wird explizit gesagt, dass die Verleihung eines in Fremdbesitz befindlichen Gutes – hier der Goldklumpen des Bauern – an einen Dritten eine Geldschöpfung „aus dem Nichts“ darstellt. Doch wenn man dieses Geld nach Rückzahlung wieder aus den Büchern löscht, bleibt die Geldmenge langfristig konstant. Das Grundgeschäft der Banken – Ausleihung von Einlagen der Bürger an Dritte – ist vor der Hand weder ökonomisch gefährlich noch moralisch verwerflich.
Doch geht es bei diesem Theaterstück nicht um eine finanzwirtschaftliche Vorlesung sondern um eine Satire über die Fehler und Schwächen der Beteiligten. Und dass am Ende der nicht bei einer Bank tätige Bürger stets das Nachsehen hat, ist leider eine traurige Tatsache, für die das eng zusammen arbeitende Paar „Politik – Finanzwirtschaft“ verantwortlich ist – keiner von beiden alleine. Das kommt mit kleineren Abstrichen in dieser temporeichen Inszenierung auch gut zum Ausdruck. Die Darstellung der immer unverständlicher werdenden finanziellen Konstruktionen wird aufgelockert von einschlägigen Musikstücken – etwa „Money, money, money“ -, die einen fast humoristischen Glanz auf die ökonomische Katastrophe werfen. Dabei tritt Philipp Moschitz als Solosänger und „Entertainer“ auf, spielt aber auch in einer chaotischen Talkshow über die „Schuld an der Finanzkrise“ einen hilflosen Günther Jauch. Hubert Schedlbauer gibt den Kaiser und seinen Nachfolger Bonaparte mit herrischer Geste sowie einen weiteren Politiker mit einem Oberlippenbärtchen, das dieser nach hastiger Abnahme nicht mehr von den Fingern kriegt…
Butz Buse schließlich spielt den ausgebeuteten, betrogenen und hilflosen Bauern – sprich Steuerzahler -, der für das alles aufkommen muss, während die Banker sich totlachen über den Simpel und der Kaiser respektive seine Nachfolger – bis hin zur „Rauten“-Politikerin – die staatsmännische Unschuld geben.
Dem Publikum gefiel diese rasante Satire-Sause durch die hanebüchene Geschichte des Geldes sehr gut, und es lachte den konkreten Schrecken hinter der Geschichte einfach weg. Doch wie´s da drinnen aussieht, geht niemand was an…..
Frank Raudszus
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