Das Berliner Kabarett „Distel“ parodiert in seinem Programm „Im Namen der Raute“ das Berliner Polit-Personal
Trotz der herbstlichen Tage in Berlin präsentiert die Distel sich mit „Im Namen der Raute“ eher als Frühlingsblume, die sich durchaus noch sachte im Winde wiegt. Die Distel als Stachel im Regierungsviertel ist als Pflanze schon erkennbar, wobei ihre Bösartigkeit als junger Trieb noch nicht ganz präsent ist. Man würde sich noch trauen, mit der Hand über die Stachel zu gleiten. Bei einer Distel im Herbst käme wohl niemand auf diese Idee.
Humor findet selbstverständlich immer auf einem sehr individuellen Niveau statt, was bedeutet, dass jede Kritik stets einer subjektiven Perspektive unterworfen ist. Die Distel verortet sich hierbei eindeutig im intellektuellen Spektrum, das eben nicht vulgäre, diskriminierende oder realitätsferne Pauschaldiffamierung als Stilmittel einsetzt. Situationskomik durch Sprache und Wortspiele und teils mit angekündigter Vorhersehbarkeit werden kontinuierlich eingesetzt, wobei letzteres etwas flach erscheinen mag, besonders wenn die Pointe dann doch kein ins Fleisch treibender Dorn ist.
Dennoch darf man feststellen, dass das Publikum durchaus erheitert war und der etwas weichere Ansatz sein Gefallen gefunden hat. Trotzdem stellt sich die Frage, wieso der Grad an Provokation und Überspitzung so moderat ausfällt. Sicher macht einen sehr großen Teil das politische Personal aus, das man ja hier gerne kabarettistisch durch den Fleischwolf drehen möchte. Wer bietet hierzu noch Ansatzpunkte? Angela Merkel als Mutti der Nation: ehrlicherweise farblos und frei von jeglichen äußerlichen oder verhaltensbasierten Eitelkeiten oder sichtbaren Dominanzzügen. So hat man als (letzten) Anker ihre sagenumwobene Handhaltung, „die Raute“, als Aufhänger für das aufführende Trio gewählt. Es stellt sich die Frage: muss man unbedingt die Regierungschefin als Subjekt einer Kabarettaufführung auswählen, auch wenn sie nahezu keine Plattform dazu schafft? Der Anspruch, dies erfolgreich zu realisieren, ist jedenfalls unvergleichlich hoch!
Aber wer schafft es denn überhaupt noch aus dem hellgrauen Schatten der Kanzlerin sichtbar hervorzutreten? Schon mal nicht Justizminister Heiko Maas, Innenminister Thomas de Maizière, Gesundheitsminister Hermann Gröhe, Umweltminister „kennt man gar nicht“ oder gar Bildungsministerin „wie heißt Schavans Nachfolgerin noch?“. Bei diesem Personaltableau zeigt sich unser Finanzmister Herr Dr. Schäuble ja schon als eine richtige Spaßbombe! Die blonde Manuela und der dicke Siggi sind zwar da, bleiben aber leider auch hinter ihren Möglichkeiten markiger Präsenz zurück. Und so bleibt uns armen ernsthaften Deutschen letztlich nur noch die Haubitzen-Uschi, die neben ihrem großen privaten Erfolg einer einzigartigen Familie mit Energie und Inbrunst versucht, Bürgern und Schein-Militärs zu beweisen, dass auch sie als Frau den größten Erwachsenenspielplatz Deutschlands unter Kontrolle halten kann. Und weil sie das rhetorisch so toll und mit leuchtender Löwenmähne außergewöhnlich reizvoll präsentiert, freut man sich zumindest hier, etwas kabarettistisch verwertbares Material gefunden zu haben!
Im Herzen wünschen wir sie uns dann doch zurück: den bubenhaften Guido, der uns schonungslos stoisch tagein tagaus das gleiche phrasendrescherische inhaltsfreie Stakkato geistiger Leere präsentierte. Oder den geliebten Knuddel Hans-Peter Friedrich, der es als bayrischer Dorftrottel bis nach Berlin und weiß Gott wo sonst noch hin geschafft hat, um mit dem Ansatz des sicheren Zählens bis 10 die einfache Lösungsfindung als Dogma der neuen Politik zu etablieren. Die Krönung des letzten Kabinetts war womöglich der Nachtisch eines 4 jährigen Menüs, in dem Peter Altmaier einer wirklich riesigen Schokoladentorte entsprungen sein muss. Welch herrlicher Schachzug Angelas, den Läufer Norbert Röttgen ins Nirwana zu schießen, um dann den letzten Bauern zum Ressortkönig zu ernennen. Ist es nicht einfach ein großartiger Zug unserer moralisch erhabenen postmodernen Wellnessgesellschaft, die Atomkraftwerke und gewünscht auch industrielle Fleischproduktion hinter sich gelassen hat, eine Ikone der Massenkonsumgesellschaft in die erste Reihe zu stellen?
Ja, so ist es denn auch dieser nun im Kanzleramt gehaltene Peter-Kaspar Altmaier-Hauser, der trotz öffentlichen Auftrittsverbots von Mutti noch eine Exhumierung erlebt. Er meldet sich bei der TV Seelsorge und klagt sein Leid – sicher eine der ganz großen Heiterkeitsepisoden an diesem Abend.
Resümierend lässt sich sagen, dass „Im Namen der Raute“ wohl noch das Beste aus der aktuellen politischen Situation Berlins herausgeholt hat. Aber auch dieses Programm musste mit Peter quasi in die verstaubte Puppenkiste vom letzten Jahr schauen, um nicht völlig dem Stigma „garbage in, garbage out“ zum Opfer zu verfallen. Wir können nur raten, noch mehr an den Themen und Personen dran zu bleiben, die uns Bürger wirklich fuchsteufelswild machen oder zumindest sollten. Putin, Ukraine, Poroschenko – kein Wort! Ist der echte Krieg zu hart, um ihn im Kabarett zu kommentieren? Sollte nicht so sein. Das Freikaufen Bernie Ecclestones für 100 Mio. Euro? Es wurde in einem Nebensatz erwähnt, obwohl 99 Mio. € davon im Staatssäckel Bayerns landen, eben des Landes, das Richter und Staatsanwaltschaft stellt. Dieses Verfahren kommt der Aufhebung des Rechtsstaats gleich und wurde selbst von der Presse weitestgehend kommentarlos hingenommen!
Der Name der Veranstaltung „Im Namen der Raute“ lässt nach allgemeinem Verständnis erwarten, dass Angela im Mittelpunkt steht. Dem ist nicht so. Sie taucht nur einmal am Ende mit Joachim – nicht Gauck! – beim Gutenachtgespräch im Ehebett auf. Hierbei gelingt es Timo Doleys auch, die Kanzlerin gut zu mimen. Leider kann man das von seiner Rolle als Sigmar Gabriel nicht behaupten. Die maßgebliche Story des Abends ist eine Brautentführung, die sich im Keller des Adlon abspielt, während oben ein Staatsempfang vorbereitet wird. Gleichzeitig tobt die NSA durch den Keller – auch nicht mehr ganz das Thema von 2014. Später hat Caroline Lux ihren Auftritt als Ursula von der Leyen, und zeigt dabei, dass sie eine überzeugende Schauspielerin ist. Die Szene ist sicher die beste des ganzen Abends. Edgar Harter glänzt als Adlon-Hotelchef, bleibt aber als ausgezeichneter Kabarettist hinter seinen Möglichkeiten, auch eine herausragende Bekanntheit zu spielen, zurück. Und damit meine ich nun nicht Joachim Sauer im Bett!
Malte Raudszus
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