Das Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt zeigt das Mini-Musical „Paradies. Spiel mir das Lied vom Anfang“.
Wenn man die Mitmenschen mit der überraschenden Frage konfrontiert, was sie sich unter dem Paradies vorstellen, erntet man lächelnde Ratlosigkeit. Zwar benutzt man den Begriff gerne in Redewendungen aller Bedeutungsschattierungen, aber eine ernsthafte Vorstellung ist damit meist nicht verbunden. Daher sind die beiden Autoren Jacob Suske und Maria Ursprung dieser Frage in einer Art improvisierter Bühnenkunst nachgegangen, bei der Maria Ursprung die Regie führt. Der Name der Regisseurin suggeriert spezielle Kompetenz, da ja auch das Paradies – zumindest laut der Bibel – den Ursprung der menschlichen Geschichte bildet, doch ganz so schlüssig und glatt geht dieser Theaterabend dann doch nicht über die Bühne.
Im Mittelpunkt steht natürlich der biblische Mythos, wenn auch ein wenig abgewandelt. In der Mitte der auf Kammerspielniveau verengten Bühne steht ein Baum mit einem einzelnen, rot leuchtenden Apfel daran. Am rechten Bühnenrand liefert eine Zweimann-Band die paradiesische Musik dazu, die sich eineinhalb Stunden lang durch die vielfältigen Musikstile vom Swing bis zum Rap spielt. Der Beginn wird durch üppigen Disco-Dampf, vorweltliches Halbdunkel und Geschöpfe mit Tierköpfen auf den Schöpfungsmythos eingestimmt, bis von oben bibelgetreu aus dem Off ein männliches „Licht!“ ertönt.
Damit ist die Welt erschaffen und das Paradies eröffnet, in dem sich Adam (Nicolas Fethi Türksever) und Eva (Yana Robin la Baume) von Anfang an langweilen. Im Paradies geschieht nichts, und zu essen gibt es genug. Dabei unterläuft Adam sogar der Fauxpas, Eva ihren Frust der Untätigkeit vorzuwerfen, indem er auf die Beeren des Waldes und die Tiere hinweist, die man ja auch essen könne (!!!). Doch wo sich Unzufriedenhait ausbreitet, ist sofort jemand zu Stelle, diesem Missstand abzuhelfen. Hubert Schlemmer tritt im gepflegten Abendanzug als der Geist auf, „der stets das Böse will und stets das Gute schafft“ (Zitat aus einem anderen Umfeld). So zieht er denn auch Adam auch gleich in ein gereimtes Gespräch über den Sinn und Unsinn der Welt und speziell des Paradieses, das in seiner Versstruktur und Semantik von gar nicht so ferne an den berühmten „Prolog im Himmel“ (ebd.) erinnert.
In diesem Spielchen fehlt natürlich noch das zentrale Tier der Geschichte vom Paradies, wobei wir nicht das Lamm und den Löwen meinen, die friedlich nebeneinander liegen. Karin Klein verleiht der Schlange geschmeidige Bewegungen und viel verführerische Hinterlist, bleibt aber bis auf ihre Gesangspartien weitgehend textlos, wie es sich für die mit anderen Mitteln arbeitende paradiesische Schlange gehört.
Die verschiedenen Paarungen auf der Bühne diskutieren, streiten und singen in diesen neunzig Minuten über den Fluchtpunkt „Paradies“, wobei bewusst aktuelle Parallelen und Anknüpfungspunkte gesucht und gefunden werden. Adam fragt Eva, warum sie das Paradies unbedingt ändern und effizienter gestalten, einen Golfplatz bauen wolle und auf Wachstum bestehe, während sie beklagt, hier herrsche nur Stillstand, sie brauche Entfaltungsmöglichkeiten und Handlungsspielraum. Neben O-Tönen von Angela Merkel hört man hier das Mantra der freien Marktwirtschaft, während Adam einen eher biederen Ökostandpunkt vertritt. Wie viele der Texte ist dieser Dialog durchaus witzig und trifft auch den einen oder anderen Nagel auf den Kopf, doch fehlt den Dialogtexten der letzte Pfiff und die bei diesem Thema durchaus sich anbietende Provokation. Zwar wird das Thema „Paradies“ durchaus auf die derzeitige wirtschaftliche Situation Deutschlands und den friedliche Zustand (West)Europas sowie auf die Abschottung gegen Flüchtlingsströme zugespitzt, aber eher halbherzig. Eine durchgehende Linie und stringente Aussage ist dieser „Paradies-Revue“ nicht zu entnehmen.
Das liegt wohl auch daran, dass die Darsteller sich ihre gesanglichen Darbietungen zumindest textlich selbst komponieren konnten. Die Resultate sind zwar durchaus ansehnlich – bzw. gut anhörbar -, aber durch die dezentrale Entstehung decken sie einen weiten Themenkreis ab und haben außer dem Gegenstand „Paradies“ wenig gemeinsam. Die fehlende dramaturgische Konzeption führt dann auch zu Längen zwischen den einzelnen Themen, weil die Gedankengänge nicht konsequent fortgeführt werden.
Als Ergänzung zum szenischen Spiel auf der Bühne zeigt die Inszenierung auf der Rückwand Videos von Interviews mit Darmstädter Bürger – ein älteres Ehepaar, zwei Aussteiger und zwei Kinder – über das Paradies. Die Antworten sind ganz alltäglich – teilweise witzig – und tragen nicht gerade zu einem provokanten Charakter der Inszenierung bei. Man hätte es bei einem Durchgang dieser Video-Show lassen können, doch die zweimalige Wiederholung mit nur leicht modfizierten Fragen wirkt überflüssig und überbrückt eher szenische Lücken.
Dennoch ergeben sich streckenweise dichte Passagen mit treffenden Liedtexten und ansprechbaren schauspielerischen Leistungen. Hubert Schlemmer wird als Widerpart zum „alten Mann über den Wolken“ zur tragenden, weil die Szenen verbindenden Figur. In ironisch-sarkastischer Entertainer-Manier beobachtet er die Kabbeleien zwischen Adam und Eva und nutzt sie gezielt für seine unterirdischen bzw. -paradiesischen Zwecke. Yana Robin de Baume und Nicolas Fethi Türksever spielen das erste Menschenpaar mit viel Gespür für die Situation und für die grundlegenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und Karin klein gibt die Schlange als „femme fatale“. Dazu spielen Sebastian Rotard und David Kircher die von Jacob Suske verantwortete Musik, wenn auch zeitweise für die Verständlichkeit ein wenig zu laut.
Alles in allem ein ganz netter Abend mit einigen humorvoll-satririschen Einlage, aber auch deutlichen Längen und einer gewissen Unverbindlichkeit.
Frank Raudszus
Alle Fotos © Sandra Then
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