Im 2. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt dominiert der Buchmesse-Partner Finnland.
War Beethoven eigentlich gebürtiger Finne? Man sollte einmal in seiner Ahnentafel nachschauen. Im 2. Sinfoniekonzert war er der einzige nicht-finnische Protagonist, von den Musikern des Orchesters einmal abgesehen. Der neue Generalmusikdirektor Will Humburg hatte bei der Zusammenstellung dieses Konzerts offensichtlich konsequent interdisiziplinär gedacht und das diesjährige Partnerland der Frankfurter Buchmesse in den Mittelpunkt gerückt. Der Interpret von Beethovens 5. Klavierkonzert war der Finne Antti Siirala, und die Gastdirigentin Anu Tali ist zwar estnischen Ursprungs, aber eng mit der finnischen – und allgemein nordischen – Musikszene verbandelt. Darüber hinaus bestand das Programm nach der Pause aus zwei finnischen Kompositionen: Kaljy Saariahos „Forty Heartbeats for Orchestra“ aus dem Jahr 1998 und Jeans Sibelius´ 5. Sinfonie (1915/1916).
Darüber hinaus scheint auch die Zahl fünf bei diesem Konzert eine fast magische Bedeutung zu haben. Nicht nur, dass zwei Hauptwerke bedeutender Komponisten mit der Ordnungszahl 5 erklangen; das dritte Werk beinhaltete in seinen Satzbezeichnungen schwerpunktmäßig eben diese Zahl, etwa in der Formulierung „Five beats for life force“. Als wäre das nicht genug der Koinzidenzen, standen auch die beiden Hauptwerle in Es-Dur, während das zeitgenössische Stück aus nahe liegenden Gründen keine Tonartbezeichnung trägt.
Man fragte sich also belustigt, ob bei der Programmzusammenstellung ein Liebhaber von Zahlen- und Logikspielen am Werk gewesen war. Doch sei´s drum: diese Gedankengänge haben letztlich mit der gebotenen Musik wenig zu tun. Auffallend in dieser Beziehung war nur, dass das Solokonzert entgegen seiner üblichen Mittelstellung dieses Mal an den Beginn des Konzerts gerückt wurde. Dafür sprechen gute musikalische Gründe: angesichts der unterschiedlichen Musikepochen hätte der Wechsel von der Moderne zur Klassik zur Spätromantik größere musikalische Brüche zur Folge gehabt. Die Pause nach Beethovens Klavierkonzert und die anschließend Aufführung der beiden finnischen Werke setzte dagegen eine klare Zäsur zwischen den Musikstilen.
Anu Tali ging Beethovens Klavierkonzert gleich mit einem zwar nicht ungewohnt hohen, aber doch forcierten Tempo an. Der Flügel zeigte bereits bei den ersten Akkordfolgen einen hellen, fast metallischen Klang. der dem strahlenden Es-Dur gut zu Gesicht stand. Die eigenständigen Zwischenspiele des Orchesters kamen geradezu wuchtig daher, und Anu Tali legte von vornherein Wert darauf, falsches Pathos zu vermeiden, das gerne mit diesem Klavierkonzert in Verbindung gebracht wird. Auch Antti Siirala folgte diesem Konzept und spielte seinen Part zwar zupackend, wo es erforderlich war, aber ansonsten eher nüchtern und mit hoher Transparenz. Die musikalische Aussage war ihm wichtiger als irgendwelche pathetische Aussagen, die diesem Konzert gerne nachgesagt werden („Emperor“ usw.). Der zweite Satz begann mit einer ausgesprochen runden und weichen Orchestereinleitung, in die Antti Siirala dann mit Bedacht einstieg. Dieser Satz bietet sich für eine lyrische Interpretation an, doch Siirala setzte gegen die Versuchung übermäßigen Sentiments die Technik eines abgesetzten Anschlags ein. Selbst in der betont langsamen und innigen Übergangsphase zum dritten Satz spielte er kein Legato sondern ließ jeden Ton einzeln gegen das extreme Streicherlegato des Orchesters anklingen. Das verlieh diesem Satz ein wenig die typisch beethovensche Strenge, die man aus den Solowerken kennt, und konterkarierte die Neigung zur sentimentalen Innigkeit.
Im Finalsatz fiel vor allem die leichte und lockere Intonation des Solisten auf. Vor allem im Mittelteil wirkte Siiralas Spiel fast nachdenklich und gar nicht auftrumpfend. Er entlockte dieser Partitur das Bild eines anderen Beethovens, der zwar auch auftrumpfen kann, dazwischen aber auch immer wieder Phasen der konzentrierten Besinnung einstreut. Beethovens 5.Klavierkonzert ist nicht nur Triumph in Es-Dur, und Siirala legte die ganze Breite dieses facettenreichen Werkes frei. Das Orchester folgte den energischen Anweisungen der jungen Dirigentin aufmerksam und bewies wieder einmal ein hohes Maß an Intonationssicherheit und Gespür für die musikalische Wechselspiel zwischen Soloinstrument und Orchester.
Kalja Saariahos Komposition „Forty Heartbeats for Orchestra“ besteht tatsächlich aus vierzig rhythmischen Elementen, die in einer Art Satzfolge nach dem Schema 1+2+3+5+5+5+4+4+1+1+1+3+5 organisiert sind. Jedes dieser Elemente trägt einen Namen, etwa am Anfang „One beat for being born“ oder etwas später „Three beats for three composers“. Neben den geradezu schwebenden, bisweilen auch bewusst grellen Streichern kommen die Harfe und das Schlagzeug zum Einsatz, was scharfe Kontraste ermöglicht. In langen, wellenförmigen Linien werden kurze Motive vorgestellt und variiert. Kalja Saariahos Musik kann man durchaus als tonal bezeichnen, wenn sie sich auch nicht im gewohnten rhythmischen und harmonischen Rahmen bewegt. Sie ist modern ohne deswegen experimentell zu sein.
Den Schluss des Abends bildete Jean Sibelius´ 5. Sinfonie, die – ohne explizit programmatischen Ideen zu folgen – geradezu das musikalische Abbild einer weiten, offenen Tundralandschaft ist. Zu Beginn des ersten Satzes drängt sich geradezu die Vorstellung eines beginnenden Morgens auf, so weich und aus der Ferne intonieren das Horn und die Klarinette die verträumten Motive. Langsam erwacht dann der Tag, die Musik wird fülliger, rauschende und nimmt immer mehr Platz ein, bis sich mächtige Klangbegirge auftürmen. Später erklingen liedhafte Themen mit versetzter Rhythmik, und die ständig sich ändernden Motive, Rhythmen und Instrumentierungen zeigen die kompositorische Vielfalt dieses Werkes. Der zweite Satz ist von langen lyrischen Bögen und wiederkehrenden Pizzicati der Streicher geprägt. Die Holzbläser verleihen diesem Satz über weite Strecken einen weichen, geradezu tröstlichen Klang. Die anschließende Steigerung bei einem gleichzeitigen Übergang zu einem 6/8-Takt nimmt erst rauschende, dann tänzerische Züge an. Wer will, kann hier das Rauschen der weiten finnischen Wälder und die Tänze des Volkes heraushören. Der Finalsatz schließlich kommt mit sehnsüchtigen, fast schwermütigen und lang ausholenden Themenbögen daher. Das Ende präsentiert sich dann wieder als Verneigung vor Beethovens 5.(!!) Sinfonie: mehrere, scheinbar nicht enden wollende einzelne Schläge des Orchesters, bis dann wirklich Schluss ist.
Das Publikum war von diesem Konzert ausgesprochen angetan, vor allem natürlich von dem Solisten Antti Siirala, und zeigte dies durch kräftigen, lang anhaltenden Beifall.
Frank Raudszus
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