Ein satirischer Befreiungsschlag gegen die Auswüchse des Reisens.
Wenn Bekannte von ihren Reisen erzählen, fällt oft der Satz: „Dort war es eigentlich sehr schön/exotisch/ursprünglich, aber leider waren zu viele Touristen da“. In fast entwaffnender Naivität und Selbstgerechtigkeit werden die anderen Reisenden als unsensible, kulturell desinteressierte Fototouristen wahrgenommen, während man selbst am Authentischen von Land und Leuten sowie deren Kultur interessiert ist. Versteht sich, dass diese Eigenart der „Bekannten“ auch für uns gilt….
Dirk Schümer gehört offensichtlich zu den Vielreisenden, denn in ihm hat sich in vielen Jahren eine gehörige Frustration über die heutigen Bedingungen des Reisens aufgestaut, die er in diesem Buch endlich zur Entladung bringen kann. Das geht zwar mit einer gehörigen Portion Polemik vonstatten, aber dennoch verliert Schümer nie den Humor und – was wichtig ist – die Selbstironie. denn bei allem Irrsinn des Reise-Alltags gesteht er offen ein, dass auch er dazu gehört und dabei mitmacht, teils gezwungen, teils, weil es neben den abschreckenden auch schöne Seiten des Reisens gibt.
Nach allgemeinen Überlegungen zu den Merkmalen des Reisens – Historie, Gründe wie Neugier und Statusdenken – und Tipps, um das Renommieren mit Reisezielen zu unterlaufen, kommt er zu konkreten Aspekten. Wie es sich gehört, beginnt er mit dem „Planen und Packen“, sinniert über Reiseziele, Reisepartner und ihre Eigenarten, die Zusammensetzung und Gefahren von Reisegruppen und nicht zuletzt darüber, was man denn in den Koffer packt. Da gibt es die, denen stets etwas fehlt, und dann die anderen, die meist die Hälfte ungenutzt wieder mit nach Hause nehmen.
Ist dieses Kapitel noch konstruktiv und um echte Tipps bemüht – trotz manchen satirischen Seitenhiebs – , geht es im nächsten Kapitel richtig los. Hier beschreibt er drastisch und durchaus mit satirischem Humor die Zustände in vollen Flugzeugen, die Unsitten übermäßigen Handgepäcks und unsozialen Verhaltens. Man fragt sich nach dieser Suada, warum Schümer überhaupt noch in ein Flugzeug steigt, und am Ende gibt er zu, dass er leider darauf angewiesen sei, um zu seinen Wunschzielen zu kommen. Gegen seine Liste der alltäglichen Flugschrecken kann man allerdings nichts einwenden, kennt man sie doch selber zu genüge.
Hotels sind sein nächstes Angriffsziel. Anscheinend hat er im Laufe der Jahre hier sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Entweder hat er stets zu sehr auf den Preis geschaut, oder er hat in diesem Kapitel Berichte anderer Reisender zusammengefasst. Man fragt sich bei der Lektüre, warum jemand immer wieder die selben Fehler bei der Auswahl seiner Bleibe macht, und kommt zu dem Schluss, dass dies nur eine Sammlung aller möglichen – und vorkommenden – Pleiten bei einem Hotelaufenthalt sein kann.
Weiter geht es mit dem Essen, an dem er – vor allem in typischen Touristengebieten – auch viel auszusetzen hat. Auch das kennen wir als „Normalreisende“: entweder bekommt uns die landestypische Kost nicht, weil unser Verdauungssystem sie nicht gewohnt ist, oder es ist tatsächlich eine schlampig und lieblos hergerichtete Speise in einem womöglich noch überteuerten Restaurant. Mit wohligem Grausen schildert er auch die Zeitgenossen, die an jedem Ort der Welt (nur) genau das essen wollen, was sie von zu Hause kennen – Eisbein mit Sauerkraut in Tokio; oder auch die, die in fremden Ländern ihre Kenntnisse durch lautstarkes Bestellen einer seltenen Landesspeise kundtun, möglichst noch in der – meist holprig formulierten – Landessprache.
Über diese ausschweifenden Speisefreuden und -leiden kommt Schümer zum nächsten Klassiker: dem „Sardinen-Sonnen“ am überfüllten Strand, bei dem Urlauber dicht an dicht im Sand liegen, sich einen Sonnenbrand holen und dem Herdentrieb folgen. Diesem Urlaubsvergnügen kann er besonders wenig abgewinnen, obwohl er zugibt, ihm auch schon gefrönt zu haben. Weiter geht es dann zur Pistenraserei auf vereisten Hängen in Gegenden, wo man noch vor hundert Jahren im Winter nicht mal Katze oder Hund vor die Tür gejagt hätte.
Zum Schluss greift er noch den weit verbreiteten Wahn auf, möglichst weit entfernte und ausgefallen Reiseziele – Outback mit den Auto, Patagonien auf Pferden – „machen“ zu müssen. Das ist für ihn mittlerweile zu einem Statusrennen geworden, das nichts mehr mit dem „Erfahren“ fremder Länder zu tun hat. Man möchte möglichst gewagte Abenteuerreisen erleben – „Extrem-Reisen“ -, aber mit garantierter Gefahrlosigkeit, guter Hygiene und anständigem Essen. Dem Risiko eines wirklichen, weil unplanbaren und gefährlichen Abenteuerreise will sich niemand aussetzen, aber die entsprechende Aura genießen und mit nach Hause bringen. Schümer erkennt den Fortschritt durchaus an, dass sich auch Menschen mit Durchschnittseinkommen heute Fernreisen leisten können, doch für ihn kommt dabei am Ende heraus, dass die Menschen lediglich sich und ihre Umgebung in fremde Länder mitschleppen und sich gar nicht erst auf eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Land einlassen. Im Rennen um den höchsten Status geht es nur um Exotik, vermeintliche Originalität und die Aura des Einzigartigen, die jedoch jeder – und das ist der grundlegende Widerspruch – aus dem Katalog buchen kann.
Das Buch liest sich recht flott herunter und bietet viele Wiedererkennungseffekte. Vielleicht löst es bei einigen Lesern auch eine gewisse Besinnung auf das Wesentliche beim Reisen aus.
Das Buch „Touristen sind immer die Anderen“ ist im Hanser-Verlag erschienen, umfasst 235 Seiten und kostet 17,90 e.
Frank Raudszus
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