Das Staatstheater Darmstadt präsentiert Verdis „Macbeth“.
Was hat Odysseus mit Macbeth zu tun? Die Frage scheint weit hergeholt, leitet sich jedoch aus dem engen zeitlichen Abstand zweier Premieren ab: Monteverdis „Il ritorno d´Ulisse in patria“ am 25. und „Macbeth“ am 17. September auf der selben Bühne.
Odysseus irrt zwanzig jahre lang am Rande des Wahnsinns durch die Wasserwüste und metzelt am Ende alle Freier seiner Frau Penelope dahin. Macbeth metzelt erst alle Konkurrenten auf Betreiben seiner Frau hin und wird dann von seinen Feinden hingemetzelt, während seine Frau im Wahnsinn endet. Mit ihrer Spiegelbildlichkeit decken beide Stücke sozusagen die Befindlichkeit der Spezies homo sapiens ab.
Noch eine anderes, eher dramaturgisches Detail verknüpft diese beiden Inszenierungen. Entgegen der originalen Geschichte tötet Odysseus im Kampfrausch die Geliebte Melantho seines Sohns Telemach. In der letzten Szene der Darmstädter Inszenierung greift Telemach daraufhin zum Messer, das dann als Symbol für das immerfort sich fortsetzende Böse („The evil that men do….“) auf die Premiere von „Macbeth“ verweist. Ob die Regisseure diese Verknüpfung abgesprochen haben, sei dahingestellt, sie drängt sich aber dem aufmerksamen Betrachter beider Premieren geradezu auf.
Generalmusikdirektor Will Humburg hatte bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass er Verdis Musik für diese Oper aufs Äußerste zuspitzen werde, und er hielt Wort. Bereits die ersten Klänge aus dem Graben – ein zickiger Dialog zwischen einem Bass und einer schrillen Violine, geben das Grundmuster der Beziehung zwischen Macbeth und seiner Frau vor. Dann eilt das Orchester in langen Bögen davon. Wenn sich der Vorhang hebt, schaut der Zuschauer auf eine lange weiße Wand mit einer Guckkasten-Aussparung, in der sich drei Bräute alias Hexen in verführerischen Posen präsentieren. Das wahre Wesen der Hexe besteht nicht aus Hässlichkeit und Warzen, sondern aus der erotischen Verführungsmacht, womit auch schon der unübersehbare Verweis auf Lady Macbeth im Raum steht. Wenn diese Hexen ihre Prophezeiungen von sich geben, vervielfachen sie sich zu einem Chor von Bräuten mit Hexengesang, so dass sich Macbeth unter ihnen am Boden windet und sich die Ohren zuhält. Über dem „Schaufenster für Brautausstattungen“ steht der doppelbödige Satz „Trau Dich“: vordergründige Aufforderung an alle Heiratswilligen und hintergründige Aufstachelung des schottischen Granden zur unerhörten Tat.
Die Vorbereitungen des Königsmords spielen in ähnlichen Guckkästen, wobei das Ambiente der ehelichen Gemächer an Hannah Ahrends Begriff der „Banalität des Bösen“ erinnert. Hier machtbesessene und kompromisslose Frau, da der unentschlossene, noch mit letzten Skrupeln kämpfende Mann. Solange diese beiden um die zu vollbringende Tat kämpfen – er am Boden, sie aufrecht und im richtigen Moment im Negligé – spielt sich die Handlung als Kammerspiel in den engen Guckkästen ab. Hier kämpfen zwei Menschen einen privaten Kampf um ihre Zukunft. Mit dem Mord jedoch öffnet sich die Bühne schlagartig zu einem geradezu unendlich großen Raum, in dem die beiden Protagonisten – nun sie die Entscheidung getroffen haben – in eisiger Einsamkeit einander gegenüber stehen. Der Mord macht ihre heimliche Gier nach Macht öffentlich und unumkehrbar.
In diesem Bühnenbild spielen sich auch die anderen Morde an Banquo und Macduff ab, was nicht heißt, dass die Umgebung der beiden Mörder einbezogen wird, sondern, dass die beiden der quasi-öffentlichen Zwanghaftigkeit der auseinander folgenden Morde ausgeliefert sind, solange, bis ihre Gegner keine Zweifel mehr an der Schuld von Macbeth und seiner Frau hegen.
Den Niedergang der beiden verlegt Regisseur Viestur wiederum in den kammerspielartigen Guckkasten, wobei dieser am Ende eher wie Hitlers Führerbunker im April 1945 anmutet – vielleicht bewusst. Die blutigen Geister der Ermordeten kriechen aus der Erde und unter den Betten hervor, und Lady Macbeth erliegt schließlich dem Irrsinn. Der Wald von Birnam besteht bei Viestur Kairish nicht aus Zweigen oder zumindest symbolischen Abstraktionen dieses Gewächses, sondern aus Kinderschaufeln. Man kann über den Sinn dieser symbolischen Umdeutung durchaus diskutieren, und die brutale Ermordung von Macduffs Kindern rechtfertigt diese Geste zumindest partiell. Auf jeden Fall war der Sinn dieser Schaufeln vom ersten Augenblick an eindeutig, und von daher sind Aufgeregtheiten wegen dieser Schaufeln eher drittrangig.
In dieser Inszenierung gehen Musik, Bühnenbild und Personenregie Hand in Hand. Selten hat man eine solche kompromisslose Darstellung vom Aufstieg und Fall eines Verbrecherpaares gesehen und gehört. Das Orchester bewegt sich von Anfang an auf Kriegsfuß – aber nicht mit der Musik sondern bei der Umsetzung der mörderischen Handlung auf der Bühne. Lyrische Passagen im üblichen Sinne gibt es nicht; Stellen, die so klingen, sind vergiftet von Machtgier und Mordlust. Will Humburg hat konsequent jede Dissonanz, jede Reibung der Klänge zugespitzt und in den Vordergrund geschoben. Diese Musik kennt bis zum Schluss kein Mitleid, sei es am Anfang mit den Opfern des Paares oder am Ende mit diesem selbst. Hart und unerbittlich fallen die Akkorde, scharf und bissig fahren die Streicher durch den Raum.
Die Darsteller folgen diesem Diktum der Kompromisslosigkeit mit bewundernswerter Kosequenz, allen voran Katrin Gerstenberger als Lady Macbeth. Sowohl darstellerisch als auch sängerisch hat sie ihren Bühnen-Gatten stets im Griff, ob sie ihm nun – die Frisur richtend – über den Kopf fährt oder ihm die Krawatte richtet. Dieser Macbeth ist ein Herrscher von den Gnaden seiner Frau und geht daran zugrunde. Diese von der Regie gewollte Hierarchie zwischen den beiden Ehepartnern geht in gewisser Weise auf Kosten von Maksim Anisikin, der den Macbeth singt und der obendrein auch noch kleiner als die allerdings recht große Katrin Gerstenberger ist. Größenverhältnisse, stimmliche Präsenz und die gnadenlose Durchsetzungskraft der Lady Macbeth alias Katrin Gerstenberger lassen das Paar in unterschiedlichem Glanz erstrahlen, obwohl sich Maksim Aniskin mit einigem Erfolg bemüht, sowohl stimmlich als auch darstellerisch mitzuhalten. Doch wenn man einer Katrin Gerstenberger solche Regievorgaben macht, gibt es kein Halten mehr. Der Inszenierung kommt dies allerdings nur zugute.
In weiteren Rollen überzeugen Felipe Rojas Velzo als ein wahrhaft schaurig anzusehender Geist des ermordeten Macduff und Vadim Kravets als Banquo. Nicht zu vergessen der Chor, der nicht nur in Gestalt der Hexen sondern auch als revoltierendes und klagendes Volk auftritt und überzeugt.
Nicht zu vergessen auch die Kinder, die hier in verschiedenen, nicht immer einfachen Rollen auftreten und ihre Sachen durchweg gut machen.
Das Premierenpublikum zeigte sich beeindruckt und spendete kräftigen Beifall und auch vereinzelte „Buhs“ – vielleicht wegen der Kinderschaufeln.
Frank Raudszus
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