Beim Rheingau Musik Festival begeistert der US-Amerikaner Bobby McFerrin sein deutsches Publikum.
Diese Veranstaltung stand von Anfang an unter keinem guten Stern und drohte buchstäblich zu „verwässern“. Nachdem der ursprünglich geplante Termin am 11. Juli einem Unwetter und dem überschwemmten Kurhaus in Wiesbaden zum Opfer gefallen war, zeichnete sich anfangs keine Ersatzveranstaltung ab. Doch dank der Bereitschaft Bobby McFerrins, seinen Spanienurlaub zugunsten eines neuen Termins zu unterbrechen, und der Zusage der „Phönix“-Halle in Mainz konnte der neue Termin auf den 29. Juli festgelegt werden. Doch an diesem Abend schüttete es wiederum in und um Mainz herum so stark, dass die Autobahnen unter Wasser standen und der pünktliche Beginn gefährdet war – wenn nicht mehr. Doch schließlich konnte die Veranstaltung mit viertelstündiger Verspätung beginnen.
Man soll ja einem „geschenkten Gaul“ nicht ins Mauk schauen, und sofern muss man für die Verfügbarkeit der Phönix-Halle dankbar sein. Doch wenn man das Wiesbadener Kurhaus als usprünglichen Veranstaltungsort im Kopf hatte, musste man erst einmal umdenken. Die Halle liegt mitten in einem Gewerbegebiet und verströmt den Charme des frühen Industriezeitalters. Offensichtlich diente die Halle bis vor kurzem Produktions- oder Lagerzwecken. Riesige Laufkräne zieren die hohe Decke, überall ziehen sich – puristische! – Rohre und Stahlträger entlang, und die Wände zwischen Halle und „Foyer“ – ein weiter Raum mit grauem Estrich – zieren ockergelbe Pressspanplatten. Doch wie gesagt: man war froh, eine Ersatzstätte gefunden zu haben, und irgendwie passte die Örtlichkeit – oder heißt es heute „Location“? – zu dem etwas anarchischen Musikstil Bobby McFerrins.
Der trat denn auch mit seinen beiden Mitspielern bzw „friends“ – Armand Hirsch an der Gitarre und David Mansfield an Gitarre, Violine, Mandoline und Resonator-Gitarre – auf die Bühne heraus und verlor erst einmal ein paar Worte über den Regen, was ihn gleich zu „September in the Rain“ und „Raindrops are falling …“ kommen ließ. Aber die Befürchtungen, dass er hier nur abgestandene Ohrwürmer des Kuschelpops präsentieren würde, waren überflüssig. Diese beiden kurzen Reminiszenzen waren nur dem Wetter geschuldet. Das Programm bestand an diesem Abend aus vielen bekannten und weniger bekannten Stücken, bei denen es aber weniger um den musikalischen oder gar textlichen Inhalt als um die Präsentation ging. Bobby McFerrin ist ein Meister der Stimmbildung. Problem- und ansatzlos wechselt er zwischen Kopf- und Bruststimme, singt mal wie ein Countertenor, dann wie ein Bariton und bei Bedarf auch wie bärtiger Bassist in den tiefsten Lagen. Dazwischen imitiert er dann beliebige Instrumente. Mal kling er wie die heulende Seite einer Rock-Gitarre, dann wieder wie ein satter Kontrabass, aber auch als Saxophon kann er sehr gut auftreten. Schließt man als Zuschauer die Augen, hört man tatsächlich den entsprechenden Instrumentalisten auf der Bühne „grooven“.
Wenn Bobby McFerrin singt, dann schlägt er sich dabei fast pausenlos mit der rechten Hand auf die Brust, während die linke das Mikrofon hält. Das erzeugt einen flachen, klatschenden Laut, der wie ein Schlaginstrument klingt und über das Mikrofon und die Lautsprecher einen hohlen Klang annimmt. Man hört sozusagen die Resonanz von Bobby McFerrins Brustkorb. Das ist offensichtlich keine Marotte sondern ein bewusst eingesetzter musikalischer Effekt. Diese Effekte begleitet McFerrin immer wieder mit höchsten Stimmlagen – dann klingt er fast wie ein Kind – oder mit tiefem Gegrummel. Er zeigt sich hier als Entertainer reinsten Wassers, der permanent für musikalische Überraschungen sorgt und auch immer wieder Scherze auf Lager hat. Letztere richten sich mal an seine Mitspieler, die er auch gezielt mit Lob und Bewunderung bedenkt, oder an das Publikum. Das bezieht er gerne für den Refrain ein – was an diesem Abend durchaus gut klappte – und ermuntert seine Zuhörer dabei durch deutliche Zeichen zu kräftigem Gesang. Dabei überzieht er diese bei Musikern beliebte Methode glücklicherweise nicht, denn das allgemeine Mitsingen kann leicht in reinen Klamauk ausarten.
Auch die zweite Methode, das Publikum einzubeziehen, scheut Bobby McFerrin nicht. So bat er Freiwillige vor, um einen bekannten Song zumindest ansatzweise mitzusingen. Er hatte Glück, dass sich ein Australier meldete, der sich nicht nur locker mit ihm unterhalten konnte (und dies auch tat) sondern der sogar eine kräftige Stimme hatte und dies bei einigen Takten deutlich bewies. Doch bevor dieser talentierte Sänger die Bühne erobern konnte, entließ ihn Bobby McFerrin wieder ins Publikum.
Eine Schwäche von McFerrins Auftritt sei nicht verschwiegen: von Anfang an sang er fast ausnahmslos in einer „lean back“-Haltung im Sitzen von seinem Stuhl mitten auf der Bühne. Man hätte ihn sich stehend gewünscht, mit mehr körperlicher Präsenz und etwas mehr gestischer Unterstützung. Das Publikum ist wie eine Herde Raubtiere: wenn man es nicht ständig durch hohe Präsenz und Aktion unter Kontrolle hält, wird es unruhig und kann – auf seine Weise – gefährlich werden. Der Gefahr der Unaufmerksamkeit und Unruhe begegnete Bobby McFerrin durch einen permanenten Strom von Songs und musikalischen Kabinettstückchen. Es gab stets etwas zu lachen, und notfalls lachte er auch selbst über irgendetwas, das sich den Zuschauern nicht immer erschloss. Und seine Kunst der Stimmbildung überraschte das Publikum immer wieder aufs Neue. Doch die sitzende Anordnung der drei Musiker hatte auch eine gewisse Statik zur Folge, die beim Publikum zwangsläufig zu gewissen Ermüdungserscheinungen führt. Ob diese Art des Auftritts seine persönliche, unverwechselbare Art ist oder auf eine temporäre Befindlichkeit zurückzuführen ist, kann der Rezensent mangels Kenntnis anderer Konzerte nicht beurteilen, doch mehr Bewegung auf der Bühne wäre auf jeden Fall wünschenswert.
Dennoch war dieser Abend durchaus ein Erlebnis, das man nicht müssen möchte. Man erlebte in diesem Auftritt ein kleines Stimmwunder und lernte dabei, wie variabel die menschliche Stimme ist. Darüber hinaus ist Bobby McFerrin der geborene Entertainer, der stets eine gute Anekdote oder zumindest Bemerkung auf Lager hat und damit seine Mitspieler und das Publikum erheitert. Weiterhin bekam es der Gesamtwirkung sehr gut, dass er auf eine Pause verzichtete und sein Programm in einer dichten, eineinhalbstündigen Folge vortrug. So gab es keinen Bruch, und das Publikum musste sich nicht nach einer Pause erst wieder neu auf ihn und seine Musk einstellen.
Der Beifall am Ende war entsprechend spontan und begeistert, so dass Bobby McFerrin und seine Mitstreiter noch eine Portion drauflegten und dass Publikum noch einmal durch eine temperamentvolle Nummer aufheizten, bevor es hinaus in den verregneten Abend strömte.
Frank Raudszus
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