Das „Tintinette Swing Orchestra“ tritt beim Rheingau Musik Festival in der Hessischen Staatskanzlei auf.
Ein ungewohntes Verfahren mussten alle Besucher dieser Veranstaltung am Eingang durchlaufen. Namen und Geburtsdaten wurden unter Vorlage eines Ausweises notiert, ehe der Weg zu Getränken und Kunstgenuss freigegeben wurde. Man merkte, dass man sich hier in einem politischen Machtzentrum befand, wenn dies auch an einem Samstagabend ausgestorben wirkte und keine (Ehr-)Furcht einflößte. Aber man sah es angesichts der politischen Lage und latenter Bedrohungen ein und ließ die Prozedur willig über sich ergehen. Als Gegenleistung spendierte die Staatskanzlei den Besuchern vor Beginn frisches Mineralwasser und Brötchen und in der Pause Weiß- und Rotwein. Außerdem hatte dieses Konzert einen geradezu familiären Charakter, da wegen der begrenzten Ausweichplätze bei Regen nur maximal einhundert Plätze zur Verfügung standen. An diesem Abend jedoch standen keine Regenwolken am Himmel, und so konnte die Veranstaltung im Innenhof des ehemaligen Kurhotels „Rose“ aus dem späten 19. Jahrhundert stattfinden.
Es wirkte wie ein ironischer Seitenhieb auf den Ernst der Macht dieser Örtlichkeit, dass ausgerechnet das „Tintinette Swing Orchestra“ hier auftrat, das aus gerade einmal drei Musikern besteht. Im Mittelpunkt steht Annamaria Tammaro als multitalentierte Sängerin; Gero Pitanza am Kontrabass und Giovanni Costagliola an der Ukulele – als Begleitinstrument ein weiterer ironischer Witz – standen ihr zur Seite. Dass dieses „Orchester“ seinen Weg aus der Siziliens Palermo ausgerechnet in die Hessische Staatskanzlei geschafft hat, gab natürlich Anlass zu beliebigen Bonmots….
Doch dann war alles eher harmlos, wenn auch witzig und frech. Die drei Musiker haben sich die Swing-Musik auf die Fahnen geschrieben und dabei den Ehrgeiz entwickelt, mit der geschilderten, zweifellos recht sparsamen Instrumenten ein echtes „Swing-Gefühl“ zu erzeugen. An diesem Abend hatten sie sich die vierziger und fünfziger Jahre vorgenommen und dabei den Schwerpunkt auf Italien gelegt – was nahe lag.
Gleich zu Beginn erklang die berühmte „Questa piccolissima serenata“ sozusagen als Motto des Abends. Dieses sentimentale Liebeslied aus den fünfziger Jahren wird noch allen älteren Jahrgängen recht bekannt sein, die ja bekanntlich das Rheingau Musik Festival dominieren. Von daher war der Wiedererkennungseffekt garantiert. Anschließend ging es durch die Schlagerliteratur der vierziger und fünfziger Jahre, wobei Annamaria Tammaro viel Witz, Frechheit und Charme versprühte. Jedem Lied verlieh sie seine ganz eigene Interpretatiion, mal naiv-kokett, mal frech, dann wieder schmachtend oder leidenschaftlich, eifersüchtig oder liebeskrank. Die italienischen Schlager verstand man leider nur, wenn man des Italienischen mächtig war, aber man konnte sich auch so vorstellen, wovon sie handelten. Und wenn man den konkreten Witz eines Textes nicht verstand, amüsierte man sich über die mimischen und gestischen Interpretationen der Sängerin und genoss die beschwingte Musik. Ein Lied sang sie direkt in eine Weinglas hinein, ein anderes mit zugehaltener Nase, um damit die etwas gequetschte Akustik zu erzeugen, die sich Mitte des letzten Jahrhunderts aus den geringen Bandbreiten von Aufnahmegeräten und Übertragungskanälen ergab, heute jedoch geradezu zum Retro-Kult geworden ist. Dann streute sie wieder italienische „Evergreens“ ein, die sofort Assoziationen an die eigene Jugend weckten, oder wechselte plötzlich das Fach und trug „Summertime“ aus George Gershwins „Porgy and Bess“ vor. Auch Edith Piafs Chanson „Milord“ durfte natürlich nicht fehlen, ebenso wenig wie Duke Elligntons „It don´t mean a thing, if it ain´t got the swing“.
Neben – vermutlich – frechen Texten streute Annamaria Tammaro auch viele der Lautmalereien ein, die man von frühen Jazz-Größen wie Ella Fitzgerald und Louis Armstrong kennt. Von letzterem geht das Gerücht, er habe die kreative Silbenbildung erfunden, als er einmal den Text vergessen hatte. Sei´s drum: diese Technik hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts zur Kunstform entwickelt bis hin zu der trivialen Version des „Schubidubidu“. Daneben überraschte Annamaria Tammaro das Publkum noch durch andere Extravaganzen: trug sie im ersten Teil ein körperbetontes rotes Kleid, so erschien sie zur zweiten Hälfte wie eine sizilianische Witwe ganz in Schwarz mit einem kleinen Schleier vor dem Gesicht. Das hinderte sie jedoch nicht daran, ihre Lieder auf dieselbe freche und gar kokette Art vorzutragen. Kurz und gut: sie bot nicht nur einen musikalischen Kunstgenuss. Ihre beiden Begleiter spielten ihre Rollen typengerecht. Gero Pitanza gab den Bassisten mit Pokerface – hat man schon mal einen anderen Basstyp gesehen? – und Giovanni Costagliola hantierte mit der Ukulele mit dem Ernst und Eifer eines Rock-Gitarristen. Dabei entlockte er dem kleinen Instrument ungeahnte Klänge.
Die drei Musiker brachten in diesen kleinen Innenhof ein Leben und eine musikalische Frische, die man hier wohl selten spüren durfte. Andererseits wäre es wahrscheinlich für die Wirkung besser gewesen, das Konzert in einem der kleinen Weingüter zu veranstalten, wo die Umgebung, die Enge und – last but not least! – der Rheinwein für ganz andere Stimmung gesorgt hätten. So blieb die Stimmung des Publikums in diesem staatstragenden Ambiente zwar freundlich und gehoben, steigerte sich jedoch nie zur Begeisterung.
Frank Raudszus
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