Das Rheingau Musik Festival eröffnet die Saison 2014 im Kloster Eberbach mit Mendelssohns „Sommernachtstraum“.
Die Veranstalter des mittlerweile ins 27. Jahr gehenden Rheingau Musik Festivals ehren fast jedes Jahr einen musikalischen Jubilar – 2013 etwa Richard Wagner zu seinem 200. Geburtstag -, doch wenn es passt, kann auch einmal ein Literat diese posthume Ehrung genießen. Das ist natürlich bei einem Dichter wie William Shakespeare nahezu „per definitionem“ der Fall, denn vor allem seine großen Theaterstücke zogen die großen Opernkomponisten fast magisch an. Da sich Shakespeares Geburtstag in diesem Jahr zum 450. Mal jährt und das Rheingau Musik Festival quasi den gesamten Sommer abdeckt, lag es nahe, zum Auftakt ein sommerliches Thema aufs Konzertpodium zu bringen. Da traf es sich blendend, dass nicht nur Shakespeare den „Sommernachtstraum“ verfasst hat, sondern dass auch Felix Mendelssohn-Bartholdy dieses Werk mit einer eigenen Schauspielmusik unterlegt hat, die mindestens so bekannt – und beliebt – sein dürfte wie Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Aus dieser Faktenlage entstand dann offensichtlich die Entscheidung, dem Komponisten Mendelssohn den gesamten Abend zu widmen, auch wenn ursprünglich das Jubiläum des großen Engländers im Vordergrund gestanden hatte. Musikalisch bestritt diesen Eröffnungsabend – wie immer – das Orchester des Hessischen Rundfunks, dass dazu extra seinen Ehrendirigenten Paavo Järvi wieder aktiviert hatte. Dazu hatte man den Esthnischen Philharmonischen Kammerchor sowie die Sopranistinnen Miah Persson und Golda Schultz als Solistinnen verpflichtet.
Die Basilika des Klosters Eberbach ist traditionsgemäß die Stätte des Eröffnungskonzerts. Nun wurde diese Klosterkirche ursprünglich nicht als Konzerthaus errichtet und eignet sich nur begrenzt für musikalische Aufführungen. Intime, kammermusikalische Aufführungen gehen in der Weite des Baus buchstäblich verloren, und sinfonische Werke leiden unter dem Hall der steinernen Wände und Rundbögen. Das gilt vor allem für die tiefen Frequenzen, die sich im Raum besonders gut fortpflanzen und aus allen Richtungen wiederkehren. Doch das Fassungsvermögen der Basilika einerseits und ihr repräsentativer Wert andererseits gleichen die akustischen Mängel zumindest aus der Sicht des Veranstalters aus; die Zuschauer in den letzten Reihen könnten das jedoch durchaus anders sehen.
So müssen sich jeder Dirigent und sein jeweiliges Orchester um einen möglichst schlanken Ton bemühen, um den Halleffekt zu minimieren. Der Erfolg hängt dabei natürlich stark von der Art der Komposition ab. Bei der Konzertouvertüre zum „Märchen von der schönen Melusine“, op. 32, von Mendelssohn lässt sich das wegen der märchenhaft versponnenen Art der Musik durchaus erreichen, und Paavo Järvi achtete auch auf eine akzentuierte und möglichst transparente Intonation, die in einem normalen Konzertsaal vielleicht sogar etwas spröde gewirkt hätte, hier jedoch durch den Hall die nötige klangliche Fülle gewann. Von Anfang an erinnert diese Ouvertüre an ihr Pendant zum „Sommernachtstraum“. Ähnliche märchenhaft-verträumte melodische Figuren und der gleiche warmen Holzbläser-Ton prägen das Musikstück. Dazu kommen das Leichte, Flirrende und der tänzerische Charakter, die beiden Stücken eigen ist. Paavo Järvi zügelte das Orchester aus den bekannten akustischen Gründen bewusst und ließ die einzelnen Stimmen deutlich hervortreten. Damit entging er über lange Strecken dem Hall des Raums und ließ die Strukturen des Stücks hervortreten, bis es mit einem leisen, fast melancholischen Akkord verklang.
Mendelssohns 1. Sinfonie in c-Moll beginnt dagegen ganz anders mit Dynamik und vorwärtspreschenden Akkorden. Man spürt, dass der Komponist noch ganz unter dem übermächtigen Eindruck Beethovens stand, der zur Entstehungsszeit der Sinfonie noch lebte, während Mendelssohn gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Man ist erstaunt über die Reife des Werks eines immerhin erst Halbwüchsigen. Neben der Dynamik eines Beethovens findet man bereits in diesem ersten Satz auch viele Ähnlichkeiten mit der Leichtigkeit, den Melodielinien und den Tempi Mozartscher Sinfonien, obwohl Mendelssohn dabei immer eine eigene, unverwechselbare musikalische Sprache findet. So fällt im dritten Satz, dem Menuett, die versetzte Rhythmik im Sechs-Achtel-Takt auf, die dem Satz eine eigenwillige, fast rebellische Charakteristik verleiht. Der Finalsatz beginnt dann mit einem Motiv, das an den letzten Satz von Mozarts großer g-Moll-Sinfonie (KV 550) erinnert. Es nimmt natürlich nicht wunder, dass sich ein so begabter und lernbegieriger junger Komponist an seinen großen Vorbildern ausrichtet und unbewusst gewisse Linien übernimmt.
In den klangvolleren Partien dieser Sinfonie – vor allem im ersten und letzten Satz -, trat das akustische Problem der Basilika deutlich hervor, denn hier konnte Järvi das Orchester kaum zurücknehmen, ohne den musikalischen Charakter schwerwiegend zu ändern. Dann verschwamm der Klang mit seinen eigenen Reflexionen an den hohen Wänden des Raumes zu einem nicht mehr klar strukturierten Hohlklang. Die feineren Partien dagegen kamen in ihrer Struktur deutlich zum Ausdruck, da Dirigent und Orchester stets um höchstmögliche Transparenz und schlange Intonation bemüht waren. Man merkte den Musikern an, dass sie in diesen Räumlichkeiten fast zu Hause waren, umschifften sie deren akustischen Probleme doch über weite Strecken mit Erfolg und Bravour.
Nach der Pause kam dann das – mehr oder weniger – „titelgebende“ Stück zu Gehör. Jetzt wurde der verregnete Abend, den man durch die hohen Kirchenfenster nur erahnen konnte, zu einer frühen Sommernacht. Gleich der zarte Beginn mit den wenigen gedehnten Tönen der Holzbläser drückt den märchenhaften Charakter dieser Komposition aus. Erst danach setzen die Violinen mit ihren flirrenden Läufen ein, die das Romantisch-Verspielte von Shakespeares Komödie unverwechselbar intonieren. Aus dem Gesamtumfang dieser Komposition präsentierte Paavo Järvi die Ouvertüre sowie die Sätze 1 (Scherzo), 3 (Lied), 5 (Allegro), 7 (Con moto tranquillo), 9 (Hochzeitsmarsch), 11 (Tanz der Rüpel) und das Finale. Neben der Ouvertüre, die mittlerweile „Ohrwurm“-Charakter aufweist, beeindruckten vor allem das Scherzo durch seine Transparenz und das Federn-Tänzerische, der deutlich akzentuierende Chor im Lied und die reine Lebensfreude des Hochzeitsmarsches, den Järvi mit forschem Tempo und viel Emphase anging. Zum Finale, das mit denselben zarten Tönen wie die Ouvertüre beginnt, setzte dann noch einmal der Chor ein und beendete den Abend mit Jubelgesang.
Die hohen Töne des reinen Frauenchors litten kaum unter der Akustik des Raums, und so gestaltete sich die Folge der Musikstücke zum „Sommernachtstraum“ zum gelungenen Höhepunkt des Abends. Das Orchester überzeugte durch seine hohe Präzision und eine ausgesprochen schlanke Intonation. Paavo Järvi zeigte nachdrücklich, dass er auch nach seinem Rückzug vom Posten des Chefdirigenten den Draht zu diesem Orchester nicht verloren hat. Das Publikum in der ausverkauften Basilika dankte es ihm, den Solistinnen und dem Ensemble mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.
Frank Raudszus
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