Dekonstruktion einer Beziehung

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Das Staatstheater Darmstadt zeigt in den Kammerspielen Fausto Paravidinos Einakter „Exit“.

1405_exit_01Zum Ende der Saison und der Ära der ablaufenden Intendanz präsentierte Schauspieldirektor Martin Apelt noch einmal eine deutschen Erstaufführung. In seinem 75minütigen Einakter „Exit“ zerlegt der römische Schauspieler, Regisseur und Theaterautor Fausto Paravidino die Beziehung eines Paares nach allen Regeln der Kunst. Dabei lässt er die beiden Protagonisten – „ein Mann „A“ (István Vincze) und seine Frau „B“ (Gabriele Drechsel)  – wechselweise als Berichterstatter und in den Szenen ihrer Ehe auftreten. Damit erreicht er eine ironische Brechung der Situation, weil sowohl der Mann als auch seine Frau ihre Beziehung einerseits von außen betrachten und – in gewisser Weise – reflektieren, auf der anderen Seite aber in ihr gefesselt sind. Zusätzlich führt er zwei externe Figuren „C“ und „D“ ein (Katharina Hintzen als „junge Frau“ und Matthias Kleinert  als „ein weiterer Mann“), die jedoch eher als Katalysatoren wirken und selbst keine tragende Rollen spielen.

In der Beziehung des Paares  kriselt es schon seit längerem, und die beiden Hauptdarsteller spielen wachsende Gleichgültigkeit, kalte Aggression, Vorwürfe, beleidigte Reaktionen diverse „Revanchefouls“ mit den entsprechenden mimischen, stimmlichen und gestischen Mitteln in kurzen Szenen durch. Jeder der beiden ist in der Beziehung auf Deutungshoheit und Gesichtswahrung bedacht. Schon lange ist die Beziehung zu einer Art Psychokrieg ausgeartet, in dem man sich selbst keine Blöße gibt aber die schwachen Stellen des Partners sucht und sie angreift. Schließlich ist es die Frau, die sich trennt, da sie nicht als Verlassene dastehen will. Zwar leiden beide unter der Trennung, aber jeder möchte sich vergewissern, dass eigentlich nur der andere leidet, und selbst den Eindruck von neu gewonnener Freiheit vermittelen. Die Telefonate zwischen den beiden bestehen aus taktischem Abklopfen des ehemaligen Partners, wobei man von sich selbst den Eindruck des coolen „Über-den-Dingen-Stehens“ vermittelt.

1405_exit_02Diese gespannte Situation erhält dadurch einen Riss, dass der Mann – offensichtlich Dozent an einer Hochschule – mit der „jungen Frau“ anbändelt. Diese will eigentlich keine Beziehung mit ihm will, doch sie reizt sein kühles Desinteresse, das wiederum auf seiner permanenten gedanklichen Beschäftigung mit seiner Trennung beruht. Die kurze Affäre zwischen den beiden könnte man mit dem bekannten Zitat „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ beschreiben. Als die Ex-Frau davon hört, ist sie in ihrer Eitelkeit schwer getroffen, da sie erst jetzt in ihren eigenen Augen als Verliererin der Trennung dasteht. Also legt sie sich selbst einen Verehrer zu, den sie jedoch weniger als Mann denn als Aushängeschild gegenüber ihrem Ex-Mann benutzen will. Der Schock trifft sie in dem Augenblick, als eben dieser Mann ihr eröffnet, er genieße es, mit ihr eine reine Freundschaft ohne sexuelle Absichten zu führen, eine Beziehung, die er sich nie habe vorstellen können. Die Frau jedoch hatte fest damit gerechnet, dass sie auch diese Beziehung aus dem Wissen steuern könne, von (je)dem Mann begehrt zu werden. Parallel dazu trennt sich die junge Frau – wenn auch schwanger von der kurzen Affäre – wieder von dem Mann. Auch sie hat, genau wieder Mann „D“, keinen Lebensplan, will aber auch nicht andere Menschen in ihr Leben eindringen lassen. Am Ende sitzen alle um einen Tisch, schauen aneinander vorbei und in die Leere des Raums. Jeder und jede wird in Zukunft mit sich selbst auskommen müssen und Abwechslung höchstens in kurzen Affären suchen und finden.

Regisseurin Marlene Anna Schäfer hat dieses düstere Stück mit Endzeitcharakter auf einer Bühne mit konfektionierten Möbeln eingerichtet. Am Anfang steht ein schwarzer Kubus mitten auf der Bühne, der sich als ein Baukasten aus verschiedenen Elementen herausstellt, die man zu Möbeln – Tisch, Schrank, Couch – kombinieren kann. Diese hochgradige Konfektionierung der Umgebung ohne jeglichen Charme des Individuellen lässt sich als Metapher auf die Beziehungen verstehen, die ebenfalls nach ihrer Wertigkeit und ihrem Nutzen für die jeweiligen Beteiligten gemessen werden. Dabei besteht dieser Nutzen nicht unbedingt (nur) aus materiellen Vorteilen, sondern es geht vor allem darum, narzisstische Sehnsüchte zu befriedigen und auf jeden Fall mehr aus einer Beziehung herauszuholen als zu investieren. Auch Intimitäten werden dann zum taktisch eingesetzten Mittel, das durch sein scheinbar uneigennütziges Geben schnell eine psychische Rendite entsprechend hoher Wertschätzung und Abhängigkeit bringen soll. Da letztlich Beziehungspartner so denken, kreisen sie umeinander wie die Katzen um den heißen Brei und versuchen dabei, sich in eine vorteilhafte Stellung zu bringen. Die alte, asymmetrische aber stabile Beziehung der Geschlechter – öffentliche Macht beim Mann, intime Macht bei der Frau – hat sich zu einer symmetrischen aber instabilen Situation gewandelt, in der beide gnadenlos um dieselben Machtpositionen – Eigenständigkeit und Deutungshoheit – kämpfen. Diese Strukturmerkmale legt Paravidinos Stück offen und dekonstruiert damit gnadenlos die Geschlechterbeziehungen, wie sie sich heute in zunehmender Weise zeigen.

István Vincze und Katharina Hintzen ("C")

István Vincze und Katharina Hintzen („C“)

Die dramaturgische Schwäche des Stücks besteht nicht darin, dass es keine Lösung weiß, sondern dass es am Ende ohne weitere Erkenntnisse versandet. Die Feststellung, dass Beziehungen unter diesen Randbedingungen kaum möglich sind, steht bereits nach wenigen Szenen fest. Man hätte sich am Ende jedoch entweder eine psychologische oder gesellschaftliche Pointe gewünscht, die noch einmal eine neue Perspektive eröffnet und den schwarzen Vorhang des Fatalismus aufreißt – wie auch immer am Ende die Aussage gelautet hätte. So bleibt am Ende nur die große Sinnlosigkeit im Raum stehen.

Die Darsteller bringen die psychischen Situationen und Grabenkämpfe glaubwürdig und mit viel Gespür für die echten und vermeintlichen Verletzungen der Beteiligten, und die Zuschauer werden sicherlich die eine oder andere Situation aus dem eigenen Beziehungsleben wiedererkannt haben, wenn auch vielleicht nicht in der Schärfe. Nur dann, wenn es nicht nur die „anderen“ betrifft sondern man sich selbst erkennt, hat dieses Stück seine Absicht erreicht.

Frank Raudszus

 

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