Das Nationaltheater Mannheim bringt die „Blues Brothers“ auf die Bühne.
Im Jahr 1980 begeisterte deer Film „Die Blues Brothers“ das Kino-Publikum. Er vereinte eine so verrückte wie temporeiche Handlung mit rasanten Verfolgungsjagden und Vollblut-Musik der Stilarten Blues, Soul und Rock und wurde binnen kürzester Zeit zu einem Kultfilm in vielen Ländern. Witzigerweise war die Band „Die Blues Brothers“, um die es in diesem Film geht, keine Fiktion sondern tatsächlich die Band von John Belushi und Dan Aykroyd, die sich als Drehbuchautoren des Films damit selbst ein Denkmal setzten. Der untersetzte, bullige John Belushi und der schlaksige, nonchalante Autofan Dan Aykroyd wurden mit diesem Film zu einem Paar, das es an Statur und Bekanntheitsgrad mit Stan Laurel und Oliver Hardy aufnahm. Dass die beiden Protagonisten und Brüder Jake und Elwood den Nachnamen Blues tragen, hat dabei sozusagen programmatischen Charakter.
Elwood holt seinen Bruder Jake nach drei Jahren ausgerechnet in einem alten, getunten Polzeiauto aus dem Gefängnis ab und liefert sich gleich ein erstes Verfolgungsrennen mit der echten Polizei, das er klar gewinnt. Als sie bei der Leiterin des christlichen Waisenhauses, in dem sie aufgewachsen sind, erfahren, dass es wegen Steuerschulden aufgelöst werden soll, beschließen sie, die benötigten fünftausend Dollar auf ihre Weise zu besorgen, was aber die Mutter Äbtissin wegen der Vergangenheit der beiden empört ablehnt. Bei einem Gottesdienst in einer Kirche kommt Jake die „göttliche Erleuchtung“, die alte Band wieder zusammenzutrommeln, um das Geld mit einigen Auftritten hereinzubekommen. Zwar gelingt es mit einigen Mühen und energischem Zureden, die ehemaligen Bandmitgliedern aus ihren jeweiligen privaten und beruflichen Verpflichtungen zu lösen, aber die ersten Auftritte geraten eher zum Desaster. Bei dem ersten Veranstelter prellen sie – wieder durch einen rasanten Start mit dem alten Polizeiauto – die Zeche, und außerdem brechen sie rund um Chikago jegliche Verkehrsregeln, so dass die Polizei und sogar die Nationalgarde hinter ihnen her sind. Außerdem verfolgt sie Jakes ehemalige Braut, die er einst vor der Kirche sitzengelassen hat, mit unstillbaren Rachegefühlen und diversen Attentaten. Im letzten Augenblick schießt ihnen ein begeisterter Musikproduzent zehntausend Dollar vor, wovon sie gerade noch die ausstehende Zeche und die Steuerschulden des Waisenhauses bezahlen können, bevor sie festgenommen werden. Im Gefängnis geben sie dann mit einer frisch gegründeten Band ein Konzert, unter anderem mit dem „Jail House Rock“.
Einen solchen Action-Film auf die Bühne zu bringen, ist nicht ganz einfach, doch Matthias Gehrt, der sowohl die Bühnenfassung erstellt hat als auch die Inszenierung verantwortet, gelingt das auf bewundernswerte Art und Weise. Dabei kommt ihm der liebenswerte Charme der Mannheimer Bühne aus den 50er Jahren mit dem blanken Estrich unter den einfachen Stühlen und dem Baustellencharakter zugute. Ein ehrwürdiges Staatstheater mit (neo-)barockem Interieur wie etwa in Wiesbaden hätte dieser Vorstadtgangster-Geschichte nicht den passenden Rahmen gegeben. In diesem kargen Ambiente jedoch konnte man sich die beiden mit ihrer improvisierten Rettungstat „auf Biegen und Brechen“ gut vorstellen.
Mit Markus Maria Düllmann (Elwood) und Oliver Jaksch(Jake) hat Gehrt zwei Darsteller gefunden, die dem Profil von Dan Aykroyd und John Belushi entsprechen. In schwarzen Anzügen, mit schwarzen Hüten und Sonnenbrillen geben sie ein cooles Paar ab, das sich mit ihren Film-Vorbildern durchaus messen kann. Die Autofahrten realisiert Gehrt auf doppelt fiktive und doch realistische Weise. Ein Modellauto fährt zu jeder dieser Fahrten auf die Bühne und parkt zwischen den beiden Darstellern, die, in den Knien wippend und – Elwood – eine Hand lässig auf dem fiktiven Lenkrad, auf der Suche nach dollarträchtigen Auftritten in ihrem ebenso fiktiven Auto durch die engere und weitere Umgebung Chikagos brausen und sich mit der Polizei reifenqietschende und motorröhrende Wettfahrten liefern. Von Zeit zu Zeit tritt Carolyn Soyka als Jakes Verflossene Carrie mit knatternder Maschinenpistole auf und jagt die beiden in Deckung. Als sie sie schließlich in einer Sackgasse festnagelt, erweicht Jake sie mit seinem urwüchsigen Charme und ermöglicht den beiden die Flucht vor der Rächerin.
Das alles ist mit den Mitteln der Bühne sehr temperament- und effektvoll inszeniert, und man vermisst die Möglichkeiten des Kinos durchaus nicht. Im Gegenteil, die Darsteller nutzen die Möglichkeit des direkten Publikumkontakts und motivieren die Zuschauer immer wieder zum lautstarken Mitsingen eingängiger Songs der achtziger Jahre. Während im Film bekannte Namen wie Aretha Franklin, James Brown, John Lee Hooker und Steven Spielberg mitwirkten, muss die Theaterversion diese Rollen mit aktuellen Darstellern besetzen. Dafür hat sich Gehrt jedoch passende Sänger und Schauspieler ausgesucht, die hinsichtlich Hautfarbe und Gesangsstil zu der jeweiligen Rolle passen. Zwar werden viele jüngere Zuschauer mit diesen Zitaten nicht mehr viel anfangen können, aber die Darsteller gestalten ihre Rollen mit einer solch prallen Spielfreude, dass diese ein Eigenleben ohne den expliziten Bezug auf den großen Namen entwickeln. Das gilt zum Beispiel für die Restaurantbesitzerin Murphy (Stefanie Köhm) , die in der Theaterversion der Einfachheit halber Aretha heißt und damit unverwechselbar auf die Filmbesetzung verweist, und Reverend Cleophus (Lemuel Pitts) sieht mit seiner Mähne tatsächlich aus wie der junge James Brown.
Als Gegenpart zu dem kompromisslos agierenden und aus voller Kehle singenden Brüderpaar treten zwei Polizisten (Andreas Helgi Schmidt und Felix Bonhofer) auf, die den Brüdern als „running gag“ in ihrem Polizeiwagen folgen, der ebenfalls durch ein herumiirendes Spielzeugauto mit Blaulichtern auf die Bühne kommt, aber entweder ihr Auto zu Schrott fahren oder anderweitig den Kürzeren ziehen. Regisseur Gehrt legt diese beiden als im Grunde ängstliche Maulhelden an, die sich aneinander festhalten, von den Brüdern nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt werden und beim Publikum für viele Lacher sorgen. Zwar gehen sie zum Schluss als formale Sieger aus dem Zweikampf hervor, doch die eigentlichen Gewinner sind die beiden Brüder, da sie sogar im Gefängnis mit ihrer Musik – „Jailhouse Rock“ – sogleich wieder die Insassen und Wärter für sich gewinnen.
Das Ensemble bietet zwei Stunden lang eine fetzige Musik-Revue mit unterschiedlichen Musikstilen der „Rythm & Blues“-Ära und vielen Tanzeinlagen, bei der die Musik die Hauptrolle spielt und nebenbei in eine temporeiche Handlung eingebunden wird. Ältere Zuschauer, von denen man doch eine ganze Menge sah, werden sich an viele Lieder erinnert und in Gedanken oder gar lauthals mitgesungen haben. Die Jüngeren hatten aber an dem Bühnengeschehen und der Musik mindestens ebenso viel Spaß, und das Publikum bedachte das gesamte Ensemble mit derart kräftigem und rhythmischem Beifall, dass die Truppe noch vier Zugaben an die Vorstellung hängte, ehe der Beifall gegen halb zehn endlich verebbte.
Frank Raudszus
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