Die Compagnie Jant-Bi Jigeen präsentiert ihre Choreographie „Afro-Dites/Kaddu Jigeen“ bei die Wiesbadener Maifestspielen.
Afrika ist aus europäischer Sicht der Kontinent der Brüche, Kriege und sozialen Probleme – und vor allem der Flüchtlingsströme. Nicht zuletzt diese problematische Perspektive hat die Leitung der Maifestspiele bewogen, Afrika einmal aus einem anderen, kulturellen Blickwinkel zu zeigen und damit sowohl positive Signale zu setzen als auch Hoffnungen zu wecken.
In der Musik hat Afrika schon seit über einem Jahrhundert wichtige Akzente gesetzt, nicht zuletzt durch den starken wenn nicht dominierenden Einfluss der afrikanischen Rhythmen auf den Jazz. Da der Tanz in erster Linie eine rhythmische Angelegenheit ist, liegt es auf der Hand, dass diese Kunstform dem Körpergefühl der Afrikaner besonders entgegen kommt.
Nun sprechen die derzeitigen politischen Verhältnissen in den meisten afrikanischen Ländern nicht gerade für eine gedeihliche Entwicklung kultureller Institutionen, wie wir sie in Europa kennen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon eine Besonderheit, dass sich im Senegal unter der Leitung der Choreografin Germaine Acogny eine neunköpfige, rein weibliche Compagnie unter dem Namen Jant-Bi Jigeen gebildet hat, die einerseits ganz spezifische afrikanische Tanzformen entwickelt hat und andererseits an die Standards des westlichen Tanztheaters Anschluss gefunden hat. Und so ist es auch als Besonderheit zu verstehen, dass es den Maifestspielen gelungen ist, diese Tanzgruppe zu engagieren. Germaine Acogny hatte sogar versprochen, zu diesem Auftritt ein besonderes Geschenk mitzubringen. Das bestand in einer Solovorführung Germaine Acognys persönlich vor dem eigentlichen Auftritt ihrer Compagnie.
Germaine Acogny begann ihren Auftritt mit einer verbalen Botschaft auf Französisch, in der sie sich unbestechliche, kompetente und effiziente Minister wünschte, die es sich nicht mit dem Geld des Volkes gutgehen lassen und die statt guten und reichlichen Essens eher den Sport lieben. Ihre Wünsche gipfelten in einem Regierungschef wie Angela Merkel, womit sie schon die ersten geschmeichelten Lacher des Publikums entgegennahm. Anschließend drückte sie die Befindlichkeiten und Lebenssituationen ihres Volkes körpersprachlich aus. Zu den synkopischen und geradezu ostinaten Rhythmen klangvoller Perkussionsinstrumente stellte sie einen typischen Tagesablauf vom Morgen bis zum Abend dar, wobei Farben und Richtung der Beleuchtung die spezifischen Tageszeitstimmungen erzeugten. Ihre Vorführung war weniger ein typischer Tanz als körperlicher Ausdruck von Arbeit, Mühe und Not, aber auch Lebensfreude, Optimismus und Lebensfreude. Videos mit Landschaften, Meerwasser als Metapher für die Quelle allen Lebens und Kindern als Zeichen der Zukunft ergänzten ihre Solovorführung mit eindringlichen Bildern.
Im zweiten Teil trat ihre Compagnie in der produktion „Afro-Dites“ als Gruppe junger, emanzipierter Frauen auf, die sich gern schick anziehen und ihre vielfarbigen Designer-Handtaschen als choreographische Accessoires einsetzten. Dabei verweist der Name der Choreografie einerseits auf die griechische Göttin der Liebe und enthält andrerseits eine Aussage der Art „Afrika spricht“. In einer Serie mehr oder minder kurzer Szenen zeigten sie typische Situationen im Leben afrikanischer Frauen. Da gibt es die schnatternden Mädchen, die ihre Figur zeigen und nach den Männern schielen, da gibt es aber auch die beiden Mädchen in traditioneller Kleidung, die zu dem Geschimpfe einer alten Frau den Boden fegen und jedes Mal, wenn sie sich erschöpft niederlegen wollen, wieder mit schrillen Schreien zur Arbeit angetrieben werden. Da gibt es auch die attraktive Frau, die von den Männern befummelt, belästigt und – andeutungsweise – vergewaltigt wird und sich anschließend einem verständlichen Waschzwang hingibt, während die vier Männer im Hintergrund der Bühne in typischer Haltung ihr Wasser abschlagen. Dann wieder eine sehr schöne Szene, in der ein halbes Dutzend Mädchen auf einer Bank sitzen und sich immer mehr in einen verbalen Rausch der Lebensfreude hineinsteigern, der im Szenenapplaus des Publikums endete.
Auch der Tanz der jungen Frauen als Ausdruck der reinen Lebensfreude stand immer wieder im Mittelpunkt. Dabei ging es dann nicht darum, im Stile des westlichen Tanztheaters kunstvolle oder gar akrobatische Figuren vorzuführen, sondern die Natürlichkeit der Bewegungen beizubehalten, die junge Menschen aus reiner Freude an der körperlicher Betätigung zeigen: Laufen, hüpfen, Beine werfen, sich auf dem Boden wälzen und spontane gemeinsame „Mikro-Choreographien“ vorzutanzen. Der an die stetig wachsende Komplexität und Akrobatik des westlichen Tanztheaters gewohnte Zuschauer musste sich erst umstellen auf ein Tanzverständnis, das nicht die Leistung sondern den Spaß am Tanzen und den spontanen Ausdruck in den Vordergrund stellt.
Wenn man die Erwartungshaltung in diesem Sinne angepasst hatte, erlebte man einen wirklich vergnüglichen und abwechlsungsreichen Abend. Und für die Darsteller war es trotz der scheinbaren Leichtigkeit und Beiläufigkeit kein Spaziergang, denn die Kunst liegt gerade darin, scheinbare Unangestrengtheit mit hoher Präzision und permanenter Präsenz und Körperspannung zu verbinden. Das gelang der jungen Compagnie hervorragend, und dafür erhielten die jungen Frauen und ihre Choreografin Germaine Acogny – wie auch Regisseur Patrick Acogny – zum Schluss kräftigen und lang anhaltenden Beifall des Publikums.
Frank Raudszus
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