Eine Trekking-Tour durch Nepals Annapurna-Gebiet.
Für die Bewohner der deutschen Flachland- und Mittelgebirgsregion beginnen die Berge bei tausend Metern und enden irgendwo unterhalb der magischen fünftausend. Man fährt nach Österreich oder in die Schweiz zum Bergwandern und läuft dort bereits auf zweitausend Metern – bei Sonne oder im Regen – auf felsigen Almen oberhalb der Baumgrenze. Dann hört man von Freunden, die irgendwo im Himalaya unter Achttausender gewandert sind, und fühlt sich – rein bergsportlich gesehen- doch ein bisschen hinterwäldlerisch. Also warum nicht die Empfehlung der Freunde aufnehmen und selbst einen Ausflug in die ferne Höhe unternehmen?
So buchten wir dann bei dem renommierten Reiseveranstalter „Hauser-Exkursionen“ eine zweiwöchige Trekking-Tour unterhalb des Annapurna. Sicherheitshalber entschieden wir uns für das „Komfort-Trekking“, was eingefleischten Trekking-Puristen sicher ein knappes Lächeln des Spotts ins Gesicht treibt, aber die „harte Tour“ kann man sich ja immer noch für eine spätere Reise vornehmen….
Am Frankfurter Flughafen war an diesem Abend nicht viel los, und wir vertrauten aufgrund des unserer Meinung nach exotischen Zwischenziels Muscat im Oman auf eine schnelle Abfertigung. So war am Ende der Halle auch nur ein einziger Schalter durch eine lange Schlange belegt, doch beim Näherkommen zeigten uns Rucksäcke, Wanderschuhe und rustikales Aussehen der Reisenden sehr schnell, dass es sich um unseren Flug handelte. Wenn wir geglaubt hatten, dass wir zu einer kleinen Gruppe von „Freaks“ gehörten, hatten wir uns geirrt. Wir waren lediglich die „Neuen“ in einer bereits weit verbreiteten Sportart, und zu Beginn der Osterferien fuhren die Trekking-Anhänger mit der ersten Maschine in ihre Lieblingsgebiete.
Die spannende Frage, wer der vielen Wanderer wohl zu unserer maximal 12 Köpfe starken Gruppe gehören mochte, stellte sich erst nach der Zwischenlandung in Muscat, als es mit einer kleineren Maschine weiterging nach Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Nun saßen nur noch Bergwanderer in der Mascheine, und ein wenig beruhigt stellten wir fest, dass es nicht nur junge Leute waren, sondern vorrangig unsere Altersgenossen im etwas reiferen Alter.
Gerüchte hatten von Kathmandus Flugplatz als einem der gefährlichsten der Welt gesprochen, für den die Piloten eine spezielle Lizenz haben müssten. Doch das erwies sich als „Ente“. Das besagte Problem bezieht sich auf einen kleineren Flughafen am Annapurna, den wir im Rahmen dieser Reise nicht anfliegen würden. So landeten wir denn gegen Mittag im dichten Smog von Kathmandu, der schon während des Anflugs durch das Tal den Ausblick auf die Himalaya-Berge verhinderte. Nach dem Aussteigen empfing uns brütendwarme Luft, und nach der langwierigen Prozedur der Gepäckaufnahme – nur eine Band für drei nahezu gleichzeizig gelandete Maschinen! – standen wir endlich vor dem Ankunftsgebäude und suchten nach dem Sammelpunkt der „Hauser-Reisen“.
Nach einigen Rückfragen fanden wir unsere Empfangscrew mit einigen fleißigen Gepäckträgern und unserem nepalesischen Reiseleiter, der uns in fließendem Deutsch – mit leicht bayerischem Tonfall – empfing. Später erfuhren wir, dass er sein Deutsch vor allem im lokalen Goethe-Institut gelernt und dann bei verschiedenen Besuchen in Deutschland (Bayern!) verbessert hatte. Wenn alle schon lange in Deutschland lebenden Ausländer ein so fehlerfreies Deutsch sprechen würden, hätten wir sicher ein paar Probleme weniger.
Wie es sich für ein „Komfort-Trekking“ gehört, ging es erst einmal zu einem „Fünf-Sterne“-Hotel am Stadtrand von Kathmandu. Schon die Fahrt dorthin zeigte uns den Gegensatz zwischen modernem Touristik-Komfort und der Wirklichkeit eines bitterarmen Entwicklungslandes, in dem eine unaufhaltsame Landflucht in Richtung Großstadt herrscht. Die Nebenstraßen sind eher Schlagloch-Reihungen und erlauben nur Schritttempo, und selbst die vierspurigen Hauptstraßen werden von Fahrrädern, überladenen Motorrädern, uralten, stinkenden Autos und dreifach besetzten Bussen bevölkert. Dazwischen laufen Fußgänger, Hunde und auch schon einmal die eine oder andere heilige Kuh herum. Ampeln gibt es zwar, aber meistens sind sie wegen der Stromsperren außer Betrieb, und entweder Polizisten regeln den Verkehr mehr schlecht als recht, oder die Verkehrsteilnehmer organisieren sich nach dem Chaos-Prinzip selbst.
Nachdem wir uns am nächsten Morgen von dem langen Flug erholt hatten, stand am ersten Tag eine Stadtbesichtigung Kathmandus auf dem Programm. Mit dem Bus ging es durch das Verkehrchaos irgenwohin in das Zentrum der Stadt, wo uns dann unserer Reiseleiter, durch das Gewirr der Straßen und Plätze führte. Allein die Stadt Kathmandu versammelt 1,7 Millionen der insgesamt 27 Millionen EInwohner Nepals auf sich, und die Bevölkerung wächst schnell. Da Korruption angeblich zum Alltag dieses Landes gehört, gibt es keinen einzuhaltenden Bebauungsplan, und jeder baut dort und auf die Weise, wie es sein persönlicher Geldbeutel erlaubt. Das führt zu einer chaotisch zersiedelten Stadtstruktur mit einer vollständig überlasteten bzw. nicht vorhandenen Infrastruktur hinsichtlich Müllabfuhr, Kanalisation, Frischwasser, elektrischer Strom und Straßen. Strom gibt es an drei bis maximal sechs Stunden am Tag, und die öffentlichen Flächen um die Häuser – soweit sie existieren – bestehen aus gestampftem Sandboden, auf dem sich der Alltagsmüll gleichmäßig verteilt. Da versteht es sich von selbst, dass die Straßen als Lebensraum vergemeinschaftet werden und den fliegenden wie stationären Händlern, Bettlern, Kindern und Hunden als erweiterter Lebensraum dienen.
Doch gibt es in dieser Stadt auch eine Reihe von Sehenswürdigkeiten, zu denen uns unser Reiseleiter führt. Da sind die Paläste der Malla-Könige aus dem 15. Jahrhundert, die dank internationaler Hilfe wieder vollständig restauriert werden konnten, und da sind die religiösen Bauten, sowohl hinduistische Tempel als auch die buddhistischen „Stupas“, die meist auf einer Anhöhe stehen, die man erst über viele Stufen ersteigen muss. Das alles ist eingebettet in das brodelnde Leben einer hoffnungsvoll überbevölkerten Stadt,. in der jeder sein Haus baut, wo noch etwas Platz ist, und in der permanent an den Straßen und der sonstigen Infrastruktur, die hoffnungsvoll überlastet ist. Da das bitterarme Nepal über keine nennenswerten eigenen Bodenschätze – Öl, Gas – verfügt, müssen die Brennstoffe für die Erzeugung elektrischer Energie und für den Verkehr eingeführt werden. Die Tatsache, dass das monatliche Durchschnittseinkommen der Nepalesi bei achtzehn US-Dollar liegt, erklärt den chaotischen Zustand in Kathmandu. Und eben gerade dieses geringe Einkommen führt zu der bereits erwähnten permanenten Landflucht in Richtung Kathmandu. Denn auf dem Land sind die Verdienstmöglichkeiten noch geringer.
Dennoch macht die Bevölkerung auf den ersten Blick keinen unglücklichen Eindruck, soweit man das als ausländischer Besucher beurteilen kann. Es wird viel gelacht, und die Händler bieten ihre Waren mit einer Hartnäckigkeit an, wie man sie aus anderen Entwicklungsländern kennt. Europäer wecken hier immer noch das Interesse der Bevölkerung, denn Kathmandu ist noch kein kosmopolitischer Ort oder gar eine „angesagte Location“. Die wenigen Europäer, die man hier sieht, tragen fast durchweg feste Wanderschuhe und Trekking-Rucksäcke. Sie sind meist auf der Duchreise von oder zu einer Trekking-Tour durch die Berge.
Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, die 800 Stufen zu der großen Stupa von Kathmandu hochzusteigen, vorbei an Affenhorden, an Andenkenverkäufern und an Bettlern, die hier auf ein Almosen von Touristen hoffen. Oben genießt man nicht nur einen weiten Blick über Kathmandu, sondern kann sich auch in aller Ruhe die vier Seiten der Stupa anschauen, die einerseits die verschiedenen Stationen in Buddhas Leben und andererseits die vier Grundelemente wiedergeben. Allerdings sind auch hier dieselben Effekte wie im Umkreis europäischer Sehenswürdigkeiten anzutreffen: zahllose Andenkenstände rund um die Stupa und beharrliche Verkäufer, die den Touristen alle möglichen Souvenir „made in china“ verkaufen wollen.
Nach diesem anstrengenden Tag – schließlich herrschen hier Temperaturen um die dreißig Grad und schlechte Luft – gilt es, sich noch einmal im Hotel auszuruhen. Morgen geht es dann mit dem Flugzeug nach Pokhara, um von dort die Trekking-Tour durch die Berge in Angriff zu nehmen.
Frank Raudszus
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