Die „Barfestspiele“ des Staatstheaters Darmstadt zeigen Oliver Schmaerings „Trailer für eine nahe Zukunft“.
Drei Frauen in hellen Kleidern verschiedener Epochen des 20. Jahrhunderts treffen sich und klagen in einer Art Gruppen-Monolog über ihr langweiliges, perspektiveloses Leben in dem kleinen Ort Kaffstadt – nomen est omen. Nicht zufällig erinnert der Ortsname beim flüchtigen Zuhören an „Kapstadt“, stehen doch der Zauber und die Attraktivität dieser Großstadt als Synonym des Gegensatzes zur traurigen Realität des Hier und Jetzt.
Die drei Frauen, eine junge (Ronja Losert) und zwei etwas ältere (Karin Klein und Gabriele Drechsel) haben sich in ihren Träumen die Namen der drei Darstellerinnen der „weißen Frau“ aus den drei Verfilmungen der Horrorgeschichte „King Kong“ zugelegt: Fay Wray (1933), Jessica Lange (1976) und Naomi Watts (2005). Sie identifizieren sich mit dieser Figur, da im Film King Kong zwar ganze Städte niedertrampelt, aber die weiße Frau aus den Trümmern rettet und beschützt. Nicht nur die Rettung durch ein starkes – natürlich männliches – Wesen beflügelt dabei die Phantasien der drei Frauen, sondern auch der zerstörerische Aspekt der Horrorfigur. So wie King Kong die Symbole der Zivilisation niederwalzt, soll auch ihr Retter mit ihrer Umgebung umgehen. Sie empfinden das trostlose weil ereignislose Leben in Kaffsstadt als narzisstische Kränkung. Die fast naive geschlechtsbezogene Egozentrik der drei Frauen – bei Männern findet man allerdings eine ähnliche Weltsicht – gipfelt in der Feststellung der jungen Naomi, dass es überall tolle Frauen gebe, entsprechende Männer jedoch nur im Traumland Hollywood. Da ist es geradezu als persönlicher Schlag des Schicksals zu verstehen, sein Leben in diesem Kaff zubringen zu müssen.
So ähnlich die Sehnsüchte der Frauen nach Ruhm und Reichtum sind, so sehr unterscheiden sie sich im Einzelnen. Zwar singen sie alle drei aus voller Inbrunst Doris Days Lied „Que sera“ von der unstillbaren Hoffnung auf eine glückliche Zukunft vor sich hin, doch Naomi pflegt ihre bewusst zur Schau getragene Naivität als Zeichen der Jugend, die sie den anderen beiden gegenüber des Öfteren betont. Hinter der Solidarität der in die Trostlosigkeit von Kaffstadt verstoßenen Frauen tobt ein versteckter Zickenkrieg, bei der die Lebenserfahrung notgedrungen zur alternativen Waffe gegen die verlorene Jugend in Stellung gebracht wird. Wenn Naomi davon träumt, einen reichen Schauspieler aus Hollywood zu heiraten, versuchen die anderen beiden, ihr den Boden unter den Füßen durch den Defätismus ihrer bitteren Lebenserfahrungen zu entziehen. Der Autor treibt dieses Spiel weiter bis zu einer geradezu surrealistischen Situation, wenn die eine der drei Frauen die Rolle von Naomis „alter ego“ aus der Zukunft einnimmt und ihr von ihren desillusionierenden Erfahrungen mit eben diesem „tollen“ Hollywood-Schauspielern berichtet. Wenn Naomi von dem „Wald der Möglichkeiten“ schwärmt, in den sie sich in Gedanken aus Kaffstadt flüchtet, dann zeigen ihre beiden Gefährtinnen im Geiste, dass auch dieser Wald aus dürren Bäumen und Fallgruben besteht.
So dreht sich die Welt der drei Frauen buchstäblich im Kreise – eben wie die Welt der realen Kaffstadts auch. Regisseur Boris C. Mrotzki veranschaulicht dies dadurch, dass er die Frauen durch die Bar der Kammerspiele geistern lässt, ständig im Aufbruch doch immer wieder an den Ausgangsort zurückkehrend. Die theatralischen Ausbrüche gewinnen geradezu expressionistische Wucht, was sich vor allem in den Metaphern, den ostinaten Beschwörungen der Tagträume und der ausdrucksstarken Wortwahl zeigt. Die Inszenierung steigert diese Wirkung bisweilen ins Surrealistische hinein, so wenn sich Ronja Losert als Naomi mit Gabriele Drechsel (Fay Wray) über ihre Zukunft unterhält, wobei Gabriele Drechsel nur den Mund zu den Worten bewegt, die Karin Klein im Hintergrund vom Blatt liest. Der Regieeinfall, die Stimmen über ein Mikrofon auf einen Lautsprecher zu leiten, erinnert dabei nicht nur an die öffentlichen Auftritte der Stars aus Film und Fernsehen, sondern lässt auch dieses Playback täuschend echt erscheinen – zumindest für die Zuschauer, die nicht zu dicht daneben sitzen.
Natürlich gibt es in dieser Geschichte, die im engeren Sinne gar keine ist, nie das erträumte „Happy End“. Nur in ihren Träumen befreien sich die drei Frauen von der kleinbürgerlichen Enge ihres Daseins. In der Realität des Alltags retten sie sich in Ersatzbefriedigungen, etwa in die berauschende Parallelwelt einer Flasche Whiskey oder in einen bitteren Zynismus, der die unerträgliche Seichtigkeit des Seins der Gesellschaft und den Männern anlastet. Dabei wandelt die Handlung permanent auf dem schmalen Grad der Tragikomödie – knapp vorbei an wimmerndem Weltschmerz auf der einen und an kalauerndem Klamauk auf der anderen Seite. Das latent platte Pathos der Sprache dieser drei Kaffstadt-Amazonen bietet sich an für ein Abgleiten ins Rollen-Klischee, aber die drei Darstellerinnen umschiffen diese Klippe souverän. Karin Klein ist eine mit allen sarkastischen Wassern gewaschene Frau, die zwar auch noch ihren Träumen nachhängt, aber nie den Kontakt zum Boden verliert und stets im richtigen Augenblick mit einer grotesk-komischen, bisweilen auch bitteren Wendung den Stöpsel aus der Pathos-Badewanne zieht. Gabriele Drechsel spielt den Wert der Lebenserfahrung weniger sarkastisch aus, doch auch bei ihr mischt sich eine bittere Abgeklärtheit mit dem Schmelz nie aufgegebener Sehnsüchte. Ronja Losert dagegen spielt die Rolle der jungen Naiven mit aller Konsequenz durch und bringt mit ihrem bewusst impulsiven Spiel das intuitive Wissen der jungen Naomi zum Ausdruck, dass die Jugend im Wettkampf mit der Lebenserfahrung – vor allem unter Frauen – immer noch über einen uneinholbaren Vorsprung verfügt. Was Naomi mit Inbrunst verdrängt, ist die Tatsache, dass sich jede Jugend zwangsläufig einmal in die verspottete Lebenserfahrung verwandelt.
Kräftiger Beifall in der ausverkauften Bar der Kammerspiele für die drei weißen Frauen und ihren Regisseur Mrotzki.
Frank Raudszus
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