Das Berliner Kabarett Theater Diestel lädt ein zu einer Vorstellung von Frank Lüdecke mit seinem Programm „Schnee von morgen“.
Wie üblich begrüßt das Theater den Zuschauer mit seiner heimeligen Atmosphäre im kleinen Foyer mit der mittigen Bar. Heute scheint das Haus nicht ausverkauft, denn man hat tatsächlich noch etwas Raum umherzulaufen. Langsam zieht es die Zuschauerschar bereits in den Saal, und tatsächlich – an diesem Abend muss Frank Lüdecke mal vor einem dreiviertel vollen Saal spielen. Ist es möglicherweise der sonntägliche Tatort, der die Vorstellung etwas kannibalisiert hat? Nicht ganz unwahrscheinlich, wo es sich doch hierbei um gehobenes politisches Kabarett handelt, das tatsächlich ARD-Publikum anspricht.
Lüdecke hat eine charmante Art der Darstellung – nicht allzu laut oder extrem provokativ. Meistens jedenfalls. Dennoch ist er nicht minder bissig und überzeugt eher durch geschickte Wortspiele als durch plumpe Polemik oder Gießkannenbashing der politischen Klasse ohne greifbare Argumente. Seine Themen des Abends sind wie eine Blumenwiese, auf der ein Kind herum hüpft und hier und da etwas Neues entdeckt, von dem es zu berichten gibt und über das gelacht werden darf. Die thematische Verknüpfung ist wie so oft bei guten Comedians im Witz versteckt, so dass man sich ohne große Überleitungen schon in der nächsten Story wiederfindet. Aber schließlich sind wir heute in keinem Sachvortrag, sondern es soll ja unterhaltend sein!
Ein großes Thema an diesem Abend ist die Schwarmintelligenz. Wird dieser Tage nicht so viel berichtet davon, dass doch dieses Phänomen nicht eines der besten wäre, um mehr Entscheidungen in unserer Gesellschaft zu treffen? Doch niemand weiß so recht, wie Schwarmintelligenz zu definieren ist und was es letztlich für Auswirkungen hat. So klärt Lüdecke das lauschende Publikum auf. Es ist die große Masse Mensch, wo das Individuum existiert aber nicht unbedingt einzeln identifizierbar ist. Jeder tut im Optimalfall das für ihn Richtige, und so entsteht die Intelligenz des Schwarms, ohne dass Einzelpersonen eine Linie vorgeben müssen. Dennoch, so sagt Lüdecke, hat dieses Konzept vom intelligenten Schwarm im Deutschland Anfang der 30er Jahre irgendwie nicht ganz so gut funktioniert. Schweigen im Saal. Aber es ist ein sehr pointierter Stich, der anregt.
In die Neuzeit übertragen, ist der Schwarm natürlich vorwiegend im Netz unterwegs. Also im Internet. Jeder kann an tausenden Foren teilnehmen – und das schönste dabei ist die Anonymisierung mit den skurrilsten Namen. Das schrille Namensbeispiel Lüdeckes, das er als Präsent für das Publikum anführt und gleich einem älteren Herren in der ersten Reihe andichtet, befindet sich im tiefroten Bereich der englischen Sprache. Aber es spiegelt die reelle Absurdität wider, der wir im Internet ausgesetzt sind. Es zeigt zudem die Intelligenz des Schwarms, der sich vielfach ohne jegliche inhaltliche Qualifikation oder konkreten Bezug zu Themen polemisch und realitätsfern äußert. Das ist ja schließlich auch ein Grundproblem der Politik. Ein jeder meint, er könne mitreden, obwohl das Fragment des eigenen Verständnisses vielleicht gerade mal 5% des Sachverhalts erfasst. Aber sei´s drum: Frank Lüdecke rollt das Thema Schwarmintelligenz gekonnt von mehreren Seiten auf und schafft tatsächlich Wert, in dem an vielen konkreten und lustigen Beispielen der Begriff greifbar wird.
Schließlich kommt einer dieser wilden Übergänge. Schwarmintelligenz solle doch darin enden, dass wir nicht nur einmal alle vier Jahre Ja zu Mutti Angela sagen dürfen sondern jedes Jahr. Am besten online. Oder dann gleich täglich vor der morgendlichen Dusche. Die totale Demokratie sozusagen. Ein weiteres Mal ad absurdum geführt, wenn wir uns dann nochmal fragen, wofür unsere liebe Kanzlerin eigentlich steht. Bietet sie doch so ernüchternd wenig Angriffsfläche – außer über ihre Hosenanzüge oder die Physis. Inhaltliche Punkte? Politische Wagnisse? Markige Statements? Alles nicht vorhanden. Wie sehr klammern wir uns doch da mit Liebe an die Wildsaupolitik des Einparteienstaats Bayern mit seinen Bierzeltparolen. An einen Hans-Peter Friedrich, im ersten Schritt degradiert zum Landwirtschaftsminister – bemitleidenswert – für die Kühe. Ein Mann, für den illegale Einwanderung schon beginnt, wenn ein Bürger von Augsburg nach Fürth ziehen möchte. Herrlich!! Lüdecke trifft hier genau den Kern dessen, was der Zuhörer unter politischem Kabarett versteht. Aber Angela bleibt nebulös.
Aber dann gab es doch ein Thema, was sie in Wallung brachte. Die wahre Herzensangelegenheit der Deutschen. Da wollte die dreiste EU doch mal wieder an der Vorgaben für die Automobilhersteller drehen und schnurstracks quasi ein Verbrauchslimit von drei Litern für alle Fahrzeuge ab 2020 einführen. Übertrieben, aber der Gedanke zählt. So sah sich Herr Viessmann, Vorsitzender des Deutschen Automobilverbands und gleichzusetzen mit dem Papst im Vatikan, genötigt, Frau Dr. Merkel einen Brief zu schreiben. Glücklicherweise konnte er diesen vorher mit vielen alten Bekannten abstimmen, denn unter Kohl war er praktischerweise bereits Bundesverkehrsminister gewesen. Der EU und der internationalen Gemeinschaft gehe es doch immer wieder um funktionierenden Wettbewerb und somit Vielfältigkeit der Anbieter. Dies könne doch nur durch eine breite und artenvielfältige Produktpalette gewährleistet sein. Wolle denn wirklich jemand, dass die S-Klasse ausstirbt? Dieses selten elegante Wesen, das heute mit seinen 12-Zylinderm-Motoren Politiker und Vorstände zwischen Büro, Restaurant und Residenz transferiert. Oder was wird gar aus dem typischen Deutschen, der heute am liebsten im Suff fährt? Hä? Ah ne, im SUV – also den kleinen bis mittelgroßen Geländewagen, die bei den widrigen Bedingungen von Nieselregen das letzte Mittel zum Fortkommen darstellen. Aber am tragischsten: was wird aus solch ganz seltenen Exemplaren wie dem BMW X6, von denen es schon heute nur eine handvoll Exemplare überhaupt schaffen, in deutschen Innenstädten zu überleben? Dies ist schließlich das erste Mal, dass ein Panzer eine rechtmäßige Straßenzulassung durch den TÜV erhalten hat. Schallendes Gelächter erfüllt den Saal. Frank Lüdecke hat das Publikum ganz auf seiner Seite. Und Angela ist für Viessmann vor die Bürokraten der EU gezogen und hat für die Artenvielfalt auf deutschen Straßen erfolgreich gekämpft.
Ein jeder herrlicher Abend findet irgendwann sein Ende. Auflockernd waren auch die vielen Songs Lüdeckes, die er sich mit Gitarre begleitend singt. Für mich sind das bei Comedians immer so eine Art Werbepausen, wenn sie anfangen zu singen. Aber Lüdecke macht es gut. Man kann die Texte gut verstehen, und auch hier finden sich gelungen Spitzen und zutreffende Statements. Von daher stellt sich nicht gleich das übliche „nicht noch ein Lied“ ein. Das macht er wirklich sehr gekonnt!
Malte Raudszus
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