Ein Kriminalroman über die politischen Zustände im heutigen China.
Der Regierungsbeamte Zhou Keng, Direktor der Wohnungsbau-Behörde in Shanghai, hat sich angeblich in einem Luxushotel erhängt. Dort war er allerdings nicht freiwillig, sondern „extralegal interniert“, was bedeutet, dass „missliebige …. höhere Kader zum Zweck der Befragung durch die Disziplinarbehörde an einem unbekannten Ort auf unbestimmte Zeit festgehalten werden“. Eine Art der Befragung allerdings, die man von der Stasi in der DDR kennt oder wie sie Franz Kafka in seinem Roman „Der Prozess“ beschreibt.
Oberinspektor Chen wird mit dem Fall betraut. Zhou hatte Karriere gemacht und war wohl angesehen, bis zu dem Zeitpunkt, als er mit einem Päckchen Luxuszigaretten abgelichtet wurde und das Foto in die Zeitung kam. Die Netzgemeinde wurde aktiv und brandmarkte Zhou schnell als korrupt. Daraufhin wurde er in besagtem Hotel festgesetzt. Bei Chens Recherchen über den Fall deutet allerdings nichts auf Selbstmord hin. Zhou hatte sich vor seinem Tod zwei Mahlzeiten bringen lassen und wirkte auf das Personal weder verstört noch deprimiert. Um besser einschlafen zu können, hatte er noch Schlaftabletten genommen. Auch das tut man nicht, wenn man sich erhängen will. Ebenso bleibt die Frage, wie der Strick auf das Zimmer gekommen ist, ungeklärt.
Oberinspektor Chen steht bei diesem Fall vor vielen Rätseln, spürt aber immer wieder den politischen Druck höherer Stellen. Was erwartet man von ihm? Soll er wirklich die Wahrheit herausfinden oder nur den Selbstmord beweisen? Als sein Assistent Wei plötzlich auf einer leeren Kreuzung überfahren wird und der Fahrer des Unfallwagens Fahrerflucht begeht, ahnt Chen, dass das kein Zufall war.
Der Autor Qiu Xiaolong geht mit der chinesischen Gesellschaft hart ins Gericht. Er beschreibt sie als moralisch, ideologisch und ethisch am Ende. In seinen Kriminalromanen räumt er mit der Parteipropaganda auf und schildert die Realität in China. Unter dem früheren Premierminister standen für diesen selbst und korrupte Beamte 99 Särge bereit, die diesem Buch den Titel gaben. Heutzutage hat die Korruption in China nach der Ansicht des Autors solche Ausmaße angenommen, dass diese Anzahl von Särgen für die Schuldigen bei weitem nicht mehr ausreichen würde.
Der Roman von Qiu Xiaolong ist system- und sozialkritisch und dabei doch spannend geschrieben. Eine Besonderheit sind die vielen Zitate aus alter chinesischer Zeit, die als kluge Lebensweisheiten die eigentliche Geschichte auf ein höheres Niveau heben. Immer wieder verdeutlicht der Autor damit, dass es Korruption und Machtmissbrauch schon immer gegeben hat. Für den nebenbei als Lyriker tätigen Oberinspektor Chen, dem es aus tiefstem Herzen um die Wahrheitsfindung geht, bedeutet es, sich selbst in die Opferrolle zu begeben. Ein altes chinesisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: „Wenn der Buddha aus Lehm über den Fluss fährt, kann er sich nicht selbst schützen“.
Der Roman ist im Zsolnay-Verlag unter der ISBN 978-3-552-05677-0 erschienen, umfasst 285 Seiten und kostet 17,90 €.
Barbara Raudszus
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