Die Berliner „Wühlmäuse“ präsentieren den streitbaren Comedian Oliver Polak mit seinem Programm „Krankes Schwein“.
Wer einmal in New York Stand-up Comedians gesehen und gehört hat, versteht, dass dies eine gänzlich andere Welt als in Deutschland ist und zudem diametral dem gegenüber steht, was wir uns unter Amerika vorstellen. So denken wir doch, dass in der US-Öffentlichkeit nichts über die „political correctness“ geht und jegliche leicht kritische Bemerkung durch ein „no offence, seriously“ ergänzt wird, was so viel heißt wie: “das sollte jetzt wirklich keine persönliche Beleidigung sein“. Besucht man allerdings die Show von Stand-up Comedians in New York, sollte man die erste Reihe strikt meiden, denn diese Personen werden ohne jegliche Zurückhaltung angegriffen und verbal auseinander genommen. Das ist sehr amüsant für die Gäste ab der zweiten Reihe, aber für die Betroffenen kann das doch recht anstrengend werden. Deshalb ein „ernst“ gemeinter Tipp: nicht in die erste Reihe setzen! Inhaltlich folgt dann nämlich die vollständige Absage an gesellschaftliche Kommunikationsnormen und die persönliche Konfrontation mit Witzen über Minderheiten und Randgruppen, Sexualpraktiken und Frauen, Ethnien und Länder sowie historische Ereignisse aller Art. Ist in der Comedy alles zulässig? Das liegt wohl sehr im Auge des Betrachters und seiner eigenen bisherigen Erfahrung mit provokativen Inhalten in den Medien. Nicht selten sind Comedians, wie auch Oliver Polak, jüdische Freunde, die sich ob der Geschichte ihres Volkes in der Opferrolle sowieso jeden Spaß erlauben dürfen.
Kleiner Tipp am Rande: Nutzen Sie die modernen Medien wie beispielsweise Youtube, um vorher einen Eindruck zu gewinnen, was sie sich ansehen werden. Bei einigen Gästen des Abends kann man beim einstimmenden Bier schon Wetten abschließen, ob sie die ersten fünf Minuten überstehen werden. Geschätzte fünfzehn Prozent der Gäste, vor allem im reiferen Alter, verlassen die Veranstaltung dann auch bereits während der Vorstellung.
Wie nicht unüblich bei Konzerten mit dem Einsatz von Vor-Bands steht heute zuerst David Deery auf der Bühne, der uns in lässigem Amerikanisch begrüßt. Er wird uns 20 Minuten aufwärmen und bringt uns dabei eine herrliche „outside-in“-Perspektive anderer Völker auf die Deutschen näher. Der erste Slapstick berichtet von seinen Bemühungen, die deutsche Sprache zu lernen, und hier passt grundsätzlich der Slogan „life is too short to learn German!“. David freut sich über jede lieb gemeinte Anregung, seine grammatischen Kenntnisse zu verbessern – auch beim Brötchen holen (mit amerikanischen „r“ gesprochen): „Gute Morgen, ich hätte gerne zwei von diese Brötschen und die leckere Brot dort“. Verkäuferin – schreiend: „DAAASSS BROT“.
Besonders schön auch die Liebe der Deutschen zu ihren Regeln. Was tun wir nur in Bereichen, wo es mal keine Regel gibt? Handlungsunfähigkeit. Der Klassiker, den wir alle kennen, den ein Ausländer aber noch viel praller wahrnimmt, ist folgender: David berichtet von seinem spätabendlichen Fahrradfahren, wo er ohne Licht plötzlich die Aufmerksamkeit eines gewissenhaften Bürgers auf sich zieht. Mit ausgestreckten Arm verfolgt ihn der Fingerzeig, während der Mitbürger nahezu hysterisch brüllt „Sie Haben Kein Licht An Ihrem FahrRad!!!“
Unter tosendem Applaus verabschiedet sich David Deery. Er ist ein Talent und so zuträglich für den Deutschen, weil er ihm auch mal seine eigenen Irrwege und seltsames Verhalten aufzeigt. Es folgt eine halbe Stunde Pause, in der die Gäste sich mit Getränken bewaffnen und wieder in den Saal zurückkehren. Es ist also etwas Kinoatmosphäre im schönen Theatersaal. Aber hier freuen wir uns doch gleich mal, wenn wir als Deutsche solche goldenen Gesetzte flexibel handhaben können. „Berlin“ – da darf man das auch mal erwarten.
Scheinwerfer am Boden und in der Decke, Nebel, theatralische Musik – und dann betritt die Hauptperson die Bühne. Oliver Polak kommt in seinem üblichen Look des Tagesanzugs. Also lockere Lederjacke über T-Shirt und dazu die Trainingshose. Obwohl Sport die letzten zehn Jahre sicherlich nicht mehr auf seiner Agenda stand. Sein Mitbringsel ist wahlweise ein Starbucks Latte oder eine Cola – heute kommt das gute Letztere von McDonald‘s. Nachdem David Deery noch recht human unterwegs gewesen ist, packt Oliver Polak nun richtig aus. Und wer sich jetzt an die guten New Yorker Zeiten erinnert, kann herzlich lachen. Polak kommt auch gleich auf die unverständliche Liebe der Deutschen zu New York zu sprechen. „Ohh, you live in New York City? That’s so great!!” Ja, sagt er, total geil! Stell dein Bett in das Badezimmer und zahl dem Vermieter 1.800 Dollar im Monat, dafür, dass dein verrückter Nachbar nachts Beschimpfungen durch die Pressspanwände bellt. Deutscher Sozialtraum versus New Yorker Realität! Es steckt im Detail also auch immer wieder ein Stück Wahrheit in seiner Comedy.
Dann berichtet Polak wenig später über die Einreise nach Israel mit der unbeliebtesten Airline, der israelischen. Die Erzählungen erinnern uns an die TSA (US Border Control), nur dass jetzt noch eine Spur tiefer gebohrt wird. Und die vielen tendenziösen Fragen, die vor allem zu Freundschaften, Familie oder Bekannten mit Verbindungen zu arabischen Nachbarn gestellt werden, treiben ihn schließlich zu seinem Resümee: „Es gibt zwei Dinge, die ich hasse: 1. Rassismus, 2. Araber“. Lautes Gelächter ob des offensichtlichen Widerspruchs. Nur einer im Saal, der laut darüber hinaus klatscht. Seltsam aber eindeutig. Oliver Polak: „Scheiß Nazi, raus aus meiner Show!“ Und das ist echt gut. Denn genau hier ist der Unterschied zwischen Comedy und Gesinnung zu machen, wenn Trittbrettfahrer Gelegenheiten nutzen. Und Polak ist da ganz explizit – das beeindruckt!
Neben diesen Einlagen muss man aber auch klar verstehen, dass es sich bei Oliver Polak primär um Unterhaltung handelt, deren Zweck es ist, das Publikum zum Lachen zu bringen. Das heißt, dass ein Großteil seiner Show nicht durch Intellekt glänzt, sondern dass Polak Sarkasmus und ziemlich viel schwarzen Humor einsetzt und die berüchtigte Gürtellinie definitiv kein Hinderniss darstellt. Man darf schon vieles als „shocking“ bezeichnen, Polak trifft damit aber den Kern von Comedy und auch Theater, wie es in seiner Geschichte immer wieder war. Nehmen wir beispielsweise Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“, heute eine musikalische Ikone, deren Libretto die reinste Seifenoper darstellt, in dem jedem mit jeder und umgekehrt. In heutiger Zeit nichts Besonderes mehr – zu Mozarts Zeiten jedoch ein Fiasko, die Realität auf der Bühne zu zeigen. Polak wird in vielen Themen mit sexuellem Bezug da natürlich deutlich konkreter, aber seine Witze enthalten stets den Funken einer Wahrheit, über die einfach nur niemand spricht. Sexualität ist weiterhin der große blaue Elefant im Raum, über den keiner reden möchte.
Malte Raudszus
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