Das Frankfurter Städel-Museum ehrt den Maler Emil Nolde mit einer umfassenden Retrospektive.
Emil Nolde stellt im kollektiven deutschen Gedächtnis eine Ausnahme dar. Obwohl er 1933 die Machtergreifung Adolf Hitlers begeistert begrüßte und auch nach der Abwertung seiner Werke als „Entartete Kunst“ weiterhin an den Führer glaubte, galt er der deutschen Nachkriegsgesellschaft als Dissident und Verfolgter. Diese Einschätzung überdauerte selbst die 68er-Wende und die Epoche danach. Offensichtlich war der Bonus, zur „entarteten Kunst“ gerechnet zu werden, so hoch, dass alle anderen Aspekte dahinter verblassten. Das ist vor allem vor dem Hintergrund eines Günther Grass, der eher zufällig und als Jugendlicher SS-Soldat wurde und dafür noch heute schwer büßen muss, von Bedeutung. Allerdings spielt dabei auch die durchaus ambivalente Tatsache eine Rolle, dass Nolde seine NS-Begeisterung nie verhehlt hat und nach vorliegenden Dokumenten auch später nie öffentlich widerrufen oder gar bereut hätte. Auf jeden Fall konnte man ihm Heuchelei nicht vorwerfen, und das hat wahrscheinlich eine Hatz auf ihn verhindert. Seine zurückgezogene Lebensart nach dem Krieg hat mit Sicherheit ebenfalls dazu beigetragen, seine politische Haltung nicht weiter zu thematisieren und zu skandalisieren, zumal er bereits 1956 und damit lange vor der 68er-Revolte verstarb.
Das Städel-Museum hat sich jedoch dieser Herausforderung gestellt und räumt seiner nicht nur platonischen Nähe zum Nationalsozialismus und seinem unbestrittenen Antisemitismus einen gebührenden Platz ein, ohne diesen Aspekt jedoch überzubetonen. Bei aller kritischen Würdigung steht für das Städel die künstlerische Leistung im Vordergrund. Um diese entsprechend würdigen zu können, hat man sich über hundert Werke des Künstlers von der „Nolde-Stiftung“ in Seebüll ausgeliehen, von denen einige seit Lebzeiten des Künstlers nicht mehr in öffentlichen Ausstellungshallen gehangen haben. Angesichts dieser ungewöhnlich großen Leihgabe war der Direktor der Nolde-Stiftung, Dr. Christian Ring, persönlich zur Pressekonferenz nach Frankfurt gekommen, um einen kurzen Überblick über die Stiftung und den Künstler zu geben. Dabei verhehlte er nicht, dass sich Nolde mit den großen Städten nie habe anfreunden können und auch zu Frankfurt keine besonders innige Beziehung gehabt habe – was natürlich nicht gegen die Entscheidung für die großzügige Leihgabe sprach.
Emil Nolde kam 1867 als Hans Emil Hansen in dem kleinen Ort Nolde im heutigen Dänemark zur Welt, der auch als Namensgeber diente. Seine künstlerische Grundausbildung zum Schnitzer und Zeichner schlug sich vor allem in seinen malerischen Frühwerken nieder, die noch deutlich die groben Strukturen von Holzarbeiten trugen. Gleichzeitig nahm er jedoch auch die Ideen der französischen Impressionisten auf, und manche Bilder sehen aus wie ein Seurat oder ein früher van Gogh („Zwei am Meer“), das 1904 entstandene „Frühling im Zimmer“ erinnert ein wenig an Monet oder Manet. Doch schon bald entwickelte sich sein ganz persönlicher Stil, der vor allem durch starke Farbflächen und -gegensätze gekennzeichnet war. Farbenprächtige Blumenlandschaften und mythisch-märchenhafte Darstellungen finden sich in den ersten Jahren nebeneinander; eckige Friesen und wilde Riesen auf der einen, rote Schwertlilien und mehrfarbige Stiefmütterchen auf der anderen Seite.
Zunehmende Bedeutung gewann für Nolde die Landschaft, und da vor allem die Weite Norddeutschlands und – natürlich – die See. Immer wieder malt er das Meer in den verschiedensten Zuständen. Ein Bild fasziniert in seiner Schlichtheit und farblichen Eindringlichkeit besonders: „Lichte Meeresstimmung“. Das in drei ruhige horizontale Flächen unterteilte Bild zeigt eine stille Dünung, die aus einem grauen Himmel auf einen leeren Strand trifft. Ruhe und eine geradezu transzendente Helligkeit prägen dieses Bild, das nicht ohne Grund so im Eingangsbereich der Ausstellung platziert wurde, dass es dem Besucher förmlich ins Auge springt. Daneben liebte Nolde jedoch auch das dunkle, gefährliche und drohende Meer. In schillernden, intensiven Farben und expressiven Formen zeigt er die stürmische See, hoch gehende Wogen und schäumende Brandung, wobei der emotionale Ausdruck gegenüber der Detailgenauigkeit überwiegt. Diese Bilder muss man aus mehreren Metern Entfernung sehen, um ihre Wirkung zu spüren; aus der Nähe lösen sie sich auf in eine ungeordnete Menge wilder Pinselstriche in scheinbar unrealistischen Farben.
Trotz seiner Nähe zum Nationalsozialismus spielte das Christentum für Nolde eine große Rolle. Seine einem mehrteiligen Altarbild nachempfundene Lebensgeschichte Christi zeigt die Passion auf typisch expressionistische Weise mit ausdrucksstarken Farben. Andere Gemälde im expressionistischen Duktus thematisieren die Vertreibung aus dem Paradies oder Heilige und Märtyrer. Als säkulares Gegenstück dazu hat Nolde eine Reihe von Gesellschaftsszenen gemalt, die jedoch nicht – etwa wie bei Max Beckmann oder George Grosz – bewusst provokativ und gesellschaftskritisch gehalten sind, sondern einfach die jeweilige Situation und die Personen – im Theater oder bei einem Ball – in kräftigen Farben wiedergeben.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hat Nolde außerdem eine Reihe von Kriegsbildern gemalt, die auf geradezu erschreckende Weise die kommende Katastrophe voraussahen, so etwa die stur-martialischen „Soldaten“ oder das „Schlachtfeld“ mit dem sich wild aufbäumenden Pferd. Im Krieg selbst hat er dann in dem düsteren Bild „Revolution“ die Schrecken des gewaltsamen Umbruchs dargestellt.
Nolde hat stets das zurückgezogene Landleben gepriesen, es zur Idylle stilisiert und bewusst gegen das ungeliebte Stadtleben ausgespielt. Das ging soweit, dass er sogar eine lange Reise in die Südsee unternahm, um dort die „edlen Wilden“ im Urzustand der Natürlichkeit zu bewundern. Seine Enttäuschung darüber, dass auch diese Menschen die Erleichterungen der Zivilisation schätzten und begehrten, war groß, und damit gehörte er zu den vielen Selbstgerechten, die selbst die Segnungen der Zivilisation – Reisen, andere Länder kennenlernen etc. – genießen, sie aber den als „Naturmenschen“ definierten Völkern wie Zoo-Bewohnern verweigern. Und so verarbeitete er seine naiven Tagträume von den glücklichen Wilden in paradiesischer Umgebung in einer Reihe von Bildern, in denen seine Wunschvorstellung mit der Realität kämpfen.
Allen Bildern, gleich welche Vision oder Ideologie dahinter stecken mag, ist die typisch expressionistische Reduzierung der Darstellung auf das Wesentliche des emotionalen Ausdrucks und die intensive Farbgebung gemein. Allein die Farben üben bereits eine so starke Wirkung aus, dass in manchen Bildern das Figürliche völlig in den Hintergrund tritt, etwa in „Blaue Berge, roter Wolkenhimmel“. Nolde schlägt den Betrachter mit seiner kompromisslosen und wirkungssicheren Farbgebung jedes Mal erneut in den Bann, und man könnte stundenlang durch diese Ausstellung wandeln und sich von den Bildern berauschen lassen.
Die Ausstellung ist vom 5. März bis zum 15. Juni dienstags, mittwochs sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.
Frank Raudszus
Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Städelmuseums.
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