Arsen und Spitzenhäubchen im Berliner Renaissance Theater
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist New York noch eins mit sich, und der europäische Tumult beschäftigt wenn überhaupt nur die Zeitungen. Amerika ergötzt sich ein wenig an Charly Chaplins „Der Große Diktator“ – eine Hitlerparodie, die den Schrecken von Übersee in ein unpassendes Tütü zwängt. Die wahren Probleme und Sorgen spielen sich jedoch hinter den Mauern des Hauses der Familie Brewster ab. Und damit sind nicht nur die Wände gemeint, die das mörderische Innenleben von der von Vogelgezwitscher und Grillengezirpe vertonten Umwelt trennen, sondern vor allem auch die Kellerdecke, worunter sich schon elf Leichen befinden. Unglaublicherweise haben es sich die beiden alleinstehenden Tanten Martha und Abby zu ihrem Lebensinhalt gemacht, ihre einsamen männlichen Gäste von der Traurigkeit der völligen Ungebundenheit zu befreien.
Farbe birgt Teddy in das gespenstisch gräuliche Dasein der Tanten. Dieser Bruder ist dem ungefährlichen Wahnsinn verfallen, sich für Teddy Roosevelt zu halten, und tritt stets in militärischer Kleidung und mit entsprechendem Ton auf. Ehrlich gesagt, was gib es Schöneres, als wenn man sich im Alter nochmal von der Realität lossagen und die Kindheitsträume ohne jegliches Infragestellen wieder aufnehmen kann? Gott sei‘s gedankt! Das Praktische für die häusliche Damenwelt ist dabei, dass Teddy stets neue Gräben für den Panamakanal im Keller aushebt, die sich doch so herrlich für die vielen Opfer der plötzlich grassierenden Gelbfieberepedemie umnutzen lassen.
Und dann ist da noch Mortimer, bei dem man meint, er sei gar nicht verrückt, obwohl auch er ein echter Brewster ist. Oder etwa nicht? Jedenfalls ist er der einzige, der sich den eigenen Wahnsinn eingestehen muss und an seiner physischen Existenz zweifelt. Als er zufällig eine Leiche in der Truhe entdeckt, sieht er seine Tanten zuerst in der Opferrolle und überlegt panisch, wie er der neu gewonnen Verantwortung Herr werden soll. Für ihn steht fest, dass Teddy ins Exil gehen muss, in die herrliche Anstalt „Zum Fröhlichen Tal“. Doch plötzlich stellt sich heraus, dass die Mörder ganz woanders zu finden sind und dazu statt Reue eine tiefe innere Zufriedenheit mit dem Werk Gottes zeigen, welches sie zu verrichten glauben.
Als Mortimer seinen Tanten eintrichtert, niemanden mehr ins Haus zu lassen, und diesem Richtung Ausgang entflieht – denn er ist Theaterkritiker in Mission – taucht kurze Zeit später ein alter und neuer Bekannter auf. Neu, weil das Gesicht zuletzt in Film und Fernsehen an Brisanz gewonnen hatte. Schließlich ist ein solch kompakter Schnauzbart nicht eines jeden Mannes Liebling. Alt, da es sich hierbei realiter um Mortimers älteren Bruder Jonathan handelt. Die Zusammenkunft von neu und alt in einer Person ist Dr. Einstein zu verdanken, dessen Talent der plastischen Chirurgie sich diesmal leider an der falschen Vorlage abgearbeitet hat. Aber die Sorge ist gering, denn es ist bereits Jonathans achtes Gesicht und das neunte kommt bestimmt.
Trotz seiner üblen Art und der dunklen Vergangenheit kommt auch der verlorene Neffe nicht ohne Gastgeschenk. Und gerade Abby und Martha sollten sich darüber freuen, dass dieser leblose Herr Spinalski noch ein trockenes Plätzchen im Keller sucht. Jedoch geht Freude und Gastfreundschaft gegenüber Fremdgetöteten nicht soweit wie gedacht, und es kommt zu Eklat.
Am Ende nimmt jedoch alles einen guten Ausgang. Spinalski landet doch noch im Keller. Jonathan wird für seine früheren Verbrechen von der Polizei abgeführt. Die wahnsinnige Geschichte von 13 Leichen im Keller glaubt kein Polizist – und deshalb schaut auch keiner nach. Und Teddy darf inklusive Tanten endlich auf die letzte Safari ins Fröhliche Tal. So hat Mortimer das geliebte Häuschen nun endlich für sich und seine ihm anverlobte Pfarrerstochter alleine. Über das kleine Laster mit dem Keller sollte man doch da hinwegsehen können.
Das Bühnenbild ist im Stil der dreißiger Jahre gestaltet und in New Yorker Backsteinrot gehalten. Treppen durchqueren den Raum und erinnern an die Fluchtstiegen, die jedes Haus dieser Zeit kennzeichneten. Ein wenig „American Feeling“ kommt dabei schon auf. Eva Mattes und Angela Winkler geben ein umsorgendes Tantenpärchen als Abby und Martha und ergänzen sich fürchterlich herrlich in ihrer inneren Gelassenheit und Freude am Ableben der dafür bestimmten Männer. Uwe Bohm als Mortimer kämpft als einziger Normalo für Erhalt von Anstand und Gesetzestreue – aber schnell sieht auch er Opportunitäten, seinen ungeliebten Bruder Jonathan wieder los zu werden. Und dieser Jonathan, gespielt durch Christian Redl, ist wirklich scheußlich. So reiner Zufall war die Gesichtsverirrung dann doch nicht, die dem knochigen Dr. Einstein (George Meyer-Goll) da unterlaufen ist.
Am Ende war es ein leichter Abend mit viel Heiterkeit im Publikum. Die ganz junge Generation ist aus den heutigen Medien wohl schon so viel mit allen Formen des Ablebens konfrontiert, dass das Schauspiel zwar amüsant aber nicht provokant erscheint. Damit hat ein Großteil der Zuschauer an diesem Abend kein Problem – man liest wohl eher mal ein gutes Buch, statt sich zu reichhaltig dem Flimmerkasten zu widmen.
Malte Raudszus
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