Das Staatstheater Darmstadt inszeniert C. S. Foresters Roman „African Queen“ in der Bar der Kammerspiele
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges schlagen die nationalistischen Wellen allerorten sehr hoch, selbst in Afrika, wo an einem entlegenen Missionsposten Rose und ihr Bruder die Eingeborenen missionieren. Als die Deutschen den Missionsposten zerstören, wobei Roses Bruder aus Gram stirbt, schwört sie Rache. Sie will zum Ruhme Englands das auf dem zweihundert Meilen entfernten Tanganjika-See kreuzende deutsche Kriegsschiff „Luisa“ vernichten, und da kommt ihr der etwas verlotterte Charlie mit seinem altersschwachen Dampfboot „African Queen“ gerade recht. Er soll aus dem Material für Grubensprengungen, das er an Bord hat, Torpedos bauen, mit denen sie das deutsche Sachiff rammen und versenken will. Die frei von jeder technischen oder seemännischen Sachkenntnis schwadronierende Rose kann nur auf ihren unbeugsamen Willen und ihre Vaterlandsliebe setzen. Charlie hält sie für verrückt, da sowohl Stromschnellen und Wasserfälle als auch eine deutschen Festung an dem Fluss die Weiterfahrt nahezu unmöglich machen. Die Idee hat Rose allerdings von dem spleenigen Commander Spicer, der zwei Angiffsboote über das Gebirge und durch den Dschugel transportieren will, um dasselbe deutsche Schiff zu vernichten.
Ob Rose dem Commander helfen oder ihm wegen seiner arroganten Art zuvorkommen will, bleibt offen. Jedenfalls überredet sie den mehr als skeptischen Charlie, dieses Himmelfahrtskommando zu übernehmen, und gleichzeitig rügt sie ihn als streng moralische und religiöse Frau dauernd wegen seiner losen Reden und seines Gin-Konsums. Die Voraussetzungen für das Gelingen des Unternehmens könnten also kaum besser sein….
Die Konstellation dieses so gegensätzlichen Paares ist für den Erfolg eines Romans geradezu eine Voraussetzung, denn erfahrene Leser erkennen sofort, dass sich die beiden am Ende „kriegen“ werden, was dann natürlich auch so eintrifft. Doch damit nicht genug, packt der Romanautor Forester noch einen zahmen Gorilla in die Geschichte, den Rose aufgezogen hat und der das Paar auf dem Himmelfahrtskommando begleitet.
Die Darmstädter „Barfestspiele“ zeichnen sich dadurch aus, dass so gut wie keine Bühnenausstattung zur Verfügung steht. Da sind die hufeisenförmige Bar mit Getränke-Regal, Barhocker, Spülen und Licht, eine kleine Freifläche – sonst nichts. Wenn ein Regisseur ein Stück im heißen Dschungel, zwischen reißenden Stromschnellen und auf einem sinkenden Schiff darstellen will, muss er sich schon etwas einfallen lassen – und die richtigen Darsteller zur Hand haben.
Nun, die junge Regisseurin Marlene Anna Schäfer hat beides. Die drei Darsteller – Margit Schulte-Tigges als Rose, Hubert Schlemmer als Charlie und Antoniio Lallo als Erzähler bzw. Commander Spiecer oder Gorilla Humphrey – bieten all ihr komödiantisches Talent auf, um dieser hintergründigen Komödie den richtigen Schliff zu geben. Denn es handelt sich bei der Romanvorlage um mehr als nur eine Abenteuer- und Liebesgeschichte. Forester, selbst Engländer, karikiert in seinem Roman den geradezu chauvinistischen Nationalismus seiner Landsleute im Ersten Weltkrieg. Als Engländer mit Sinn für Fairplay nimmt er nicht etwa die Deutschen oder Franzosen aufs Korn, für die das Gleiche gilt, sondern übt sich in nationaler Selbstkritik. Der Leser bzw. Zuschauer ist natürlich zur Extrapolation aufgefordert. Auch die Art und Weise, wie er seine Protagonisten am Schluss nicht nur dem sicheren Tod entgehen sondern auch noch zu ihrem geplanten Triumph kommen lässt, kann man nur grotesk nennen. Hier spielt Genosse Zufall den „deus ex machina“, was bei einer satirischen Groteske jedoch durchaus erlaubt ist. Man kann den Roman natürlich – so man will – auch als reine Abenteuergeschichte konsumieren, und der Film mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn aus dem Jahr 1951 hat denn auch all die Schmähungen der Deutschen weggelassen und die wachsende Liebe zwischen den beiden betont.
Die Darmstädter Inszenierung dagegen zeigt besonders am Anfang diesen Nationalismus und die Kriegsbegeisterung besonders deutlich. Gerade die so religiöse und gutmenschliche Rose schäumt geradezu vor Kriegslüsternheit, während Charlie eher nach dem Motto „Leben und leben lassen“ verfährt. Das heißt jedoch nicht, dass an der Bar daraus ein bierernstes (und typisch deutsches) Antikriegsstück mit moralischem Zeigefinger wird. Rose bleibt trotz ihres – allerdings abstrakten – Deutschenhasses stets sympathisch. Die Geschichte wird eher zur Groteske über das Unmögliche und Widersinnige, liefert daneben jedoch die Erkenntnis, dass der Wille (fast) Berge versetzen – oder besser Wasserfälle und Forts besiegen – kann.
Da müssen dann alle Utensilien einer Bar herhalten, um die jeweilige Situation darzustellen: Der Wasserhahn beim Getränkeregal wird zur Ruderpinne, mit der die heldenhafte Rose die „African Queen“ durch die Stromschnellen steuert, der andere Wasserhahn zur Lenzpumpe, mit der Charlie alias Hubert Schlemmer das Wasser aus dem Schiff pumpt. Die quälende, feuchte Hitze simulieren die beiden sehr eindrucksvoll mit Wasserzerstäubern, die den angeblichen Schweiß auf Haut und Hemden zaubern, und eine Kiste ordinärer Wasserflaschen dient als Charlies geheimes Gin-Lager, das Rose eines Tages heimlich vernichtet. Die Dschungellandschaft entlang des Flusses erscheint als Video auf einem Bettlaken, das als Leinwand in den Raum gehängt ist, und hier kann man auch martialische britische Schlachtkreuzer in schwerer See bewundern.
Neben dem sich stetig aufeinander zu zankenden Paar ist Antonio Lallo als Gorilla Humphrey ein weiterer Garantieposten für den komödiantischen Erfolg. Mit erstaunlich gelenkigen Bewegungen – fast einem Gorilla gleich – schwingt sich der nicht gerade zarte Schauspieler auf die Bar und wieder herunter, lässt seine Arme hängen, fuchtelt herum, schiebt die Unterlippe vor, kaut an allem, was ihm unterkommt und stößt mal gutturale, mal kreischende Laute aus. Fast könnte man meinen, er wolle Darwins Evolutionstheorie beweisen….
Fast eineinhalb Stunden liefern die drei Schauspieler ein unterhaltsames Stück voller Situationskomik und mit vielen Slapstickeinlagen ab. Dabei verstehen sie sich blind, werfen sich die Bälle zu und beziehen auch die Zuschauer ein, wenn zum Beispiel der – für seine Taten natürlich nicht verantwortliche – Humphrey den Damen an der Bar den Rotwein wegtrinkt. Selbst schuld, wer sich dorthin setzt.
Das Publikum war von dieser temperamentvollen und durchaus auch satirischen Aufführung begeistert und spendete den Darstellern und der Regisseurin kräftigen, lang anhaltenden Beifall.
Frank Raudszus
Alle Bilder © Barbara Aumüller
No comments yet.